Helmut Wurm

Sokrates und die Notengebung in manchen Schulen

 

Sokrates ist in einem großen Schulsystem Gast bei einer Konferenz. Dieses Schulsystem ist aus verschiedenen Gründen unpädagogisch groß. Einmal soll dieses Schul-System alle möglichen Abschlüsse vermitteln (ob das immer sinnvoll ist?), dann sollen möglichst viele Schüler in einen großen Schulkomplex gehen (damit man nicht gleich aus dem Schulweg erkennt, welchen Abschluss der betreffende Schüler gerade anstrebt) und letztlich (das ist wohl der wichtigste Grund) will die Schulverwaltung durch Zusammenfassungen Geld sparen. Das bedeutet aber, dass dieses Schulsystem so groß ist, dass die Schulleitung nicht mehr alles überblicken kann, dass sie nicht weiß, wie der einzelne Kollege seinen Unterricht gestaltet, z.B. auch nicht weiß, ob die von den einzelnen Lehrern geforderten Leistungen und die von ihnen dafür gegebenen Noten wirklich vergleichbar sind.

 

Und das ist ein ernstes Problem im Schulalltag. Denn es kann nicht sein, dass die Schüler bedrückt sind, wenn sie hören, sie hätten bei einem bestimmten Lehrer Unterricht, weil der viel verlangt und streng benotet, und dass andere Schüler sich ins Fäustchen lachen, wenn sie einen anderen Lehrer bekommen haben, weil sie wissen, dass dieser nur gute Noten gibt, um es sich leicht und sich beliebt zu machen… Aber das kennt ja jeder aus seiner eigenen Schulzeit her… An diesem Schulsystem jedoch sind die Unterschiede so groß, dass es bis hin zur übergeordneten Schulverwaltung bekannt wurde und man dort beschloss, eine Konferenz mit den Lehrern einzuberufen und über eine Harmonisierung der Notengebung zu sprechen. Und zu dieser Noten-Konferenz hatte man auch Sokrates eingeladen, weil man sich von seinen Jahrhunderte langen Erfahrungen auch in diesem Bereich nützliche und harmonisierende Impulse erhoffte.  

 

Nun sitzen also die Lehrer im großen Lehrerzimmer, viel zu viel Lehrer, als dass noch ein detaillierter Überblick über ihre Alltags-Tätigkeit möglich wäre – aber das wurde ja schon angedeutet. Vorne sitzt die Schulleitung und ein Vertreter der Schulaufsicht, Sokrates sitzt hinten als Beobachter und möchte nur eingreifen, wenn er dazu aufgefordert wird.

Die Lehrerschaft weiß nur grob vom Grund und Thema der Konferenz, denn man möchte

im ersten Teil der Konferenz die Lehrer zu einem offenen Austausch ihrer Notengebungs-Praxis veranlassen. Vorwürfe und Kritik sind in der nur knapp und allgemein gehaltenen Einladung nicht enthalten. Der Vertreter der Schulaufsicht eröffnet die Konferenz.

 

Der Vertreter der Schulaufsicht (beginnt vorsichtig, denn er will die Lehrer zu offenen Berichten über ihre Notengebung veranlassen, um dann ein harmonisierendes Gespräch anzuschließen): Liebe Lehrer an dieser Schule, die Notengebung ist ein sehr schwieriger Teil des Lehrerberufs, das wissen wir alle. Da gibt es verschiedene Praktiken und Außen-Seiten, die mitreden wollen, nämlich die Eltern, die Schüler, die Berufsausbildung, die weiterführenden Schulen. Die Eltern insbesondere…

 

Ein Lehrer (ruft dazwischen): Ach die! Die wollen doch nur gute Noten für ihre Kinder, am besten nur Noten von  1 bis 3. Gerechte Noten akzeptiert kaum jemand von denen…

 

Der Vertreter der Schulaufsicht (fährt fort):… Die Eltern haben natürlich den Wunsch, dass ihre Kinder in der Schule gut mitkommen und möglichst auch gute Note erreichen. Das ist verständlich. Aber schwache und nicht-fleißige Schüler sollten auch an den Noten erkennen, dass 

 

Ein anderer Lehrer (ruft dazwischen): Der größte Stressfaktor neben frechen Schülern sind die Eltern lernschwacher Kinder. Wie die die Lehrer unter Druck setzen können… Oder die versuchen mit Überfreundlichkeit und Gejammer Mitleid bezüglich ihrer Kinder zu erwecken. Was die alles angeblich an Krankheiten und Belastungen hätten…

 

Der Vertreter der Schulaufsicht (fährt fort): … dass auch, ich möchte sagen leider, irgendwo eine Leistungsdecke nach unten gezogen werden muss, die allen zeigt…

 

Ein weiterer Lehrer (ruft dazwischen): Wer will denn heute überhaupt noch Leistung?... Die Eltern nicht und die Schüler nicht…

 

Der Vertreter der Schulaufsicht (fährt etwas ärgerlich fort): … die zeigt, dass unsere weiterführenden Schulen, die Berufausbildungen und die Wirtschaft allgemein doch ein gewisses Mindestwissen verlangen…

 

Ein neuer Lehrer (unterbricht): Aber so ein Mindestwissen ist den meisten Eltern und Schülern ja schon viel zu viel…

 

Der Vertreter der Schulaufsicht (etwas verärgert über die ständigen Zwischenrufe und zu einem der Zwischenrufe gewandt): Was würden Sie denn tun, wenn ein Schüler sie ständig unterbricht?

