Sokrates ist in einem größeren Schulkomplex zu Besuch. Das ist er öfter und das tut er mit großem Interesse – genauer gesagt: das tat er bisher immer mit großem Interesse. Denn er interessiert sich besonders für den Wandel der Pädagogik im Laufe der Zeiten, genauer der pädagogischen Moden, Ziele und der pädagogischen Realitäten. Denn die Schwerpunkte und Zielsetzungen innerhalb der Pädagogik unterliegen wie die sonstigen Moden auch Wandlungen, nicht ganz so schnell und kurzfristig, aber deutlich im Vergleich der Zeiten feststellbar. Mal ist er bei seinen Schulbesuchen bekannt und entsprechend ist sein Urteil gefragt, mal ist er unbekannt und dann gilt er als komischer interessierter Sonderling. Diesmal ist er bekannt, denn er war schon wiederholt in diesem weitläufigen Schulkomplex und dadurch hat sich herumgesprochen, wer der freundliche neugierige alte Sonderling ist, der da lächelnd durch die Schulgänge wandelt, Schüler und Lehrer in Gespräche verwickelt oder sich in Gespräche verwickeln lässt.
Zu dem jetzt folgenden Gespräch ist eine kurze Vor-Information notwenig: In diesem Schulkomplex werden Schüler von der Klassenstufe 5 bis 13 unterrichtet. Es ist dort üblich, dass Lehrer-Teamgruppen Vorschläge zum Schulleben machen. Es sind zwar nur Vorschläge, aber man erwartet doch, dass sich die Kollegen nach diesen Vorschlägen richten. Denn Teamgeist und nicht Individualität ist eine Maxime der Schule, auch wenn ein einzelner Lehrer die Empfehlungen dieser Teamgruppen nicht anspruchsvoll genug findet. Er muss sich dann fügen/anpassen, auch wenn er es mit Zähneknirschen tut, denn Teamgeist ist, wie schon gesagt, wichtiger als anspruchsvolle Zielsetzungen.
In einem kleineren Fachraum mit der Aufschrift „Planungsgruppe für Klassenfahrten“ sitzen einige junge Lehrer, etwas ratlos. Es sind sehr moderne junge Lehrer, das sieht man ihnen am ganzen Outfit an und das merkt man auch an ihrer Sprache, Lehrer also, die selber nichts als modernes Leben als Schüler erlebt haben und die deswegen auch modern sein wollen und die sich bei den Schülern gerne anbiedern, so wie sie es bei den Lehrern, die sie als Schüler hatten, auch erlebt haben. Sie sollen 3 Klassenfahrten als Vorschläge für die Kollegen entwerfen – eine für die Unterstufe, eine für die Mittelstufe und eine für die Oberstufe - und sind dabei nicht gut vorangekommen. Irgendwie haben sie keine Ideen gehabt und schauen deswegen missmutig vor sich hin. Da meint einer der Lehrer:
Ein Lehrer (pfiffig): Heij, hört mal, mir fällt da was ein. Der Sokrates ist doch heute wieder mal in der Schule. Der ist doch viel in Schulen herum gekommen und hat viel gehört. Der hat sicher auch Vorschläge für passende Klassenfahrten. Lasst uns den doch mal holen und fragen… Okeiij? (er zieht den Schluss des Wortes lang hin, so wie es heute moderne junge Leute eben machen)
Die Anderen (nicken und antworten durcheinander): Mensch, Klasse, das ist eine gute Idee… Der hat sicher viel von Klassenfahrten gehört… Vielleicht auch schon viele aus Neugierde mitgemacht… Den wollen wir mal etwas kitzeln und ausquetschen… Super, das ist ein geiler Vorschlag… Holt ihn doch mal rein, wenn er hier vorbei kommt… Last mal die Tür offen stehen….
Als Sokrates nach einer Weile an der offenen Tür vorbei schlendert, kommt ein Lehrer an die Tür und winkt ihn herein. Sokrates folgt dem Wink neugierig und setzt sich zu den jungen Planern an den Tisch.
Ein Lehrer (jovial): Hallo Sokrates, gut, dass Du heute bei uns im Schulzentrum bist. Du hast doch sicher viel von Klassenfahrten gehört. Wir sollen 3 Klassenfahrten als Vorlagen vorbereiten, die die Kollegen dann in der Praxis umsetzen sollen. Aber wir sitzen gerade auf dem Schlauch und bringen nichts Gescheites hin. Hast du einige gute Impulse für uns arme gestresste Lehrer?
