Kurt Henke

Meister Hauer Felix

Gerne erinnere ich mich an die Zeit vor 70 Jahren. Mein Wunschberuf Landvermesser zu werden, hatte ich nicht wahr werden lassen können. Es hätte zu meinem Lieblingsfach in der Schule gepasst. Es gab in der ganzen Umgebung nur eine Firma, dort war der einzige Platz schon vergeben. Mein dann gefasstes Vorhaben, auf der Zeche Werne zu starten, war schon leichter möglich. Ich hatte mich erkundigt, dass bei einer erfolgreichen Lehrzeit und Ausbildung an den einzelnen Schulen, auch ohne Abitur, es bis zum Betriebsführer geschafft werden konnte. Für ein Abitur selber hatte mein Vater als Bergmann nicht das erforderliche Einkommen..

Am ersten April 1937 verfuhr ich dort Übertage meine erste Schicht, als Berglehrling. Mein Verdienst pro Tag war 1,57 Mark. Hört sich das heute auch unmöglich an, dann darf ich sagen, dass die Zeiten damals noch schlechter waren, als heute. Bei der Wohlfahrtunterstützung meines Vaters, er war einige Jahre erwerbslos, War an Abitur nicht zu denken. Es kam nicht selten vor, dass meine Mutter mich zum Schlachter schickte, für einen Groschen Abfallwurst zu holen

Nach Beendigung der bergmännischen Berufschule wurde ich als Knappe in die Grube verlegt. Gleichzeitig begann für mich die Aufbauklasse. Diese, eine freiwillige Unterrichtszeit
vor Beginn der Bergschulen. Mein erster Arbeitspatz war Untertage das Aufschieben der Förderwagen auf den Förderkorb. Eine Arbeit, die mir des Nachts den Schlaf raubte. Ich träumte immer wieder, ich hätte Wagen in den Schacht stürzen lassen. Vor dem Förderschacht gab es einen
Bahnhof, von dem die vollen Kohlenwagen zu Tage gefördert wurden. Diese mussten, aus den Revieren kommend, in langen Zügen von Elektroloks in die Gleise geschoben werden. Der Sumpf im Schacht hatte eine Tiefe bis zu 25 m und mehr, um den vierstöckigen Förderkorb mit seiner Länge Platz zu geben. Dieser wurde wie ein Aufzug, nach Lautzeichen vom Fördermaschinisten Übertage gefahren. Nach einander mussten die vier Förderetagen mit je zwei Kohlenwagen gefüllt werden.

Dabei hatte ich die Aufgabe, zunächst die Förderwagen los zu knebeln. Die Knebel bestanden aus Haken und Bügel, die an beiden Seiten der Wagen in 10 cm Höhe über der Gleisanlage .befestigt waren. Die letzten zehn Meter der Gleisanlage hatten so viel Gefälle, dass die Wagen von allein nachrollten Die zusammengekoppelte Wagenschlange zog ich mit einem Elektrohaspel immer wieder in den frei gewordenen Raum der Gleise. Zwei Meter vor dem Schacht stand eine aus schwerem Stahl angebrachte Sperre, eingelassen, die ich immer im richtigen Augenblick zu Öffnen oder zu Schließen hatte. Dazu musste ich einen Hebel bedienen, der mit Pressluft betrieben wurde und die Sperre öffnete oder schloss. Wenn das nicht im richtigen Moment geschah, konnte es vorkommen, dass einer oder auch beide Wagen in den Sumpf stürzten. Mir waren Fälle bekannt geworden, dass es auch schon eine größere Anzahl von Wagen waren, die die Sperre nicht gefasst hatte Das veranlasste immer einen langen Förderausfall. Der den Umständen entsprechend Tage dauern konnte. .

