Diethelm Reiner Kaminski

So geht es auch



Herr Schurig möchte nicht belästigt werden, und belästigt fühlt er sich von all den Rechnungen, Mahnungen und Bußgeldbescheiden, die fast täglich in seinen Briefkasten flattern. Er öffnet die grauen und blauen Umschläge schon lange nicht mehr. Seine Putzfrau, die zweimal in der Woche seine Wohnung sauber macht, in der es, weil sich Herr Schurig die meiste Zeit in seiner Kanzlei aufhält, kaum etwas zu säubern gibt, hat Anweisung, alle in der Diele, im Wohn- oder Schlafzimmer herumliegenden ungeöffneten Briefe einzusammeln und diskret zu entsorgen. Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß.
Am fehlenden Geld liegt es nicht. Herrn Schurigs Bankkonten – er hat sogar eins in der Schweiz – sind dick genug, sodass er allen finanziellen Verpflichtungen mit Leichtigkeit nachkommen könnte. Herr Schurig verweigert sich aus Prinzip. Freunde haben ihm schon oft geraten, Abbuchungsgenehmigungen zu erteilen. „So weit kommt es noch, dass ich Fremden gestatte, sich von meinen Konten zu bedienen“, wird ein solcher Vorschlag regelmäßig abgeschmettert. Strom, Gas, Wasser und Telefon sind ihm wegen der unbezahlten Rechnungen schon mehrmals abgestellt worden, aber zur Not kommt er auch mit Kerzen und ein paar Wasserkrügen aus. Große Ansprüche stellt er nicht. Oder er zieht im Winter für eine Weile in ein Hotel. Herr Schurig hat auch gute Bekannte bei den Stadtwerken und bei der Telefongesellschaft. Ein Anruf genügt, und sie schießen ihm den fälligen Betrag bereitwillig vor, sodass die Sperre schnell wieder aufgehoben wird. Herr Schurig gibt ihnen das Geld irgendwann in bar zurück. Sogar mit Zinsen oder er lädt sie zum Essen ein, denn Herr Schurig ist nicht geizig. Er ist auch nicht naiv. Er weiß, es kann nicht mehr lange dauern, da steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür. Doch darüber ist er nicht unglücklich. Den hat er längst eingeplant. Sollen sie ihm doch sein Auto, die elektrischen und elektronischen Geräte und die von seinen Eltern geerbten Möbel wegnehmen. Dann schafft er sich endlich ein neues Auto an und richtet sich modern ein, wie er es schon lange vorhat. Die geerbten Möbel hat er noch nie leiden können. Er hat sie nur behalten, um das Andenken an seine früh verstorbenen Eltern in Ehren zu halten. Durch den Besuch des Gerichtsvollziehers spart er sogar noch die Kosten für den Abtransport. Leid tut es ihm nur um den Steinway-Flügel seiner Mutter, aber auch den kann er verschmerzen, weil er selbst gar nicht Klavier spielt.
Herr Schurig überschlägt grob die durch seine Verweigerung gewonnene Lebenszeit, die er für seine liebste Beschäftigung – Lesen – gewonnen hat. Er ist mit sich zufrieden. Wie es weitergeht, sobald er seine Wohnung neu eingerichtet hat, darüber macht er sich keine Gedanken. Es wird sich zeigen, wenn es soweit ist.
 

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