Sokrates: Klassenfahrten! Das ist ein wichtiger Teil der Schulbildung. Das ist Schule in anderer Form an anderem Ort und mit anderen Schwerpunkten, aber immer lehrreich, wenn sie gut und anspruchsvoll geplant sind. Da helfe ich euch gerne, wenn ich kann.
Die jungen Planer (schauen sich entsetzt an und tuscheln leise): Das ist ja schrecklich, so etwas Altmodisches zu hören… Das ist ja von vorgestern… Dass jemand noch so eine Ansicht vertritt… Man nimmt heute doch nicht mehr alles wörtlich, was in den Lehrplan-Empfehlungen steht… Das war ein Fehlgriff, den alten Mann zu fragen… Der macht uns eventuell noch Ärger mit seinem Anspruchdenken… Wir sind doch heute eine ganz andere Schule als früher mit anderen Wertschätzungen… (Dann einer der jungen modernen Planer zu Sokrates)
Ein Planer (etwas verlegen): Tja… Also… Das mit der „Schule in anderer Form“ das steht zwar noch irgendwo in den Rahmen-Empfehlungen, aber das muss man nicht mehr so wörtlich nehmen… Wir haben da eine etwas freiere Einstellung…
Die anderen Planer (abwechselnd): Wir denken da mehr an Erholung vom Schulstress… An Erholung für die Schüler und natürlich auch für uns Lehrer… Und auch an Erholung für die Eltern, denn die sind froh, wenn sie ihr modernes Kind mal für einige Tage los sind… Wir denken da mehr an Ausbrechen aus dem Alltag…, An Spaß haben und mal auf den Putz hauen und mal die Sau rauslassen (ha, ha, ha)…
Sokrates (etwas befremdet): Dass auf Klassenfahrten auch Erholung und Freude gehört, dürfte unbestritten sein, aber im Vordergrund sollte das Lernen in anderer Form und an anderem Ort stehen. Werden denn solche Spass-Klassenfahrten überhaupt von eurer Schulleitung genehmigt oder gibt es nicht wenigstens nachher kritische Besprechungen, wenn außer Spaß nicht viel anderes gewesen ist?
Die jungen Planer (schauen sich verständnislos an und tuscheln wieder): Maaan (das „a“ wird lange gedehnt, wie es moderne junge Leute eben machen), aus welchem fernen Jahrhundert kommt der denn?... Schulaufsicht-Kritik bezüglich Klassenfahrten?... Habt ihr davon schon mal was gehört?...
(Dann laut abwechselnd zu Sokrates, etwas vorsichtig): Wir haben noch nicht gehört, dass Klassenfahrten vorher oder nachher kontrolliert worden sind… Außer wenn es um die Kosten ging… Es wird nur gefragt, ob es schön war. Und wenn das bejaht wird – und das wird bei unseren Fahrten immer bejaht – dann ist alles OKeiiij (der Sprecher dehnt den Schluss so lange wie möglich, so wie das eben junge Leute heute tun)… Vielleicht wird irgendwo von einer Kontrolle in den Rahmen-Empfehlungen geschrieben, aber damit ist es so ähnlich wie mit den Verkehrszeichen in Italien: Man stellt sie sicherheitshalber mal auf, aber keiner kümmert sich darum… Bei uns ist noch keine Klassenfahrt deshalb nicht genehmigt worden, weil zu wenig Programm enthalten gewesen wäre… Und dem kann man ja vorbeugen und irgendetwas „Gescheites“ als Programmpunkt ankündigen, aber ob und wieweit das eingehalten wurde und wirklich „gescheit“ war, danach fragt hier anschließend niemand… Hier geht es nur um: „die Fahrt war gut“, „wir haben Spaß gehabt “… Weißt Du, wir machen hier mehr so einen freien Schul-Tourismus…
Sokrates (steht auf und will gehen): Da bin ich bei euch wohl falsch. Ich dachte, ich sollte euch Anregungen für gute Klassenfahrten geben. Aber was eine gute Klassenfahrt ist, darüber haben wir offensichtlich unterschiedliche Vorstellungen. Eueren Fahrtenstil finde ich nicht richtig, viel zu oberflächlich. Klassenfahrten sind kein Schul-Tourismus. Euch kann ich nicht raten.