Den Moment des Absturzes in den Schachtsumpf erlebte ich oft im Traum, von dem ich dann schweißbedeckt erwachte. Mit Beginn meiner Schulbesuche bekam ich alle sechs Wochen einen neuen Arbeitsplatz zugewiesen. Mir war mit der Verlegung vom Schacht ein dicker ohlenbrocken vom Herzen gefallen, weil ich dem Schacht AD sagen durfte. Ich hatte jeweils nach den abgelaufenen sechs Wochen beim Betriebsführer einen Arbeitsbericht vorzulegen. In der Folgezeit fuhr ich in einem Förderwagen, gezogen von einem Grubenpferd, den Wettersteiger. Dieser musste die verbrauchte Luft auf der 610 m Sohle prüfen und nach schlagfähige Wetter absuchen. Sie konnten sich festgesetzt haben. Die Wettersohle ist im Gegensatz zur 830 m Kohlenfördersohle, eine verbrauchte Luft ausziehende Sohle. Mit einem Riesenventilator wird die schlechte Luft abgesaugt, damit gleichzeitig die frische Luft über den Schacht 830 m in das gesamte Grubenfeld automatisch nachströmt..




Ich hatte bereits einige weitere sechs Wochen Arbeiten hinter mich gebracht. Nunmehr wurde ich zum Meisterhauer Felix in den Querschlagvortrieb verlegt... Der Querscchlag ist eine von Zügen befahrene Hauptfördersohle, mit Schienen ausgelegte Fahrbahn, die von den Führern der Kohlenzüge zum Transport an den Schacht benutzt wurden. Er hat einen besonders großen Querschnitt.

Der Meisterhauer treibt mit seiner Kolonne diesen Fahrweg gleichzeitig mit dem Fortschritt des vorgetriebenen , abgebauten Kohlenfeldes voran. Der Arbeitsablauf besteht aus dem Bohren der Sprenglöcher, das Abschießen der mit Sprengstoff geladenen Löcher, das Abräumen der Gesteinsmasse und das Ausbauen des neuen Freiraumes. Der Querschlag wird immer sölig (wagerecht) vorgetrieben. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Vortrieb durch Gestein oder Kohlenfelder geht. Unsere Gruppe war zu Dritt. Der Hauer, dazu hatten wir einen Hiwi, ein Kriegsgefangener russischer Soldat und meine Wenigkeit. Es war eine stille Absprache, dass wir jeder dem Hiwi zum Buttern eine Doppelstulle mitbrachten. Das beflügelte mehr, als von uns beabsichtigt, seinen Arbeitswillen. So kam es des öfteren vor, dass unser Chef das Arbeitstempo drosselte. Auf das warum befragt, gab er zur Antwort—Weil wir uns mit einer Überleistung doppelt schädigen.

Einmal können wir eine Spitzenleistung nicht auf längere Zeit erbringen. Unser Gedinge (das Arbeitssoll für eine bestimmte Leistung) ist vom Fahrsteiger nach den bisher fast höchsten Ergebnissen angesetzt worden. Alles was über diese Leistung liegt, wird mehr bezahlt, was darunter liegt wird entsprechend abgezogen. Liegen wir weit über die zu Grunde gelegte Arbeit, wird er im nächsten Monat unser Gedinge mit Sicherheit herauf setzen. Darum bremse ich euren Kräfteverschleiß und schone euch für schwerere Zeiten.

Der Unterschied von der Bergvorschule zur Bergschule, die bald anstand, war die Arbeitszeit. Bei der Bergvorschule wurde der Vorteil eingeräumt, bei der Personenbeförderung den ersten Korb benutzen zu dürfen. Das machte möglicher Weis eine halbe Stunde aus. Bei der Bergschule war diese zunächst auf eine sechs Arbeitsstundenzeit festgelegt. Später wurden nur noch drei Tage in der Woche gearbeitet. Das hatte zur Folge, dass mir nicht mehr unter den Bedingungen eines normalen Hauers Arbeiten zugewiesen werden konnten.

Obwohl alle Bergleute von Wehrdienst freigestellt waren, meldete ich mich freiwillig. Wurde verwundet. Verlor den rechten Unterschenkel. Wollte und konnte den Steigerberuf nicht mehr ausüben. Mit 24 Jahren schulte ich zum kaufmännischen Angestellten um und habe auch da erreicht was ich erreichen wollte.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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