Beate Minderjahn

10.) Erster Arbeitstag! - Unser neues Leben am Ende der ...

10.) Erster Arbeitstag!
Unser neues Leben am Ende der Welt – Neuseeland  23. November 1999
Was fuer eine Nacht! Mal wieder kaum ein Auge zugetan, da Bernd ziemlich nervoes war und immer wieder aufstand, Fernseher an, Fernseher aus...  habe mich auch nur hin- und her gewaelzt, bin nochmal eingeschlafen und wieder aufgewacht und haette dann um ein Haar verschlafen, trotz der Oberaufsicht ueber den Wecker. Um 6 Uhr morgens hatte ich dann meine liebe Muehe, den sehr schlaefrigen Rohrexperten aus seiner Tieftraumphase zu reissen und  den notwendigen Enthusiasmus hervorzurufen, um den langersehnten ersten Arbeitstag anzutreten.
Ich war froh, als er endlich bewaffnet mit roter Pumpenzange, saueberlich geklapptem Zollstock und frisch gespitztem Baustellen-Bleistift  (alles aus dem Handgepaeck im Flugzeug – man weiss ja nie!) im Hauseingang stand. Dann habe ich ihm noch schnell die nagelneue, frisch polierte Alu-Thermoskanne mit Kaffee und die Mini-Kuehlbox mit Sandwichs und der ersten Ausfertigung selbstgebackener Schoko-Muffins unter den Arm geklemmt und gegen 7.10 Uhr ist er endlich mit seinem kleinen weissen Kombi losgeduest. Pflichtbewusst, ordentlich, sauber und gut organisiert, wie wir Deutschen eben so sind.... (Hoffentlich war meine Nachbarin um die Uhrzeit schon hinter der Gardine!).
Voellig erledigt habe ich mich dann noch mal in mein Bettchen geschlichen und in tiefer Meditation und mit positiven Affirmationen habe ich mir einen schoenen, gemuetlichen Haushaltstag herbeigewuenscht,  an dem man mal alles bearbeiten kann, was am Einkaufswochenende liegen blieb - so ganz in Ruhe...
Auch das kleine Kruemelmonster Henry konnte sich  nicht von seiner neuen, brotmesser-angepassten Matratze trennen. Um 10 Uhr morgens habe ich mal nachgesehen, ob er noch atmet und ihn aus seiner 27. Baby-Traumphase in die Realitaet zureuckgeholt.  Zum Dank dafuer hat er mich den ganzen Vormittag angeschrien. Naechstes Mal lasse ich ihn schlafen, bis er vom Schlafen zu muede ist um zu schreien! Vermutlich ist es ihm jetzt noch langweiliger, ohne Papa. Ich habe ihm saemtliche CDs vorgespielt, selbst Wolfgang Petri (what? - Abschiedsgeschenk unserer Freunde, falls wir mal Heimweh haben ?!?), aber ich konnte ihn nicht beruhigen. Daraufhin habe ich selbst gesungen, getanzt,  Kasperle Theater gespielt, beruehmte Persoenlichkeiten (wie Dolly Parton) imitiert, saemtliche Stofftiere aufgereiht, Englische Namen aus dem Telefonbuch vorgelesen, Tee, Kaffee mit Milch und Orangensaft serviert, Bungee Jumping von der Terrasse, dem Dinosaurier in der Garage akrobatische Kunststuecke beigebracht,  neue Windel – alles vergebens.  Da hilft nur noch Heino! Und die CD haben wir natuerlich nicht mitgebracht! (Liebe Heino-Fans: Auch das soll keine Abwertung sein sondern waere der letzte Versuch gewesen!)
Das Hausfrauen-Dasein ist leider nicht so gut fuer meine (Suppenkellen-) Koerperform. Die Kategorien Apfel oder Birne treffen seit der Geburt von Henry nicht mehr auf meinen Body zu. Hatte mir am Wochenende extra eine Waage gekauft, damit ich keinen Schock bekomme, wenn die alte Waage uebers Meer geschippert kommt.  Und als ich mich draufstellte, raste die Anzeige im Kreis und blieb bei   170!!!!!!! stehen.  170 was??????  Zum Glueck waren es keine Kilos, aber ich habe keine Ahnung, was es ist, steht nicht dran. Frueher im Mathe-Unterricht hatte Lehrer Lembke immer geschrien „Hosenknoepfe oder was?“, wenn man die Einheit hinter der Zahl vergessen hatte.  Muss mir unbedingt ein Rezeptbuch fuer Diaet-Muffins besorgen.   