Ein junger Planer (hält Sokrates am Arm zurück): Gemach, gemach, lassen Sie uns doch mal ins Konkrete gehen. Vielleicht können Sie uns da ja doch etwas raten. Also wir sollen eine Fahrt für die Unterstufe, eine für die Mittelstufe und eine für die Oberstufe als Rahmenentwürfe planen. Fangen wir doch mal mit der Klassenfahrt für die Unterstufe an.
Die anderen Planer (abwechselnd): Also, die Klassenfahrt soll ca. 1 Woche dauern und natürlich auch schon für die Unterstufe möglichst weit fort gehen. Wer fährt denn noch in die weitere oder gar nähere Umgebung…. Natürlich nicht zu weit, sonst bleibt ja für die höheren Klassenstufen kein „Kick“ mehr übrig…. Aber wenn die Fahrten nicht weit genug fort gehen, dann haben wir eventuell dauern neugierige oder besorgte Eltern vor der Tür stehen… Der Umkreis von 100 km von der Schule sollte jedenfalls überschritten werden…
Sokrates (hat sich nicht hingesetzt, bleibt aber am Tisch stehen): Weshalb sollen die Ziele für die Schüler der Unterstufe so weit gehen? Kennen die denn ihren näheren und weiteren Heimatraum wirklich schon so gründlich? Ich denke…
Die Planer (unterbrechen Sokrates): Also den Terminus „Heimatraum“ oder „Heimat“ benutzen wir nicht gerne… Der hat für uns so einen „braunen“ Beigeschmack… Wir reden nur von „Wohngebiet“ und „Schulstandort“. Und außerdem, was soll denn das „gründliche Kennenlernen“: Das ist im ganzen Schulbetrieb „out“. Wir vermitteln viele verschiedene Eindrücke und Wissenshäppchen. Spezielles muss sich jeder später selber je nach seinen Interessen heraussuchen… Also was könnte man auf einer solchen Unterstufenfahrt alles machen. Haben Sie einen Vorschlag, Sokrates?
Sokrates (wollte gerade doch gehen, macht aber noch einmal einen Versuch zu raten):Aus meinen Erfahrungen weiß ich, dass Jugendlich in diesem Alter z.B. offen sind für Pfadfinderspiele, also denke ich…
Die Planer (unterbrechen ihn): Pfaaaaadfinder? Das hat für uns so einen militaristischen Beigeschmack… Gleiche Kleidung, Messer an der Seite, Nachtwachen, Anschleichen… Wir bereiten doch nicht für die Bundeswehr vor… Und möglichst auch noch einfaches Essen im Hordenpott selbst kochen (ha, ha, ha), dafür fährt hier kein Schüler auf Klassenfahrt…
Sokrates (nun doch neugierig geworden): Welche Programmpunkte haltet ihr denn für geeignet in dieser Altersstufe?
Die jungen Planer (abwechselnd): Die heutigen Jugendlichen zwischen 11 und 13 Jahren beginnen sich intensiv mit dem Computer und dem Handy zu beschäftigen. Das wäre z.B. eine tolle Fahrt, wenn man eine Jugendherberge mit PC-Zimmern wüsste. Da könnte man die Schüler tagelang in den PC-Zimmern beschäftigen mit Computerkursen und Computerspielen… Kennen Sie eine solche PC-Jugendherberge?
Und man könnte auch alle Fastfood-Restaurants mit den Schülern besuchen. Auch das zieht in dieser Altersstufe besonders…
Und die Schüler sollen sich ungehindert endlich mal austoben können. Das können sie als verwöhnte Einzelkinder, und das sind die meisten, häufig nicht zu Hause tun. Raufen, balgen, kämpfen, schreien, kurz toben, sollen sie eine Woche dürfen. Kennen Sie eine solche Jugendherberge, wo man neben den PC-Angeboten die Schüler auch ungehindert toben lassen kann?
Und man müsste mit den Schülern üben, eine ganze Nacht „durchzumachen“. Das sollten moderne Kinder so früh wie möglich lernen, das brauchen sie für das moderne Leben als Erwachsene…
Sokrates (ist erschrocken und schluckt etwas): Die Schüler der Unterstufe sollen z.B. lernen, eine ganze Nacht „durchzumachen“. Ist das denn so wichtig?
Ein Planer: Das gehört unbedingt zum modernen Leben. Kucken Sie sich doch mal bei modernen Festen und Einladungen um… Wer da früh geht ist ein Muffel… Wenn Schule fürs Leben vorbereitet, dann muss sie auch darauf vorbereiten… Wir üben deshalb hier in der Schule mit den Klassen 6 jedes Jahr eine „Durchmache-Nacht“. Wir tarnen das als „Lese-Spiele-Gespräche-Nacht“. Wir legen Matratzen in einem Klassenraum aus und dann sollen die Schüler die ganze Nacht eben mit Lesen, Spielen und Quatschen verbringen - aber nicht schlafen. Wer einschläft, wird geweckt. Das kann man auf einer Klassenfahrt noch intensivieren.
