Diethelm Reiner Kaminski

Es geht wieder bergab



Wie jeden Morgen kaufe ich mir am Kiosk meine tägliche Nikotinration und ärgere mich wie jeden Morgen, weil ich meine Sucht nicht in den Griff kriege und sie auch noch mit fast 5 Euro unterstütze.
Der Kioskbesitzer reicht mir die Schachtel und sagt: „Zwei Euro.“
Ich glaube mich verhört zu haben und frage: „Nur zwei Euro?“
„Ja“, sagt er, „Rauchwarenwerbewoche, um den sinkenden Umsatz bei Zigaretten und Zigarren anzukurbeln. Die Regierung verzichtet vorübergehend auf ihren Steueranteil.“
„Wenn das so ist“, sage ich, „geben Sie mir doch gleich noch zwei Schachteln.“
„Warum so bescheiden?“, fragt er. „Andere schleppen gleich mehrere Stangen weg.“
„Geht denn das?“, will ich wissen.
„Klar“, sagt er, „solange der Vorrat reicht."
Das zweite Ärgernis des Tages sind gewöhnlich die Tankstellen, die schon wieder eine drastische Erhöhung des Benzinpreises anzeigen. Nicht so heute. Statt 1,49 kostet Super bleifrei 1 Euro. Das kann wohl nur ein Versehen sein. Trotzdem reihe ich mich in die lange Schlange der wartenden Autos ein. Über der Eingangstür sehe ich ein großes Schild: ‚Mobilitätsaktionswochen‘.
Ich tanke voll und lasse mir auch noch zwei 40-Liter-Kanister als Reserve füllen.
„Wie lange dauern denn die Aktionswochen?“, frage ich. „Bis einschließlich 9. Mai“, gibt der Kassierer Auskunft. „Kann durchaus sein, dass die Preise noch weiter sinken.“ Fast ärgere ich mich, dass ich in meiner Gier so viel getankt habe.
Ich halte auch schnell noch beim Bäcker, um mir zwei belegte Brötchen und einen coffee to go zum Frühstück zu holen.
Normalerweise kostet mich das 5 Euro. Heute nur 1,50.
Fünfzig Cent pro gekauftem Teil. „Wie das?“, frage ich.
„Den Umsatzausfall kriegen wir von der Landesregierung erstattet“, sagt die Verkäuferin. „Möchten Sie noch zwei Brötchen oder vielleicht lieber eine Sahneschnitte?“
Da fällt mir ein, dass ich meinen Kolleginnen im Büro noch eine Einladung zu Kaffee und Kuchen schulde, weil ich am Sonntag Geburtstag hatte.
„Wenn das so ist, geben Sie mir bitte zehn Sahneschnitten und ebenso viele Puddingteilchen.“ Zehn Euro das ganze Tablett, das normalerweise das Drei- oder Vierfache gekostet hätte. So billig bin ich noch nie bei meinem Geburtstag weggekommen.
Meine Kolleginnen ziehen lange Gesichter. „Schon wieder Kuchen … Du bist ja auf einmal so großzügig. Na ja, bei den lächerlichen Preisen …“, aber den Kuchen rühren sie nicht an, weil sie sich selber schon mit Kuchen eingedeckt und vollgestopft haben.
„Gottseidank, es geht es wieder bergauf mit der deutschen Wirtschaft“, rufe ich aus. „Die Preise sinken. Endlich kriegt man wieder was für sein Geld. Dank der klugen Wirtschaftspolitik unserer Landesregierung brechen paradiesische Zeiten an.“
„Träum weiter“, sagt Elisa Schinkel, die Buchhalterin der Firma,
„Kapierst du nicht? Es geht bergab. Spätestens nach den Wahlen am 9. Mai. Die plötzlichen Preissenkungen sind doch wohl Warnung genug. Du kannst dich schon mal warm anziehen. Ich für meinen Teil boykottiere mit meinen Parteifreunden dieses durchsichtige Manöver. Nach dem 9. Mai werden die Wahlgeschenke wieder eingesammelt, dann wird euch Schafen das Fell über die Ohren gezogen, das kannst du mir glauben.“
Soll ich dieser rot angehauchten Agitatorin, die immer alles miesmacht, Glauben schenken?
Ich ziehe mich mit dem Kuchentablett in mein Büro zurück und verschlinge fünf Sahneschnitten und drei Puddingteilchen, bis mir speiübel wird. Den restlichen Kuchen deponiere ich im Gemeinschaftskühlschrank und schreibe in großen Druckbuchstaben meinen Namen auf das Einwickelpapier, damit ihn mir kein Unbefugter wegfrisst. Es ist ja nicht gänzlich auszuschließen, dass ich mir nach dem 9. Mai keinen Kuchen mehr leisten kann.
 



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