Marion Redzich

Telenovela

                                              

 

 

Es begann eigentlich ganz harmlos. Wir waren im Urlaub in Ägypten. Es war ein extrem heißer Tag. Viel zu heiß um jetzt zum Strand zu gehen. Viel zu heiß auch für einen Stadtbummel. Also probierten wir den Fernseher in unserem Hotelzimmer aus.

Er funktionierte. Leider konnten wir, neben vier arabischen, einem englischen und einem undefinierbaren nur einen einzigen deutschen Sender empfangen. Und hier lief gerade eine Telenovela, von der wir bis dato weder etwas gehört noch gesehen hatten.

Es war sehr spannend. Eine junge Frau, sehr attraktiv, rettete gerade einen jungen Mann, auch sehr attraktiv, vor dem Ertrinken. Sie schauten sich beide an und erkannten im gleichen Moment, dass sie füreinander bestimmt sein mussten. Doch dummerweise hatte sie auf dem Weg nachhause einen Autounfall und erinnerte sich von da an nicht mehr an diese Begegnung. Er, nichts ahnend, suchte verzweifelt nach seiner großen Liebe, konnte sie aber nicht finden. Hier endete die Folge. Eine Fortsetzung war für den nächsten Tag um die gleiche Zeit geplant. Eigentlich sind mein Mann Paul und ich keine Soap-Gucker. Wir ahnten allerdings nicht, dass wir längst vom Telenovela-Virus befallen waren. Noch nicht.

Am nächsten Tag waren wir zufällig wieder um die gleiche Zeit in unserem Hotelzimmer. Und wieder war es viel zu heiß um irgendetwas zu unternehmen. Also schalteten wir den Fernseher ein. Nur mal so zum gucken. Mit rumzappen war nicht viel, es gab noch immer nur einen deutschen Sender. Und wieder lief die Telenovela vom Vortag.

Inzwischen war Britta, die schöne junge Frau mit der Amnesie, in der schicken Privatklinik eines zwielichtigen Professors gelandet, der Medikamentenversuche mit ahnungslosen Patienten durchführte. Selbstverständlich ohne deren Einverständnis. Mit Britta hatte er, so dachte er, eine neue Versuchskandidatin gefunden. Allerdings hatte er nicht mit Florian, dem attraktiven jungen Mann, gerechnet. Der hatte es sich zu seiner Lebensaufgabe gemacht, seine große Liebe wiederzufinden und setzte dafür Himmel und Hölle in Bewegung. Da er ein Sohn aus reichem Hause war, hatte er natürlich auch die entsprechenden Mittel dazu. Und gerade in dem Augenblick, als der böse Professor der blassen, unter Amnesie leidenden Britta eine Spritze mit einem noch nicht zugelassenen Medikament setzten wollte, stürmte Florian ins Krankenzimmer, versetzte dem überraschten Professor einen gezielten Fausthieb und rettete seine Liebste aus den Klauen des kriminellen Mediziners. Die schaute den jungen Mann mit großen Augen an, fragte, wer er sei und was denn eigentlich los sei und wurde just in dem Augenblick bewusstlos, als die heutige Folge zu Ende war.

Logisch, was wir am nächsten Tag machten. Und am Tag darauf. Schließlich hatten wir Urlaub. Und Urlaub ist zum entspannen da. Und auch fernsehen kann wahnsinnig entspannend sein!

Die Woche unseres Ägypten-Urlaubs ging viel zu schnell zu Ende. Kaum zuhause angekommen, studierten wir die Fernsehzeitung. Schließlich wollten wir wissen, wie die Geschichte denn nun weiterging. Die zwischen Britta und Florian. Hier in Deutschland hatten wir die freie Wahl zwischen 60 Programmsendern. Die Wahl fiel uns leicht.

Wegen unseres Heimfluges hatten wir leider eine Episode der Telenovela verpasst. Und so konnten wir es uns anfangs auch nicht erklären, warum da plötzlich so eine dümmlich grinsende, vollbusige Blondine Arm in Arm mit dem attraktiven Florian durch einen weitläufigen Park spazierte. Sie quatschte unentwegt , lachte gekünstelt und stolperte hin und wieder absichtlich mit ihren einen halben Meter hohen High Heels, um sich dann von dem attraktiven Florian wieder auffangen zu lassen. Britta war doch dunkelhaarig. Oder??

Hier endete die Folge für heute wieder. Wir freuten uns jetzt schon auf morgen.

Längst waren wir telenovela-süchtig. Ein Gegenmittel war uns nicht bekannt. Also warteten wir gespannt auf den nächsten Tag und frönten genüsslich unserer Sucht.

Da wir natürlich auch hin und wieder mal einkaufen mussten, fuhren wir am späten Vormittag mit der U-Bahn zum nächsten Lebensmittelladen. Uns gegenüber saß eine junge, dunkelhaarige Frau, die tief in die Lektüre ihres Buches versunken war.

„Guck mal!“ rief mein Mann laut, „die sieht aus wie Britta!!“. „Paul!“ antwortete ich, etwas genervt, „ außer, dass diese Frau brünett ist wie tausende andere auch, kann ich beim besten Willen keine Ähnlichkeit entdecken!“ „Doch! Schau doch mal! Die sieht doch genau so..“

„PAUL!!!“ zischte ich ihm zu. Die Frau schaute schon leicht verunsichert zu uns herüber.