Sokrates (erkennbar besorgt): Und dagegen wendet sich niemand? Keine Eltern, keine Lehrer, keine Öffentlichkeit?
Die anderen Planer: Einsprüche von Eltern kriegen wir sofort zum Schweigen, wenn wir solche Eltern als „völlig veraltet, völlig verstaubt“ in ihren Ansichten brandmarken. Davor haben Eltern heute die meiste Angst, als altmodisch zu gelten… Und mit so altmodischen Kollegen machen wir es ähnlich und zwar vor allen Schülern stellen wir die bloß und isolieren sie. Das wirkt meistens prima… Die Schulleitung hält sich da ganz heraus… Und man glaubt ja nicht, wie viele Politiker es sich als festes politisches Ziel gewählt haben, alles Altmodische, Verstaubte, Konservative mit Stumpf und Stiel auszurotten…
Uns modernen Lehrern gehört an den Schulen die Zukunft, die anderen stehen mit dem Rücken an der Wand…
Sokrates (wendet sich jetzt zum Gehen): Ich weiß jetzt, dass ich euch nicht raten kann. Mir geht es übrigens nicht um altmodisch-konservativ und um modern-fortschrittlich, sondern um anspruchsvoll und richtig. Das kann sowohl im Konservativen wie im Modernen zu finden sein. Aber hier bei euch höre ich nur Oberflächlichkeiten heraus.
Ein Planer (hält Sokrates am Arm zurück): Gemach, gemach Alter, man darf doch auch unterschiedlicher Meinung sein… Aber vielleicht können Sie uns bei einer Planung einer Klassenfahrt für die Mittelstufe helfen… Also wir sollen eine Rahmenplanung für eine mindestens einwöchige Klassenfahrt in der Mittelstufe entwerfen. Was könnte man da als mögliche Programmpunkte auflisten. Haben Sie eine Idee?
Sokrates (versucht es noch einmal, auch wenn es schwer fällt): In dieser Altersstufe waren nach meinen Erfahrungen naturkundliche Projekte oder landschaftskundliche Aspekte sinnvoll. Ich könnte mir z.B. eine Zusammenarbeit mit der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald oder mit ökologischen Organisationen vorstellen oder die Erkundung einer historischen Stadt, die ihre Altstadtkerne und Geschichtsdenkmäler restauriert. Bei solchen Themen können die Schüler viele Bezüge zum Unterricht in Biologie, Geografie und Geschichte herstellen. Konkreter denke ich z.B. an ein Waldpraktikum im Harz oder sonst wo im Mittelgebirge oder an eine historische Kleinstadt am Main… Und mit den Schülern sollten Wanderungen gemacht werden. Dabei erfahren sie am besten die Merkmale einer Landschaft.
Die jungen Planer (unterbrechen Sokrates respektlos und sprechen abwechselnd): Naturkundliche, geografische, biologische Aspekte… Das machen die Schüler genügend im Schulunterricht, das muss nicht noch auf einer Klassenfahrt fortgeführt werden…
Und Wanderungen machen… Da würdest Du allein an diesem Tag wandern. Wer wandert denn von unseren Schülern noch gerne?... Die meisten sind übergewichtig oder haben Muskelschwäche durch das viele Sitzen und mit dem Auto fahren… Lass diesen Blödsinn mit Wanderungen…
Und als Fahrtenziele das Mittelgebirge oder der Main… Das ist für uns und die Schüler unakzeptabel. Es muss mindestens die Nordsee oder die Alpen sein, wohin man fährt. Auch Norditalien ist ein gutes Ziel… Alles andere ist für unsere Schüler eine erweiterte Wochenendfahrt mit Nachbarnbesuchen…
Und was das Programm betrifft: Die Schüler von heute wollen am Meeresstrand Rad fahren, faulenzen, schwimmen oder in den Bergen mit Seilbahnen auf Berge fahren und auf sonnendurchfluteten Almen in der Höhensonne liegen. Und dann wollen sie erste Bekanntschaften mit Mädchen machen, wollen und sollen nachts schmusen lernen… Diese Erfahrungen so früh wie möglich machen gehören auch zu unserer modernen Pädagogik, das brauchen die Schüler fürs spätere Leben. Denn was ist heute noch Dauer-Ehe und Familie?... Spaß haben und sich nirgends zu dauerhaft festlegen, das ist die moderne Lebensform und dafür müssen die Schüler vorbereitet werden, auch auf den Klassenfahrten vorbereitet werden…
Sokrates (erkennbar noch besorgter als vorher): Die Schüler sollen nachts schmusen lernen? Was sagen denn die Eltern dazu, dass sie so konkrete Erfahrungen sammeln sollen?
