Kurt Henke

Ich hatte für mich einen falschen Namen genannt

Meine Mutter hatte mit Ihrer Schwester in Hildeheim verabredet, dass ich in den großen Ferien dort meinen Ferienurlaub mit den beiden Kindern verleben sollte. In der Schule erzählte ich meinem Freund Günter von der Fahrt mit dem Fahrrad nach Hildesheim. Ein paar tage später kam er mit der Nachricht, dass er nach Hannover mitfahren würde

Am ersten Ferientag ging die Fahrt los, in Richtung Hameln. Dort hatten wir an der Weser bei einem Bauern die Genehmigung erhalten, die Nacht in der Scheune schlafen zu dürfen. Die Bäuerin war recht interessiert, wie und wo wir zwei Dreizehnjährige herkamen. Sie hatte bis dato nie etwas Näheres über Zechen im Ruhrgebiet gehöt. Darum lauschte sie interessiert bei den Erzählungen. Als dann machte sie uns das Abendbrot und versprach auch das Frühstück für uns zu richten

In der Frühe trennten sich unsere Wege. Günter fuhr in Richtung Hannover und ich südlicher nach Hildesheim. Mit der genauen Adresse fand ich die kaufmännische Berufschule schnell. Dort war mein Onkel als Hausmeister tätig. Wir hatten uns alle vier im Leben noch nie gesehen. Besonders mit den beiden zwei und drei Jahre älteren Kindern kam keine richtige Harmonie zu Stande. Der Altersunterschied war doch zu groß. Der Schule gegenüber befand sich ein Sarglager Pinkvoss. Mit dem Sohn Paul fand ich schnell Kontakt. Er war ein Jahr jünger als ich. Wir befanden uns eines Nachmittags auf dem Schulhof der Handelsschule. Diese war zum hinteren Teil mit einer ungefähr 2,5 m hohen Mauer abgeschlossen. Karlchen erzählte mir, dahinter befände sich ein Kloster. Wahrscheinlich damit vertraut, brachte er von einer anderen Stelle des Schulhofes eine Leiter. Stellte sie gegen die Mauer. Damit erreichte er von Apfelbaum einen Zweig voller reifer Äpfel. Wir taten uns gütlich an der wohlschmeckenden rotbackigen Frucht.

Die Familie Bornowski wollte mir auch gern die Sehenswürdigkeiten von Hildesheim zeigen. Mit der ganzen Familie besuchten wir den tausendjährigen Rosenstock, der am Mariendom stand. Eine weitere Bereicherung von Hildesheim war der Zuckerhut, den wir in Augenschein nahmen. Vom Besuch des Theaters und der Museen haben wir dann Abstand genommen.

Mir war unter anderen die üppige, uns nicht bekannte, Lebensweise meines Onkels und seiner Familie aufgefallen. Es wurde jeden Mittag zum Essen Wein getrunken. Nach 14 Tagen verlud der Sohn mit dem Vater einen Bollerwagen mit leeren Flaschen, um das Fantgeld einzulösen. Darüber war ich besorgt, in dem Glauben, durch ihren zusätzlichen Kostgänger sei ihnen das Geld schon ausgegangen

Ich erinnerte mich an die Äpfel im Klostergarten. Begab mich an die hohe Mauer, stellte die Leiter wieder unter den gleichen Baum, wie Karlchen zuvor. Ich musste feststellen, die Äpfel hingen zu weit von der Mauer entfernt. Der Ast war fast leer gepflückt. Ich holte mir einen Stein, schlug die auf der Mauer eingelassene Glasscherben ab. Setzte mich mit den Beinen zum Kloster. Jetzt konnte ich noch einige schöne, dicke Äpfel erreichen. In diesem Augenblick tauchte eine mit Kutte überworfene Gestalt auf und rief, was machst du denn da. Ich war schockiert und konnte zunächst nicht antworten. Dann folgte die Frage, wie heißt du? Ich weiß heute nur noch, dass ich eine Heidenangst hatte. Ich wollte unter keinen Umständen meinem Onkel Ärger bereiten. Darum nannte ich mich Paul Pinkvoss. Bei der Frage, wo wohnst du, war ich schon von der Leiter abgestiegen. Ich ließ diese stehen und wollte mich nur noch in Sicherheit bringen.




Lange noch hab ich in den Ferien ängstlich mögliche Folgen erwartet. Unter diesem Schock war es eine Erleichterung, am Ende der Ferien wieder heimwärts fahren zu können.

Meine Eltern wollten auf der Rückfahrt mir auf halben Weg entgegen kommen. Es war geplant, nur die B1 zu nutzen und bis Soest zu fahren Diese Begegnung ist nicht zu Stande gekommen. Ich habe lange überlegt, bin zu der Auffassung gekommen, dass wir uns nur in Soest selbst verfehlt haben können. Im Dunkeln zu Hause angelangt stand ich ohne Schlüssel vor verschlossener Tür.Mir war bekannt, dass auf dem Hof dass etwas höher gelegene Küchenfenster immer auf Kipp stand. Mit einer Leiter konnte ich mich hinein quetschen und der Dinge warten

Ein großes Hallo gab es gegen Mitternacht als meine Eltern eintrafen. Die Fragen warum und weshalb konnten nicht mehr gelöst werden.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.10.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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