Christiane Mielck-Retzdorff

Arbeitswillig



 
 
Sabine Schulze war gefüllt mit deutschen Tugenden wie Fleiß, Ordnungssinn und Pflichtgefühl, so dass es ihr nicht schwer fiel, nach dem Abitur und dem grandiosen Abschluss zur Fremdsprachensekretärin eine Anstellung zu finden. Ein überraschender Todesfall begünstigte ihren Aufstieg zur Chefsekretärin schon mit Mitte zwanzig. Hier nun diente sie dem wesentlich älteren Patriarchen der Im- und Exportfirma, der mit Strenge und gelegentlich herzlichen Anwandlungen dem mittelständischen Unternehmen vorstand, aufopferungsvoll, aber mit dem nötigen Respekt. Auch wenn lästerhafte Zungen gelegentlich ein anderes Verhältnis unterstellten, da Sabine unverheiratet blieb.
 
Wenn sie auch in Attraktivität ihren Altersgenossinnen in nichts nachstand, fehlte Sabine einfach die Zeit, sich auf Bekanntschaften einzulassen. Das beginnende Computerzeitalter forderte eine stete Weiterbildung ebenso wie die Tatsache, dass korrekte Buchführung manchen Angestellten überforderte. Da jeder bedeutende Vorgang dem Alleinherrscher der Firma zur Kenntnis gebracht werden musste und dabei über Sabines Tisch wanderte, glich sie einem Hofmarschall.
 
Pflichtbewußt verbrachte Sabine manchen Abend mit dem höflichen Akt der Beantwortung von E-Mails von der amerikanischen Westküste, wo sich die Geschäftspartner vermutlich gerade zum Lunch verabredeten und quälte sich in der Volkshochschule mit der chinesischen Sprache, um gleichfalls diesen neuen Markt unter Kontrolle zu halten. Einzig ihr Jugendfreund Hubert, der es als LKW-Fahrer nur dazu gebracht hatte, Güter in einem gigantischen Monstrum durch Europa zu kutschieren, trainierte gelegentlich Sabines Genitalbereich.
 
Als Sabines Chef im hohen Alter und, an sich wenig überraschend, starb, stellte sich heraus, dass weder seine Kinder noch die Enkel bereit und in der Lage waren, das Unternehmen fortzuführen. Diese Aufgabe übernahm dankbar eine expandierende, russische Konkurrenzfirma. Mit ihr wehte nun ein glühend frischer Wind durch die Büros, der auch zügig Sabine hinwegfegte.
 
Schon bald begab sich Sabine hoffnungsfroh zu ihrem ersten Vorstellungsgespräch. Die Personalchefin entsprach genau dem Bild einer erfolgreichen Frau Mitte der Dreißig, und der Doppelname wie der Ring an ihrem Finger ließen keinen Zweifel an ihren Familienstand aufkommen. Dazu prangten an der Wand die Fotos von zwei kleinen Kindern, die den Verdacht begründeten, dass es sich hier um einen Prototypen der problemlosen Verbindung von Familie und Beruf handelte.
„Sind Sie verheiratet?“ fragte Frau Sonnenbach-Kreuter zuckersüß, und Sabine wunderte sich beim Verneinen, ob man überhaupt ihre Bewerbungsunterlagen gelesen hatte.
„Ah, ich sehe, Sie haben gar keine Kinder“, entnahm die Personalchefin nun Sabines Schreiben, und machte eine lange Pause. Dann fuhr sie salbungsvoll fort:
„Sehen Sie, es ist nicht nur die Aufgabe der Politik sondern ebenfalls die der Unternehmen, die Familie und besonders die mit Kindern zu unterstützen, schließlich sind Kinder die Zukunft unseres Landes. Daher hat sich unser Unternehmen entschieden, vorrangig Arbeitnehmer mit Kindern einzustellen, besonders da sie auf dem Gebiet des Multitaskings Unglaubliches leisten. Also bedauern wir…..“
 
Der Personalchef der nächsten Firma war zu jung um ein Spätachtundsechziger zu sein, zeigte jedoch alle äußeren Merkmale dieser Spezies. Sabine fühlte sich etwas mulmig in seiner Gegenwart, doch er entpuppte sich als allumfassend verständnisvoll. Er lobte ihre umfangreiche Berufserfahrung und zitierte in bewundernden Worten ihre Zeugnisse. Dann jedoch nahm seine Miene beinahe weinerliche Züge an.
„Es tut mir leid, liebe Frau Schulze, aber sie sind für unsere Aufgaben weit überqualifiziert. Die ständige Unterforderung wäre sicher eine große Belastung für Sie. Ich bedaure daher….“
 