Die jungen Planer (lachend und abwechselnd): Welche antiquierten Moralvorstellungen haben Sie denn? … Die moderne Wirklichkeit sieht anders aus… Die Dauer-Ehe ist doch tot… Wie viele Politiker gehen im modernen Beziehungs-Swing uns voran… Und selbst hohe Politiker praktizieren offen die homosexuelle Ehe… Für eine solche neue Gesellschaft müssen die modernen Schüler vorbereitet werden, nicht für ihre antiquierten moralischen Vorstellungen… Auf einer Klassenfahrt von mir waren einmal die Mädchen einer fremden Klasse nachts in die Zimmer unserer Jungen gegangen und der fremde Lehrer hatte das gemerkt. Als der die Mädchen heraus holte, habe ich den fertig gemacht, vor meinen und seinen Schülern. So geht das heute an modernen Schulen…
Sokrates (etwas ratlos): Aber ist denn darüber hinaus kein etwas anspruchsvolleres Programm geplant oder üblich?
Ein junger Planer (grinsend): Optisch macht es natürlich einen guten Eindruck, wenn man z.B. „Erkundung der Landeshauptstadt“ in die Liste mit den Klassenfahrtzielen der Mittelstufe einträgt. Aber weiter hatte ich mich nie vorbereitet. Alles Weitere ergab sich, wenn wir in der Stadt-Jugendherberge angekommen waren. Einmal (er schiebt sein Gesicht noch mehr grinsend vor) habe ich den Herbergsleiter gefragt, was man denn alles in der Landeshauptstadt besuchen könne. Und da hat der mir den Plan einer Schule hin geschoben, die sich sehr anspruchsvolle Programmpunkte vorgenommen hatte. Und das habe ich dann teilweise auch gemacht, teilweise, damit noch Zeit für das andere blieb, ha, ha, ha. So muss man das machen: Andere Fleißige machen die Arbeit und man hängt sich hinten dran, ha, ha, ha…
Sokrates (nun aber entschlossen, endgültig zu gehen): Wir haben offensichtlich sehr unterschiedliche Anspruchsebenen. Ich kann euch nicht raten. Ich werde jetzt…
Ein Planer (hält Sokrates am Arm zurück): Gemach, gemach lieber Sokrates, Du bist einfach nicht mehr „up to date“. Die neue Zeit hast Du nicht verstanden. Du bist zu kopflastig und charakterorientiert. Vielleicht kannst Du uns aber doch etwas Nützliches sagen bezüglich Klassenfahrten in der Oberstufe. Das Schüleralter der Oberstufe ist doch hauptsächlich dein Bereich gewesen.
Sokrates (nimmt sich sichtlich zusammen): Gut, Ich werde es noch einmal versuchen, man soll nicht zu schnell aufgeben. Also in die Oberstufe gehören nach meiner Meinung anspruchsvolle Studienfahrten mit Museumsbesuchen, Theatervorstellungen, Referaten vor Ort durch die Schüler zu den jeweiligen Objekten…
Die Planer (stecken verzweifelt die Köpfe zusammen und tuscheln): Es hat keinen Sinn, das war nach den ersten Sätzen dieses antiquierten Pädagogen erkennbar…. Er kann sich einfach nicht mit der modernen Schulwelt und dem modernen Leben vertraut machen… Bringen wir es zu Ende.
Die Planer (wenden sich zu Sokrates): Sokrates, unsere Schüler und wir, wir haben da andere Schwerpunkte. Studienfahrten machen wir auch, aber unsere Studien sind anders als Deine antiquierten Vorstellungen.
Wir tun es zuerst einmal, und das muss klar gesagt werden, nicht unter „Auslandsfahrt“. Unsere Ziele sind z.B. Paris, Südfrankreich, London, Rom, Prag, Warschau, Moskau, usw. Das ist der richtige Kick für eine Klassenfahrt in der Oberstufe. Nur keine anspruchsvollen und klein-karrierten Fahrten. Natürlich machen wir auch Stadtrundfahrten und besuchen Museen, das ist für die Optik nach außen gut, aber alles nicht unnötig lange. Denn bei den kulturellen Studien heißt es bei uns „nur dünn drüber“, damit genug Zeit für die anderen Schwerpunkte bleibt.
