Katarina Bosnjak

Sayonara Sarajewo 1

 

 

Liebe Dany,
 
Oktober. 1992

herzliche Grüße aus der Hölle auf Erden!
 
Vor ein paar Tagen habe ich im Schutt eines Hauses Briefpapier gefunden.
Endlich kann ich dir ein paar Zeilen schreiben. Ob dich meine Briefe jemals erreichen werden ist fraglich.
Auf die Post hier ist kein Verlass. Auf den Tod schon ...
Hier ist alles todsicher.
HaHaHa!
Brav adressiere ich die Kuverts wie es sich gehört. Sollte es mich erwischen, kann
die Briefe immer noch Branko an dich schicken. Irgendwann mal.
 
Mensch Dany, ich vermisse dich. Sehr sogar.
Noch immer klingen dein Lachen und deine Stimme in meinen Ohren.
Ich denke oft an dich und versuche Sarajewo zu überleben indem ich Erinnerungen aus Wien wälze.
Was waren wir verrückt und unbeschwert. Naiv und sorgenlos.
Aber Zeiten ändern sich und wir uns auch. Sarajewo ist nicht mehr so wie es mal war.
 
Auch ich bin nicht mehr so wie ich mal war ... Gott sei Dank.
 
Sag mal bist du noch in Wien, oder bist du mit Alex schon in Kanada?
 
Gerne hätte ich mich von euch verabschiedet. Ich wollte längst aus Sarajewo zurück sein
bevor ihr fliegt. Dumm gelaufen. Nun sitze ich hier fest.
 
Wie lange noch? Keine Ahnung!
 
Es tut mir so leid nicht auf dich gehört zu haben.
Meine Reise nach Sarajevo, mein blindes Vertrauen, ich bereue alles.
Ich weis, ich bin eine dumme Kuh und selber schuld.
 
Was ich so mache und wie es mir geht willst du wissen?
 
Danke der Nachfrage, es geht - so lala. Es gibt keinen Strom, wenig Wasser und fast nichts zu Essen.
Aber das schlimmste von allem sind die Granaten und die Scharfschützen. Sie machen mir Angst und treiben mich in den Wahnsinn.  Oft knallt eine Granate mitten in eine Menschenmenge und hinterlässt Tote und Verletzte. Weinende Kinder. Panik und Hysterie.
 
Alles ist voller Blut. Was für eine furchtbare Farbe. Der Tod trägt rot. Thats it!.  
 
Und was die Granaten nicht schaffen erledigen die Scharfschützen. Gewehrsalven und Granateneinschläge begleiten uns Tag und Nacht. Sie hallen von den Bergen wider und donnern über die ganze Stadt. Es ist fast wie zu Silvester nur das es nichts zu feiern gibt.
So sieht mein neues Leben aus. Alles was mir dazu einfällt ist, dass ich mich schäme ein Mensch zu sein.
Zu was Menschen im Stande sind kann man erst dann glauben wenn man es hautnah miterlebt.
Warum ist der Krieg so grausam und die Menschen so dumm?
Ich werde Sarajewo niemals mehr vergessen können, egal wie alt ich werde.
 
Außer Briefe zu schreiben habe ich sonst nichts zu tun in den Tagen an denen der Tod durch die Straßen zieht. Ich schreibe und warte auf Branko.
Jedes Mal wenn er das Haus verlässt bete ich zu Gott daß er wiederkommt. Er ist alles was ich habe. Ihm darf einfach nichts passieren sonst drehe ich noch vollkommen durch.
 
Branko hat mir verboten alleine die Waschküche zu verlassen. Gehorsam halte ich mich an sein Verbot. Er hat Angst um mich  und verbietet mir alle möglichen Sachen.
Wahrscheinlich mache ich einen ziemlich leichtsinnigen Eindruck auf ihn, darum lässt er mich auf der Straße keinen Augenblick lang aus den Augen.
Manchmal wird es mir zuviel aber ich will ihn auch nicht verärgern, wenn er sich schon so um mich bemüht.
Nachts wenn ich in seinen Armen liege erzählt er mir Märchen und streichelt mein Haar.
Seine tiefe bärige Stimme wiegt mich in Sicherheit und erstickt meine Ängste.
Er gibt mir Geborgenheit und ich revanchiere mich mit Wärme und Aufmerksamkeit.
Wir brauchen uns und alles andere ist unwichtig und klein.
 
Eigentlich sind wir ja Feinde. Aber wir legen keinen Wert darauf uns die Köpfe einzuschlagen,
nur weil ein paar Politiker Wahnvorstellungen haben. Sicher nicht.
 
Branko ist nicht nur mein Schutzengel sondern auch der Mann im Haus. Er ist für Brennholz, Wasser und Nahrung zuständig.
Zu meinen Aufgaben zählen: das Bett machen, Feuer machen, kochen und für gute Laune sorgen.
Außerdem betreibt er noch Tauschhandel mit Zigaretten.
Zigis gegen Lebensmittel, Kerzen, Seife, Tee und allem was wir noch so zum Überleben brauchen.
Gestern konnten wir ein Hilfspaket ergattern, dass war für uns wie Weihnachten ansonsten leben wir hauptsächlich von Zwieback, Thunfisch und Sardinendosen. Manchmal gibt es auch Nudeln.
Branko hat jede Menge davon gebunkert auf seiner Flucht hat er einfach die Vorräte seiner sogenannten Kumpels mitgehen lassen. Langsam hängt mir das Zeug zum Hals raus aber ich mache keinen Mucks und esse meine Ration brav auf.
Wir teilen uns einen Teller. Er ist aus blauen Emaille mit einer gelben Blume auf dem Tellerboden.
Gerne würde ich einen Teller ganz allein für mich haben. Es graust mir nicht vor Branko ... es ist einfach nur Gewohnheit.
Aber er weigert sich mir einen zu besorgen und behauptet dass das gemeinsame Essen aus einem Teller "soziales Verhalten" fördert. Langsam aber sicher werden wir Balla-Balla.
 
 
Ich umarme dich .... deine Maja

Copyright Bosnjak Katarina
 
Möchte überhaupt jemand wissen wie es weitergeht ..
Bitte um Kommentare.
Danke!

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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