Jürgen Berndt-Lüders

Am Stammtisch belauscht (1) Gregor & Angela

Als ich endlich kapiert hatte, dass ich mit meinem Politologie-Studium niemals Millionär werden konnte, war ich froh, im Regierungsviertel am Potsdamer Platz  in Berlin einen Job als Tellerwäscher und Gläserspüler  zu bekommen, zweifelte aber stark daran, von dieser Position aus zum Millionär werden zu können.
 
Mein Spülbecken stand am Rande der Küche, und die Kellner schleppten mir massenhaft schmutziges Geschirr heran. Ich war ziemlich frustriert wegen der vielen Arbeit für 3 Euro 50 die Stunde, bis ich merkte, dass das Lüftungsrohr über mir die Gespräche am Stammtisch direkt hinter der Wand eins zu eins übertrug.
 
Bereits beim zweiten Satz stutzte ich.
 
Die Stimme kennst du doch, dachte ich. Wieder so ein Sprach-Zwilling von Angela, die man ständig im Radio hört.
 
„Ob ich aber immer Zeit habe, mit dir über die Vergangenheit zu plauschen, weiß ich noch nicht, Gregor“, sagte die Imitatorin. „Das kommt auf die Regierungsgeschäfte an.“
 
„Ach, ich quatsche gern über die guten alten DDR-Zeiten“, sagte eine männliche Stimme, die mir verdammt nach dem Original Gregor klang.
 
Ein Kellner balancierte mir 6, 7 Teller mit Spuren von Tomatensauce herüber und ließ sie geräuschvoll in mein Spülwasser gleiten.
 
„Pscht“, fauchte ich ihn an und hielt mir den nassen Zeigefinger über den Mund.  „Was’n los?“, fragte er nicht minder laut. „Wohl’n Gehörschaden von den vielen Demos, was?“
 
„Wer sitzt denn direkt hinter der Wand hier?“, flüsterte ich.
 
„Darf ich dir nicht sagen“, rief er.
 
„Komm, stell dich nicht so an.“
 
„Der Stammtisch ist Regierungsmitgliedern vorbehalten“, meinte er stolz.
 
„Okay, dann zisch ab“, rief ich, um ja nichts zu verpassen.
 
„Weshalb bist du damals eigentlich ausgerechnet in die CDU eingetreten?“ fragte Gregor.
 
„Na, ist doch klar“, quälte sich Angela heraus. „Mit der SED ging’s zuende und alles jubelte dem Helmut  zu. Bei euch hätte ich schließlich keine Karriere machen können.“
 
Gregor überlegte.
 
„Meinst du, ich hätte auch zur CDU gehen sollen?“
 
„Wäre nicht schlecht gewesen. Quatschen kannste ja. Aber du bist ja so eine Art Robin Hood. Die Reichen bestehlen und es den Armen geben, damit sie es versaufen und verqualmen können. Sowas liegt mir fern. Ich gehöre zu den Gewinnern der Wiedervereinigung.“
 
„Aber so hab’ ich’s ja auch zu was gebracht“, fand Gregor schüchtern.
 
„Das konnt’ste damals aber nicht wissen“, stellte Angela fest. „Wenn ich’s mir recht überlege, wäre ich heute auch lieber bei euch. Die Sprüche, die ihr drauf habt,  kenn’ ich ja noch aus DDR-Zeiten. Manchmal macht mich mein Job einfach fertig.“
 
„Immer überall was dagegen zu haben ist aber auch nicht leicht“, stellet Gregor fest. „Ich hätte da ‚ne Idee: du könntest immer noch aus der CDU austreten und bei uns mitmachen. Wenn ihr so weiter macht, liegt die Zukunft sowieso bei uns. Was meinst du, was uns das für Aufschwung brächte.“
 
Angela brauchte nicht lange zu überlegen. „Nee, lass mal. Dann würde mich der Verfassungsschutz überwachen, und dann kämen vielleicht Sachen raus…”
 
Meine Ablösung stand neben mir. Ich hatte Feierabend. Das erste Mal, dass mir das leid tat.
 
Fortsetzung folgt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.09.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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