Denn natürlich betreiben unsere Schüler auch weitere Studien, z.B. wie das ausländische Bier schmeckt und wie die fremden Mädchen bzw. die fremden Jungen sind. Und wir legen großen Wert darauf, dass sich unsere Schüler mit Menschen im Ausland möglichst viel unterhalten und viele Kontakte knüpfen. Denn das stärkt das multikulturelle Europa. Unsere Studien sind also mehr angenehmer soziologischer Natur. Am liebsten haben wir es, wenn wir statt in Herbergen die Schüler in Privatfamilien unterbringen können… Dann haben wir die wenigste Betreuungs-Arbeit…
Und wir sind dann selber weitgehend frei… Ich habe da einmal eine ausländische Lehrerin kennen gelernt und habe natürlich sofort bei der gewohnt. Die Schüler wussten das alle… Aber ich habe mich auch nicht um deren Erfahrungen damals gekümmert… Mich wundert noch heute, dass keine unserer Schülerinnen schwanger geworden ist bzw. kein Schüler Vater geworden ist. Aber sie waren ja alle bereits 18 Jahre und da trägt die Schule bzw. der begleitende Lehrer sowieso keine Verantwortung mehr… Das ist auch gut so, denn wir sind allenfalls Stoffvermittler und keine anspruchsvollen Erzieher…
Bei diesen letzten Worten dreht sich Sokrates endgültig zum Gehen herum und sagt:
Sokrates: Ich weiß, dass das, was ich hier bei euch gehört habe, nicht typisch für die Mehrzahl der Klassenfahrten ist. Aber hoffentlich verbreiten sich solche Einstellungen nicht noch weiter.
Dann geht er hinaus. Er wird auch von keinem der modernen Klassenfahrten-Planer aufgehalten. Diese sitzen dafür nachdenklich in ihrem Projektraum und ab und zu murmelt einer:
Die Planer (enttäuscht und abwechselnd): Jetzt hatten wir gedacht, wir bekämen ein paar gute Tipps… Aber natürlich nicht von diesem „Anspruch-Spinner“, das hätte man sich denken können… Nur gut, dass sich die Zeiten zumindest an einigen Schulen wie hier geändert haben… Aber hinter uns modernen Lehrern stehen mehr Politiker, als man vermutet, die hauptsächlich nur zufriedene Schüler haben wollen und sich um Ansprüche in den Schulen nicht viel kümmern… Wir müssen mal an anderen Schulen Lehrer fragen, die ähnlich denken wie wir und um deren Klassenfahrten bitten… Oder die Bundesbahn bietet doch Klassenfahrten an. Da suchen wir uns die leichteste heraus… Oder wir fragen mal bei Reisebüros. Auch dort gibt es Klassenfahrten-Angebote zuhauf… Oder natürlich schauen wir mal im Internet nach. Dort gibt es bestimmt alle Arten von Klassenfahrten zum Herunterladen, teilweise mühsam ausgearbeitet von fleißigen Lehrern für uns faule Lehrer, damit wir diese Muster einfach übernehmen können… Egal, wie wir hier weiter kommen, Hauptsache ist, dass die Vorbereitungen und Durchführungen wenig Mühe machen und gleichzeitig allen Schülern die Fahrten Spaß machen… ha, ha, ah.
(Aufgeschrieben von discipulus socratei, dem Sokrates dieses bedrückende Erlebnis erzählt hat. Und, so fügt discipulus socratei hinzu, der früher einmal selber Lehrer war:
Keines der hier notierten Argumente und keine der hier erzählten Begebenheiten sind erfunden, sondern alle, wirklich alle, hat er entweder selber erlebt oder von Kollegen erzählt bekommen. Und vermutlich gibt es an fast jeder Schule Lehrer, die entweder solche anspruchslosen modernen Klassenfahrten selber durchführen oder gerne machen würden. Und er ist sich auch bewusst, dass nirgends im Schulleben so schön klingende Empfehlungen bestehen und gleichzeitig so wenig kontrolliert wird wie bei Schulfahrten)
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Der Beitrag wurde von Helmut Wurm auf e-Stories.de eingesendet.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 20.09.2010.
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