Endlich hatten wir unsere Station erreicht und verließen die U-Bahn. Doch schon an der Käsetheke des Supermarktes ging es weiter. „Psst. Schau mal, der da drüben, der große Blonde. Der sieht doch aus wie Florian! Findest Du nicht?“

Auf meinen Einwand hin, es gäbe auch noch ein Leben neben der Daily-Soap, wusste Paul nichts zu antworten. Schweigend fuhren wir nachhause. Dem Himmel sei Dank, dass wir an diesem Tag nicht noch  mehr Doppelgängern unserer Serie begegneten.

Wir schafften es gerade noch nach Hause, als eine neue Folge unserer Soap begann. Den Einkauf ließen wir erstmal in der Küche liegen. Um den konnten wir uns auch später noch kümmern.

Inzwischen hatte die immer noch dümmlich grinsende Blondine dem smarten Florian einen Heiratsantrag gemacht. Dieser hatte allerdings immer noch die schöne Britta im Kopf. Die wiederum erholte sich gerade in einem, diesmal anständigen, Krankenhaus von ihrem Unfall. Noch immer konnte sie sich nicht an die Begegnung mit Florian erinnern und behandelte ihn wie einen Fremden. Die dümmlich grinsende Blondine hatte inzwischen erfahren, dass es eine andere Frau im Leben ihres Auserwählten gab und fand mit Hilfe eines Privatdetektives heraus, wo diese sich befand. Als Krankenschwester verkleidet verschaffte sie sich unbemerkt Zugang zu Britta’s Krankenzimmer. Mist! Schon wieder Ende! Und jetzt war auch noch ein ganzes Wochenende dazwischen, bevor wir endlich erfahren würden, wie es weiterging!

Am Sonntag unternahmen wir einen kleinen Ausflug. Es war ein besonders schöner Spätsommertag und viel zu schade, diesen zuhause zu verbringen. Wir waren den ganzen Nachmittag unterwegs und gönnten uns vor dem Nachhauseweg noch einen Eiskaffe in einem kleinen italienischen Restaurant am See.  „Was meinst Du?“ fragte Paul in die Stille des Augenblicks. „wird Florian sie retten?“ Im ersten Moment wusste ich nicht, von was er da redete. Florian? Retten? Wen denn?? Entsprechend verdattert sah ich ihn an. Da dämmerte es mir. „So langsam mach ich mir Sorgen, Paul!“ sagte ich leise. „ Du kannst doch nicht jede Sekunde Deines Lebens in dieser Soap leben! Es gibt doch noch ein richtiges Leben! Das ist doch nicht real! Das ist doch alles nur gespielt!“ Paul schaute mich verständnislos an.

Zwei Wochen später war Pauls Geburtstag. Da er schon alles hatte und sich nichts wünschte, außer einem Hunderterpack von Videokassetten, auf denen er seine Lieblingsserie für immer konservieren könnte, war die Suche nach einem originellen Geschenk nicht leicht.                Da hatte ich eine Idee. Bei Ebay ersteigerte ich eine Autogrammkarte der Hauptdarstellerin aus „Britta-ein Leben für die Liebe“. Das bekam ich für einen Schnäppchenpreis. Offenbar war diese Schauspielerin noch nicht so gut bekannt. Und ganz sicher würde Paul sich darüber freuen. Wie sehr er sich darüber freute, konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen. Wir legten die Geburtstagsfeier auf eine soapfreie Zeit, luden an die zwanzig Freunde ein und hatten eine lustige und ausgelassene Feier. Das schönste Geschenk, das Paul zu seinem Geburtstag bekam war nicht etwa der komplette Satz von Beethovens Unvollendeter. Nein, auch nicht die seltene Sammlung von Vatikan-Briefmarken. Nicht einmal der Gutschein für ein First-Class-Wellness-Wochenende mit Vier-Gänge-Menü und Ganzkörpermassage konnten den Glanz in seine Augen zaubern, den er hatte beim Anblick der handsignierten Autogrammkarte von Britta. „Nein!!“ stammelte er nur. „Ist sie nicht wunderschön??!!!“ Fasziniert betrachtete er minutenlang das leicht unscharfe Portrait einer brünetten Frau Mitte Zwanzig. „Paul“ , flüsterte ich ihm zu, „P a u l !, wir haben Gäste!“

„Ja, natürlich, Schatz, entschuldige bitte“, gab er, leicht entrückt, zur Antwort und legte die Autogrammkarte auf seinen Schreibtisch.

Am nächsten Morgen weckte mich ein lautes Hämmern aus dem Tiefschlaf. Als ich nachschaute, woher der ohrenbetäubende Krach kam, sah ich wie Paul gerade dabei war, das Autogrammkartenfoto über seinen Schreibtisch zu hängen. Zu diesem Zweck hatte er unser Hochzeitsfoto, das sich davor in diesem Rahmen befand, entfernt. Dieses lag nun achtlos in einer Ecke.

„Was meinst Du, Paul? Sollten wir nicht bald mal einen Eheberater aufsuchen?“

„Warum denn das, Schatz?“, antwortete er, „ ich liebe Dich doch!“

„Ja! Mich. Und Britta. Und…“ schluchzte ich.

Zumindest konnte ich erreichen, dass unser Hochzeitsfoto wieder an seinem angestammten Platz landete. Und Britta? Nun, die musste sich mit einer Ecke seines Schreibtisches begnügen. Punktsieg für mich!

 

Und morgen, morgen geht’s weiter! Ob Britta noch rechtzeitig gerettet wird???

 

 

 

 

 

                                                        E N D E

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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