Diethelm Reiner Kaminski

Tierfreunde



Aus Tieren machte ich mir nichts. Schon als Kind wünschte ich mir weder Hamster noch Hund, weder Zierfische noch Wasserschildkröten wie andere Kinder, sondern zog technisches Spielzeug schmutzenden, haarenden, pflegeintensiven Lebewesen vor. Nicht dass ich Tiere hasse. Ich möchte eher sagen, ich bin ihnen gegenüber indifferent. Als spürten die Tiere meine Gleichgültigkeit, liefen sie mir regelrecht nach. Katzen strichen mir, kaum dass sie meiner ansichtig wurden, schnurrend um die Beine oder sprangen mir, wenn ich auf der Terrasse auf meinem Gartenstuhl einnickte, auf den Schoß und kuschelten sich ein. Fremde Hunde folgten mir bis zu meinem Haus und blieben schwanzwedelnd vor dem geschlossenen Gartentor stehend. Elstern, Meisen, Ringeltauben, selbst Rotkehlchen und Eichelhäher kamen im Winter bis auf die Veranda geflogen und warteten geduldig darauf, dass ich sie fütterte. Da konnten sie lange warten. Kein Vogel hat je ein Korn von mir gekriegt. Den Teufel würde ich tun, die ungebetenen Gäste auch noch anzulocken und zu verwöhnen. Dennoch kamen sie immer wieder, als wollten sie mir zeigen, dass sie den Glauben an meine Tierliebe noch nicht verloren hätten.
Eines schönen Sonntags erblickte ich zu meinem Entsetzen eine Rotte Wildschweine –  einen Keiler, eine Bache und ein halbes Dutzend Frischlinge – in meinem Vorgarten.
Ich befürchtete schlimmste Verwüstungen, aber nichts dergleichen. Die Wildschweinfamilie stand geschlossen wie Bundeswehrrekruten beim Morgenappell. Sie schnüffelten mit ihren kurzen Rüsseln in Richtung Fenster, an dem ich hinter der Gardine stand und sie ängstlich beobachtete, und zogen nach einer Weile durch ein Loch im Zaun wieder ab, das ich seit langem hatte reparieren wollen. Schaden hatten sie, soweit ich das überblicken konnte, keinen angerichtet.
Eine Woche drauf, wieder an einem Sonntag, reckten zwei ausgewachsene Pferde ihre Hälse über den Zaun. Vollkommen ruhig, abwartend, geduldig, als hätte ich sie für eine bestimmte Uhrzeit bestellt. Sie schnaubten ein paar Mal und trabten dann davon. Das konnte ja heiter werden. Mein Haus war doch kein Tierheim oder Reiterhof. Ich konnte beschwören, dass ich weder die Wildschweine noch die Pferde zu einem Besuch ermutigt hatte. Von dem Gedanken, Stacheldraht entlang der Umzäunung anzubringen, rückte ich aus ästhetischen Gründen wieder ab.
Die Folge der Unterlassung war, dass am Sonntag drauf drei Dromedare es sich auf meinem Rasen gemütlich machten, und wieder eine Woche später ein tapsiger Braunbär.
Auffällig war, dass keins der Tiere Schäden angerichtet, nicht einmal seinen Kot hinterlassen hatte, mal abgesehen von den unvermeidlichen Spuren der Hufe oder schweren Körper im Erdreich oder auf dem Rasen.
Wer würde mich als nächster besuchen? Etwa Zebras und Gnus, Elefanten und Nashörner? Nichts wollte ich mehr ausschließen.
Nein, keine weiteren Tiere besuchten mich, nur mein früherer Studienfreund Robin, den ich schon fast vergessen hatte. Er legte mir freundschaftlich seinen Arm um die Schulter und sagte: „Erstickst du nicht vor Einsamkeit – so allein in deinem großen Haus? Ich hätte einen Vorschlag, der dich aus dieser misslichen Lage befreien könnte. Wir haben doch schon als Studenten gerne zusammen gewohnt und sind glänzend miteinander ausgekommen. Ich bin gerade in ziemlicher Verlegenheit. Du erinnerst dich: Ich bin ein großer Tierfreund und unterhalte einen kleinen privaten Tierpark. Den wollen sie mir schließen. Ich habe in den vergangenen Wochen schon die eine oder andere Abordnung zu dir geschickt, damit die Tiere sich dein Haus und deinen Garten genauer anzuschauen und anfangen, sich an dich zu gewöhnen. Vermutlich hast du sie gar nicht bemerkt. Ich hatte sie eigens gebeten, sich leise und rücksichtsvoll zu verhalten und dich nicht zu belästigen.“
„Und?“, fragte ich halb amüsiert, weil ich nicht recht wusste, ob das Ganze ein Scherz war, halb schockiert, weil ich mir die Verlagerung des Heimattiergartens in mein Haus, meine Garage und in meinen Garten lebhaft vorstellte. „Welchen Eindruck haben deine Lieblinge von mir gewonnen?“
„Durchaus keinen schlechten. Ein wenig tierscheu warst du schon immer, aber das wird sich legen, wenn du dir Mühe gibst. An den Tieren soll es nicht liegen. Können wir jetzt die Runde machen, um festzulegen, welches Tier wo untergebracht wird?“
Ich protestierte: „Mit deinem Zoo unter einem Dach? In meinem Haus? Und dann auch noch mit dir? Wir und uns gut vertragen? Schon damals hat mich deine Affenliebe zu Hunde und Katzen total genervt. Kommt überhaupt nicht in Frage. Lieber sterbe ich einsam und allein.“
„Das kannst du schneller haben, als dir lieb ist“, grinste Robin und ließ eine grüne Viper aus einer Tasche seiner Lederjoppe züngeln. „Sei so lieb, und geh voraus. Du kennst dich hier besser aus als ich.“

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