Die nächste Person, der sich Sabine vorstellte, war eine Frau gleichen Alters, die einen routinierten, beinahe abgeklärten Eindruck machte. Sie erwähnte unaufgefordert, dass sie diese Position schon erfolgreich in verschiedenen Firmen bekleidet hatte. Schweigend überflog sie die Bewerbungsunterlagen und musterte dann Sabine auf peinlich abschätzende Art.
„Sie sind Deutsche“, waren ihre wenig erhellenden Worte nach der Musterung, und Sabine hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten.
„Unser Management arbeitet sehr zukunftsorientiert und legt Wert auf Internationalität. Außerdem stellt es sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung. Daher sind wir gehalten, vorrangig Mitarbeiter mit Migrationshintergrund einzustellen.“
Sabine fragte sich kurz, ob die Tatsache, dass ihre Großeltern einst aus Ostpreußen geflohen waren, einen Migrationshintergrund begründete, verwarf den Gedanken aber sogleich wieder.
„Wir bedauern also…“
 
Noch immer optimistisch, betrat Sabine ein Großraumbüro, in dem ausschließlich weibliche Angestellte an ihren Computern arbeiteten. Direkt ihr gegenüber in der Ferne drohte der Schlund einer offenen Tür, in dessen Halbdunkel der Personalchef sie erwartete. Klein und mit den listigen Augen einer Ratte hockte er hinter seinem Schreibtisch in eine Akte vertieft.
„Sie sind ja eine Frau“, waren seine erstaunten Begrüßungsworte.
„Ja, Herr Kandinski-Wohlershausen“, antwortete Sabine brav und fragte sich angesichts der ringlosen Hand, ob dieser klangvolle Namen das Relikt einer gescheiterten Ehe oder das Erbe seiner Eltern war.
„Wer hat vergessen, diese Frau anzumailen“, brüllte Herr Kandinski-Wohlershausen in das Großraumbüro.
„Das stand auf der to-do-Liste von Frau Ziegler-Unruh, aber die ist zum Dauerbriefing bei der Chefin abkommandiert“, tönte es zurück.
„Lesbische Weiber“, murmelte der Mann hinter dem Schreibtisch, während sich Sabine leicht verunsichert ihm gegenüber setzte. Sein erschrockener Blick ließ eine gewisse Grundangst gegenüber Frauen vermuten.
„Es ist so, Frau-äh-Frau…“
„Schulze“, sprang Sabine ein und war froh, in ihrem Rücken ein halbes Dutzend Geschlechtsgenossinnen zu wissen.
„Also, es ist ja so Frau Schulze, ein großes Unternehmen wie unseres fühlt sich besonders der gesellschaftlichen Gesamtentwicklung verpflichtet. Daher hat das Management des Mutterkonzerns in München beschlossen, dass im Sinne der Gleichberechtigung der Geschlechter vorzugsweise männliche Bewerber einzustellen sind.“
Und mit einem einer Kopfbewegung Richtung Großraumbüro fügte er überheblich grinsend hinzu:
„Sie sehen ja, was hier los ist. – Also wir bedauern….“
 
Bei einem Glas Rotwein an ihrem Küchentisch, vor sich die Ablehnungen ihrer Bewerbungen wegen ihres Alters, traf  Sabine eine schlaue Entscheidung. Sie heiratete ihren verwitweten, türkischen Gemüsehändler, der schon lange ein Auge auf sie und ihr Altersvorsorge geworfen hatte, wurde so Mutter von fünf Teenagern und trug fortan den ausdrucksstarken Namen Schulze-Ösigil. So steigerte sie ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt um 50%.          

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Buch von Christiane Mielck-Retzdorff:

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Trug und Wahrhaftigkeit: Eine Liebesgeschichte von Christiane Mielck-Retzdorff



Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
Die junge Frau muss gegen Ablehnung und Misstrauen kämpfen. Doch auch der Lehrer sieht sich plötzlich einer bösartigen Anschuldigung ausgesetzt. Trotzdem kommt es zwischen beiden zu einer zarten Annäherung. Dann treibt ein Schicksalsschlag den Mann zurück auf das elterliche Gut, wo ihn nicht nur neue Aufgaben erwarten sondern auch Familientraditionen, die ihn in Ketten legen.

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