Kurt Henke

Armer kleiner VW

Das Zelten war mir noch in guter Erinnerung. Vor dem Krieg sind wir im großen 15 Mann--Rundzelten mit dem Jungvolk in das Zeltlager zum Sorpesee-- und zum Diemelsee gefahren. Wir Pimpfe hatten keine Schwierigkeiten, uns im vollen Zelt über die Platzverteilung oder die Abstellmöglichkeiten des geringen Gepäckes zu einigen. Obwohl die meisten unter uns vorher kaum einen persönlichen Kontakt hatten, war eine nie in dieser Form gekannte Kameradschaft vom ersten Tag vorhanden. Wir lebten nach dem Motto „Alle für Einen und einer für Alle. Dieses kameradschaftliche Zeltgeistgefühl begleitete mich auch noch im späteren HJ-Alter.

Inzwischen schon 25 Jahre alt. Für den im Krieg verlorenen rechten Unterschenkel hatte ich eine Prothese angemessen bekommen. In der Zeitung las ich die Anzeige eines Fachhändlers aus Lünen, „Gegen Vorlage des Mitgliederausweises für Pfadfinder „Zelte und Zubehör preiswert abzugeben“ Bei mir wurde die lange vergessene Schüler—und Jugendzeit im Zeltlager wieder wach gerufen. Ich verspürte den dringenden Wunsch, da neu anzufangen, wo ich vor meiner Bergvorschulzeit aufhören musste.. Wie sollte ich es meiner Frau Pauline klarmachen. Bis dahin hatte sie wenig Interesse gezeigt, wenn ich mit großer Begeisterung über meine Zeltlagererlebnisse erzählte. Ich wollte sie einfach überraschen.

Für 3000 DM hatte ich einen gebrauchten VW erstanden. Da ich mit dem rechten Fuß kein Gas geben konnte, wurde dafür am Lenkrad ein Bautenzug angebaut. Erst dann konnte ich die begonnene Fahrschule beenden, Der Fahrlehrer hatte für mich zur praktischen Prüfung keinen geeigneten Wagen. Nach dem auch Pauline die Fahrprüfung bestanden hatte, waren alle Voraussetzungen für das Zelten im Süden gegeben. .

Ich war auf der Suche nach einer passenden Ausrüstung. Zu der Zeit war unsere Industrie noch nicht in der Lage, alles zu liefern, was gewünscht wurde. Man musste suchen und kaufen was angeboten wurde.

Als ich in der Zeitung das Angebot eines Fachhändlers aus Lünen in die Finger bekam „Zelte und Zubehör gegen Ausweis an Pfadfinder abzugeben, glaubte ich, den Weg dahin zu kennen. Meine beiden Schwager 18 und 21 Jahre, beide sehr aktive Pfandfinder, sollten mir dabei helfen. Ich bat sie beide, mit mir und ihren Ausweisen nach Lünen zu fahren, um das Zeltangebot in Augenschein zu nehmen. Ich war dort vom Angebot mächtig angetan, eine bessere Qualität an Zelten hatte ich auch vor dem Krieg nicht gekannt. Erst jetzt weihte ich beide Schwager über meine Pläne ein. Sie waren Feuer und Flamme, darüber, dass ich mit ihrer Schwester im Sommer nach Italien fahren wollte, um dort zu Zelten. Und so kam auch gleich die Frage, können wir mitfahren? Ich vertröstete sie erst einmal damit, dass zunächst der Kauf zustande kommen musste. Es gab nicht viel zu handeln. Ich wurde Besitzer eines nicht nur passablen Zeltes, auch, zwar etwas primitiv, konnte ich Tisch und drei Hocker dazu erwerben. Ich war nicht besonders überrascht als Heinz und Walter mir später berichteten, auch eine volle Zeltausrüstung erstanden zu haben, die dann von mir die Zusage erhielten, nach Italien mitfahren zu dürfen. Obwohl ich für die Tragfähigkeit meines Wagens, gewisse Bedenken hatte.