 
Gegen Mittag hatte sich nicht nur mein Baby-Sohn, sondern auch mal wieder das ganze technische Equipment gegen mich verschworen. Erst kommt meine Waschmaschine wieder mit dem alten Fusseltrick, mit dem selbst die neue Fusselbuerste aus dem $2-Shop ueberfordert ist. Das beruehmte Fusselsieb habe ich bis heute nicht an diesem gehaessigen Turbo-zum-Fenster-raus-Schleuder-Geraet gefunden! Nehme an, dieses hinterlistige Biest sammelt die Fusseln bei Weisswaesche und Handtuechern ein, versteckt sie heimlich irgendwo (am Sieb) und wartet auf meine dunkle Waesche, um sie mit Milliarden von mikro-organischen Fadenwuermchen zu uebersaehen. Muss mir auf jeden Fall etwas einfallen lassen, um dieses streitsuechtige Ungetuem zu baendigen. Oder ich wandere aus. Irgenwo auf der Welt muss es doch ein Fleckchen geben, wo immer die Sonne scheint und die Leute nackt rumlaufen, so dass man keine Waschmaschine braucht!    
Henrys Laune hat sich auch am Nachmittag nicht gebessert und ich nehme an, er hat beschlossen, einen dauergrantigen „Kann-Dich-nicht-leiden“ Tag einzulegen. Er hat nur gejammert, geschrien, wollte nichts essen. Als er dann endlich mal an der Flasche gesaugt hat, ist er nach drei Schlucken eingeschlafen, um nach 10 Minuten (endlich mal Ruhe – schoener Traum!) wieder aufzuwachen und weiter zu schreien. Haette ihn am liebsten in meinen neuen gruenen Plastik-Putzeimer gesetzt, ihm einen kleinen Schubs gegeben und ihn aufs offene Meer driften lassen – auf Nimmer-Wiedersehen! Und ich wollte immer fuenf Kinder haben.... (What was I thinking????).
Und was hatte ich mir alles vorgenommen.... Meinen kompletten Haushalt hatte ich im Traum des friedlichen Morgenschlaefchens so perfekt organisiert und erledigt. Haette mir in Deutschland (als gestresste Karriere-Frau mit Haushaltshilfe) nicht vorstellen koennen, dass ich jemals Kuechentuecher und Unterhosen buegele. War ja auch nur ein schoener Traum. Vielleicht kriege ich schon den  Hausfrauenwahn oder eine sogenannte Kuechen-Kollik!
Die amselaehnlichen Tiefflieger, die so schoen ihre Brut in unserer Dachrinne aufgezogen hatten, muessen das Nest wohl untervermietet haben. Jetzt nistet dort ein anderes Vogelpaerchen -eine Nummer kleiner- und wirft uns ihr altes Baumaterial vor die Terrassentuere. Hatte gehofft, dass die Vogelkack-Attacken bis zur Eroeffnung der Grillsaison beendet sind. War wohl nix! Habe aber keine Lust, mir jedesmal deren Exkremente vom Steak zu kratzen, bis die kleinen Flugsaurier endlich wissen, wofuer ihnen die Fluegel gewachsen sind. Eine Galgenfrist haben sie noch (bis es 24 Grad im Schatten ist).
Gegen Abend und  nachdem gerade noch mein halbes Nachthemd  am Buegeleisen kleben blieb, dachte ich mir, kochst Du eben mal ein paar Nudeln (beruhigt die Nerven und soll auch gluecklich machen....) und genehmigst Dir dabei ein Glaesschen Rotwein aus dem praktischen 3-Liter Container bis Dein lieber Mann nach Hause kommt. Dieser Patentfaesschen-Sonderverschluss ist einfach genial, vorausgesetzt, man weiss genau wie er funktioniert. Ich dachte jedenfalls, es zu wissen, weil ich Bernd immer aufmerksam beobachtet hatte, wenn er mir hoeflich und fachmaennisch ein Glaesschen zapfte. Heute wollte ich das mal ganz alleine machen (man will als Frau ja nicht immer abhaengig sein). Aber irgendwie hat sich dieser Kunststoffnippel beim Eindruecken an der vorgesehenen Stelle in der Kartonperforation verheddert, dann haben sich auch noch meine knubbeligen Fingern (auch nicht mehr so schmal wie frueher) irgendwie darin verkeilt und ploetzlich schoss der gute Beerensaft in hohem Bogen aus dem Karton. Leider konnte ich die Fontaehne nicht mehr stoppen  und musste mit der ganzen Sprinkleranlage im Box-Format vom Tisch bis zum Spuelbecken rennen. Jetzt bleibt man bei jedem Schritt am Boden kleben, meine weisse Jeans hat pink-farbene Flecken und der Wein bahnt sich gerade den gleichen Weg in die schmale Ritze zwischen Trennwand und Herd, wo vor ein paar Tagen schon der Kaffee hinlief.  Da komme ich im Leben nie mehr dran!
Zum Abschluss meines erfolgsgekroenten Hausfrauen-Tages wollte ich wenigstens noch Henrys Flaschendesinfektionsgeraet entleeren und die sterilisierten Sauger und Verschluesse in die spezielle keimfreie Dose befoerdern, als ich mit dem Kunstoffeinsatz am Rand haengen blieb und sich die ganzen Dinger im hohen Bogen und schoen gleichmaessig auf dem bakteriell-alkoholgetraenkten Fussboden verteilten.   Bleiben jetzt bis morgen drank kleben! Kueche geschlossen!!!!!
