Josephin Lorenz

"Lebewohl Engel"

Sie ist längst verloren, sie ist schon fast tot und sie weiß es.
Ihre langen Haare hängen ihr zerzaust ins Gesicht. Sie steht im Schatten des Türrahmens.
Er sieht sie nicht. Die verwischte Schminke malt ihr dunkle Ringe um die ausdruckslosen Augen.
Ihre Mutter liegt am Boden. Sie versucht wegzusehen, doch sie kann nicht. Leere auf ihrem Gesicht.
Das ist nicht ihr Vater, das ist ein anderer Mensch. Blutige Tränen laufen ihr über die Wangen und sie wünscht sich ganz weit weg.
Sie presst sich die Hände gegen die Ohren, doch die Schreie verstummen nicht.
Richtiger Schmerz, richtiges Blut. Zertrümmertes Herz. Diese Schreie, sie will sie nie wieder hören.
Es soll still sein. Ihre Nägel krallen sich in ihr Haar.
Hör auf. Sie wispert es immer wieder.
Aufhören. Er holt für den nächsten Schlag aus.
Hilfeschrei. Es soll ruhig sein.
Schmerzensschrei. Ruhe!
Todesschrei. HÖR AUF!
Das weiße Kleid ziert das müde Skelett. Barfuß schleicht sie voller dunkler Sehnsucht über die kalten Fliesen.
Die Schreie tönen durch ihren Kopf, weiter und weiter. Rote Pfützen zieren die weißen Fliesen. Lautlos, als würde sie schweben, tappt sie hinter ihn. Ob er wohl weiß, dass sein Spiel jetzt zu ende ist?
Die Kinderhand umfasst das Messer, ihr Hass und ihr Wille ist stark genug.
Damit er weiß wie es ist um Erlösung zu schreien; damit er weiß wie sich Schmerz anfühlt; damit er weiß wie die Hölle wirklich ist.
Die Schreie in ihrem Kopf verstummen. Ein unwirkliches Glucksen ertönt, dann ist es ruhig.
Ruhe. Endlich. Nie zuvor schien sie solche Zufriedenheit gefühlt zu haben. Leblos fällt der Körper zu Boden. Ihr Kleid blutgetränkt, ihre Pupillen geweitet. Ihr Atem ist ruhig, ihr Herz klopft in einem gleichmäßigen Takt.
Diese wunderbare Ruhe.

Ihr langes Haar, es umhüllt sie wie ein Schleier. Verträumt lauscht sie der Melodie des Windes.
Sie ist in ihrem Gleichgewicht, die Arme ausgebreitet steht sie in der Nacht.
Nicht weit entfernt hört sie die Sirenen ,sie rufen sie, sie soll zu ihnen kommen.
Wieso? Sie ist doch schon Millionen Male gestorben.
Viel zu zufrieden mit sich und der Welt, um mit ihnen zu gehen. Sie rufen ihre Namen, sie hört die Stimmen ganz weit weg von ihr, doch sie will nie wieder Stimmen folgen, nie wieder sich von anderen etwas befehlen lassen.
Das Geländer ist kalt, die kleinen Füße wollen nie wieder Kälte spüren.
Freudentränen laufen ihr über die Wangen. Ihr mit roten Flecken beflecktes Kleid umspielt sanft ihre zarte Statue.
Sie lässt das Messer fallen, es verschwindet in der Dunkelheit.
Diesmal wird sie nicht nach Hause kommen, denn jetzt kann sie gehen.Ihre Augen zu dem Sternenmeer über ihr gerichtet.
Sind sie nicht wunderschön?
Sie fühlt sich wie ein Engel, von allen Schmerzen und Leiden dieser Welt befreit.
Die Wolken werden sie fangen wenn sie fällt. „Es gibt auch Engel ohne Flügel“, sagt sie und springt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 31.08.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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