Diethelm Reiner Kaminski

Früchte des Zorns



Wer sagt, man solle seinen Zorn zügeln und seinen Ärger runterschlucken, ist auf dem Holzweg. Ich habe mein Ansehen in der Familie gerade dadurch enorm anheben können, dass ich meine Wut rausgelassen habe. Allerdings unkontrolliert und nicht berechnend. Was letztlich zählt, ist der Erfolg, nicht die Absicht.
Anlass für meinen Wutausbruch war meine Frau, die mir gerade in einer Zeit besonders großer finanzieller Klammheit eröffnete, dass der Küchenherd defekt sei. Sie habe an sämtlichen Knöpfen gedreht, aber kein Lämpchen leuchte, keine Platte werde warm.
Ich eilte in die Küche, um den Schaden in Augenschein zu nehmen. Bei meiner technisch ungemein versierten Frau muss ich mit allem rechnen, auch dass sie vergessen hat, den Stecker in die Steckdose zu stecken, oder dass sie Herd, Waschmaschine, Trockner und Geschirrspülmaschine gleichzeitig laufen lässt, sodass die Überlastung des Stromnetzes die Sicherung rausspringen lässt. Ausnahmsweise habe ich meiner Frau Unrecht getan. Der Stecker sitzt fest in der Steckdose, und eine Sicherung ist auch nicht rausgesprungen. Ich drehe wiederholt an den Knöpfen des Küchenherdes, aber kein Lämpchen leuchtet und keine Platte erwärmt sich. Schöne Aussichten: kalte Mahlzeiten und hohe Reparaturkosten. Was mag meine Frau nur wieder mit dem Küchenherd angestellt haben? Hat sie ihm beim Reinigen die chemische Keule verpasst? Ihn zu Tode geputzt? Ich donnere zweimal, dreimal vor Wut mit der Faust gegen die Programmleiste, drehe nervös und geistesabwesend an den Knöpfen und … verbrenne mir fast die Finger. Der Herd arbeitet wie am ersten Tag. Alle Lämpchen leuchten, alle Platten glühen. Stolz eile ich zu meiner Frau und sage so gespielt gleichgültig, wie es mir in diesem Augenblick männlichen Triumphes möglich ist: „Ich habe übrigens deinen Küchenherd repariert.“
„Und wie?“, staunt meine Frau und blickt seit Jahren das erste Mal wieder bewundernd zu mir auf.
„War gar nicht so einfach“, brummele ich, „den schweren Herd aus der Verkleidung zu ziehen, um an die Schaltelemente zu kommen, aber du siehst ja: Ich habe es geschafft. Ein Schaltkontakt war unterbrochen.“
„Aber Liebling, bring dich doch nicht in Gefahr. Das ist doch Starkstrom, oder?“
„Kein Problem“, sage ich bescheiden, „ich lebe noch, oder?“
„Übrigens“, sagt meine Frau, „mit Annekatrins Waschmaschine ist auch etwas nicht in Ordnung. Sie wäre dir bestimmt dankbar, wenn du mal nachsehen könntest.“
Annekatrin ist die beste Freundin meiner Frau. Könnte nicht schaden, bei ihr zu punkten, denn ich stehe nicht sonderlich hoch bei ihr im Kurs.
„Wenn du meinst“, sage ich ziemlich kleinlaut. „Ich kann ja nachher kurz mal bei ihr vorbeischauen. Ruf aber vorher kurz durch, ob sie zu Hause ist, damit ich mir den Weg nicht umsonst mache.“
Ich nehme meinen seit vielen Jahren unberührt gebliebenen Werkzeugkasten mit. Das wirkt professioneller.
„Wo drückt der Schuh?“, frage ich äußerlich siegesgewiss, aber innerlich eher verzagt.
„Das gute Stück gibt keinen Mucks mehr von sich. Anfangs schleuderte sie nur nicht, dann pumpte sie auch das Wasser nicht mehr ab. Jetzt springt sie gar nicht mehr an“, klagt Annekatrin.
„Dann lass mich mal mit deinem guten Stück allein“, sage ich großspurig, „damit ich ein ernstes Wörtchen mit ihr rede“, und öffne meinen Werkzeugkasten.
Als ich allein bin, überprüfe ich erst einmal, ob der Stecker in der Steckdose steckt und keine Sicherung rausgesprungen ist. Dann schließe ich die Tür. Während ich rufe „Verdammtes Miststück“, donnere ich zweimal, dreimal mit der Faust gegen die Programmleiste. Etwas zu heftig, wie die Delle im Metall beweist, aber als ich den Startknopf drücke, blinken die Lämpchen grün und hoffnungsfroh. Die Pumpe beginnt zu pumpen, die Trommel sich zu drehen.“
Ich öffne die Tür und rufe: „Annekatrin. Du kannst jetzt kommen.“
Ich sonne mich in ihrer Bewunderung und genieße ihre dankbare Umarmung.
Meine Faust schmerzt. Ich werde sie eincremen, damit sie fit ist für weitere Reparatureinsätze.
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 02.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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