Hoffentlich ist es keine langwierige psychosomatische Krankheit, sondern nur ein kurzer Ausbruch von Hausmuetterchen-Syndrom, der bald wieder vorbeigeht. Werde das Gefuehl nicht los, dass sich hier alles gegen mich verschworen hat oder vielleicht ist es ein Zeichen...  
Als Bernd endlich von der Arbeit kam, hatte ich genau eine Maschine Waesche entfuselt und aufgehaengt, 3 Geschirrtuecher gebuegelt, sieben Blaetter Papier sorgfaeltig gelocht und abgeheftet, eine Schublade mit Krimas-Krams sortiert, ein halbes Nachthemd uebrig,  und ich fuehlte mich total geraedert. Toller Tag! Wir waren weder einkaufen, noch am Meer, und ich werde den Gedanken nicht los, dass mein kleiner Schreihals und die Waschmaschine heimlich von der Anti-house-wife-Mafia gesponsort werden.  Was haette ich heute alles erledigen oder unternehmen koennen, wenn mich „die Umstaende“ nicht ans Haus gefesselt haetten...
Es gibt Tage, da bleibt man am besten im Bett!
Wie schon erwaehnt,  dann kam endlich mein lieber Mann von seinem ersten Arbeitstag nach Hause, unerwartet  froehlich und guter Dinge. Er sagt, „die machen alles easy und langsam. Nur nicht ueberarbeiten und schoen cool bleiben heisst die Devise auf der Grossbaustelle“. Seinem neuen Vorarbeiter, einem Australier namens John Miller (in Deutsch:  Johannes Mueller), gibt er waehrend der Rohrverlegung Deutsch-Unterricht. Der lacht sich dann kaputt ueber Vokabeln wie „Wasserpumpenzange“ und „Bolzenschneider“ und ist vermutlich sehr happy mit seinem neuen Kollegen.
 Als ich Bernd fragte, wie John aussieht, bekam ich folgende Beschreibung: „Nett!“  Typisch Mann! Was kann man sich als Frau darunter vorstellen? Habe also ein wenig weiter geforscht. „Gross, dunkelhaarig, sonenengebraeunt, etwas rauher Typ, Zaehne habe ich keine gesehen, aber riesige Fuesse mit Turnschuhen und a good sense of Humor“.  (Vermutlich die gleiche Sense of Humor, wie mein lieber Mann).  Also schloss ich daraus,  Modell Naturbursche mit Shorts (Bernd nennt es „Turnhose“). „Vielleicht ist er beim Turnen ja gar nicht so schlecht, aber er ist keine Schoenheit!!!“ schob Bernd hinterher. Hatte ich auch ehrlich gesagt, nicht erwartet.  Um sein neugieriges Hausweibchen zu befriedigen, spuckte mein lieber Mann noch weitere Beschreibungen aus. „Auf der Baustelle lief noch ein echter Maori rum, so ein Raggae-Typ mit hypermoderner gelber Rapper-Sonnenbrille, wo die Glaeser bis zu den Ohren gehen (vielleicht kann man damit nach hinten gucken ohne sich umzudrehen). Er trug durchloecherte Turnschuhe (koennte vielleicht eine Art Belueftung sein) und ein putzlappenartiges T-shirt (mit dem mein Bakterien-phobie gebeutelter Mann fuer kein Geld der Welt  sein Auto geputzt haette).  Und sein Kompagnon sah genau so aus, nur einen halben Meter groesser und viermal so schwer, in einer ausgeschleuderten (Zitat!) Jogginghose mit 25 Schlitzen und aufgeweichten Gummilatschen mit einem Pin durch die Zehen. Der hat den ganzen Tag durch das Niveliergeraet gespuckt (sorry) gekuckt. Der Polynesische Bauleiter trug ein knuddeliges, sonnen-gebleichtes Hawai-Hemd und eine verschimmelte Jeans (koennte auch Moos gewesen sein).“
Bitte - hierbei handelt es sich keinesfalls um abfaellige Bemerkungen, sondern um rein subjektive Beobachtungen am Arbeitsplatz! Mehr weiss ich auch noch nicht, aber wenigstens hatte mein Mann einen schoenen Tag und geht morgen wieder mit Begeisterung und seiner neuen Thermoskanne Rohre verlegen.
So viel von einem in Selbstmitleid aufgeloesten Moechte-gern-oder-lieber-nicht-mehr–Hausmuetterchen mit zwei Schlafmuetzen (zum Glueck hat das Geschrei ein Ende und mein lieber Mann ist auch muede von der Arbeit).  Vollmond grinst mich durchs Wohnzimmerfenster an. Gute Nacht!
Fortsetzung folgt...
(c) Beate Minderjahn
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.08.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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