Eine Probefahrt mit vollgepacktem VW fiel mehr als negativ aus. Auf der Waage eines Kohlenhändlers stellte sich ein Übergewicht von 6 Zentnern heraus Das nicht genug, an unserem selbstgebastelter Dachaufsatz, brach an Verschraubung

In den Sommerferien ging es dann auf große Fahrt zum Süden. Wir waren so stolz und großspurig, dass wir die Autobahn mieden, weil wir die Landschaft von der Landstraße aus genießen wollten Ein Campingplatz bei Frankfurt war unser erstes Etappenziel. In der Auffahrt zum Platz hatte die die Fa. Braun aus Reklamezwecken einen Stand mit Rasierapparaten aufgebaut. Elektrische Rasierapparate nie gehört. Unsere Neugier wurde mehr als gestillt, als wir gegenseitig unsere aufgeschunden Gesichter nach der Rasur betrachteten. Am Titisee, unser Zweites Tagesziel, bei strömenden Regen angekommen. Wir mussten die Zelte am Abhang aufbauen, damit sie uns nicht über Nacht vollliefen.

Den Gardasee erreicht, galt es einen passenden Campingplatz suchen. Bei Dessenzano gefiel uns der Platz Cassina schon wegen der großen Anzahl in Doppelreihe stehender, schattenspendender Maulbeerbäume. Diese waren schon wegen der Vielzahl überheißer Sonnenstunden sehr wichtig

Noch beim Aufbau des Zeltes kam Pauline mit der weinenden Kirsten von der Toilette zurück, gab mir zu verstehen, dass wir nicht bleiben könnten. Berichtete dann, dass die vorhandenen Toiletten alle bodenerdig seinen und total unsauber. Wir brachen wieder ab, landeten dann in Lazise auf dem kommunalen Platz, der sich in einem einwandfreien Zustand befand

Mit den Nachbarn angefreundet machten wir einen Stadtbummel. Vor einer kleinen Wirtschaft hatte sich an Tisch und Bänken eine Sangesgruppe aus Wien mit einem Harmonika spielenden Musiker niedergelassen. Man bat uns, Platz zu nehmen. Bald von der guten Stimmung eingefangen, wies Pauline auf die nur noch halbgefüllten mit rotem Sekt enthaltene Flaschen hin, mit der Bemerkung, ich habe noch nie roten Sekt getrunken, Das war der Anlass uns reichlich zu bedienen.

Vor allem meine Gangart wird auf dem 1 km langen Heimweg etwas auffällig gewesen sein. Kirsten bemerkte zur Pauline, ich glaube der Vati ist betrunken. Auf dem Platz angekommen, gingen die beiden noch zur Toilette, während ich geradewegs das Zelt aufsuchte.

Schon im Schlaf weckte mich Pauline auf, was gar nicht so einfach war. Immer öfter wiederholte sie die Frage, wo ist deine Brieftasche. Der konnte ich lange keine Bedeutung abzugewinnen Erst als ich den Sinn der Frage begriffen hatte, wurde ich etwas nüchterner. Unser Suchen war vergebens. Ist dir jemand gefolgt, der deinen Zustand erkannt hatte? War die wiederholte Frage von Pauline. Ich glaube, den Rest der Nacht haben wir beide kein Auge mehr zugemacht

Bei Sonnenaufgang wurde es auch im Zelt etwas heller. Dann stellte ich fest, dass ich am Nachmittag eine kurze Hose getragen hatte, die ich ganz oben in der Zeltecke am Abend aufgehenkt, an der Firststange befestigt sah. Sie war im Dunkeln einfach nicht zu erkennen gewesen. In der Hosentasche befand sich auch meine Brieftasche mit unserem vermissten Hab und Gut, Wertsachen, Benzingutscheine und alle Papiere Uns viel ein Felsbrocken vom Herzen.
Heiz und Walter, die an diesem Abend sich die Zeit anders vertrieben hatten, schmunzelten, als sie von Kirsten darüber unterrichtet wurden. Der Rest unseres Gardaseeurlaubes war gerettet. Er blieb uns allen in erlebnisreicher Erinnerung. Selbst der zu Hause am VW festgestellte doppelte Federbruch war nur ein kleines Übel.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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