 

Der zwischenrufende Lehrer: Wenn mich ein Schüler stört, z.B. dauernd im Unterricht dazwischen quatscht, dann gebe ich dem einfach eine schlechte Note. Dann ist für mich das Problem schnell behoben…

 

Der Vertreter der Schulaufsicht (hatte eine andere Reaktion erwartet, greift aber die Antwort auf): Damit sind wir bereits mitten im heutigen Konferenz-Thema… Ist das z.B. eine richtige Form, auf Störungen mit schlechten Noten zu reagieren?

 

Ein Lehrer: Die im Unterricht gegebenen Noten sind nicht nur Leistungsbeurteilungen, sondern auch Disziplinierungs-Möglichkeit. Neben Nachsitzen und Strafarbeiten sind sie eine der wirksamsten Möglichkeiten, Ruhe in die Klasse zu bringen. Ich wende dieses Mittel schon immer erfolgreich an. Bei mir stört keiner und quatscht keiner dazwischen.

 

Ein anderer Lehrer: Ich meine auch, dass die tägliche Notengebung im Unterricht ein wichtiges Disziplinierungs-Instrument ist. Ich mache das nur etwas geschickter. Ich kann ja schwere und leichte Frage stellen… Wer stört, bekommt schwere Frage und die lieben Schüler bekommen eben leichte Fragen gestellt. Das wissen die Schüler und verhalten sich danach. Das bringt schnell Ruhe in die Klasse…

 

Ein weiterer Lehrer: Im Prinzip bin ich derselben Meinung. Ich handhabe das nur noch geschickter. Ich gebe einem Störenfried eine saftige Strafarbeit. Wenn diese ordentlich ist, bekommt er sie ohne Bemerkung zurück, ist sie schlecht oder zu kurz, bekommt er eine schlechte Note darauf. Dadurch habe ich die schlechte Note an eine nachprüfbare Leistung gebunden und bin sicherer gegen Beschwerden wegen Notengebungs-Willkür…

 

Der Vertreter der Schulaufsicht (schüttelt den Kopf): Noten sind normalerweise kein Disziplinierungsmittel. Es kann zwar solche Fälle geben, in denen man ein nachweisbares Fehlverhalten in Verbindung mit nicht erbrachten Leistungen bringen und so auch mit einer schlechten Note verknüpfen kann. Aber das sollte man möglichst wenig benutzen und dieser Weg muss immer klar nachprüfbar sein. Wir von der Schulverwaltung mögen diese Methode wenig… Aber fragen wir einmal allgemeiner. Wie sammeln und geben Sie hier denn mündliche Noten?

 

Ein Lehrer: Bei den mündlichen Noten ist das mit der Neutralität am schwierigsten. Da ertappe ich mich immer wieder, dass ich Schülern, die ich gut leiden kann, bessere Noten geben. Ich habe es mittlerweile aufgegeben, wirklich gerecht zu sein…

 

Ein anderer Lehrer: Ich gebe bewusst die mündlichen Noten nicht gleich. Bei Kindern unserer Nachbarn gebe ich immer möglichst bessere Noten. Ich schaffe mir doch keinen Ärger in der Nachbarschaft…

 

Ein weiterer Lehrer: Ich wohne zwar außerhalb des unmittelbaren Einzugsbereiches der Schule und habe deswegen das Nachbar-Problem nicht, aber natürlich kann ich die Schüler auch unterschiedlich leiden. Ich mache das dann ganz raffiniert. Ich betrachte mir die Gesichter der Schüler im Unterricht, wenn ich etwas erkläre oder wenn ich etwas wiederhole oder nach den Hausaufgaben frage. Die Schüler, die ich gut leiden kann oder die ich fördern möchte, nehme ich dann dran, wenn ich an deren Gesichtern merke, dass sie etwas wissen. Bei den anderen mache ich es umgekehrt. Das ist nun mal menschlich und Lehrer sind ja auch nur Menschen… 

 

Noch ein anderer Lehrer: Ich mache es mir leicht und gebe überwiegend Epochal-Noten. Ich erinnere mich einfach alle 6 Wochen zurück, wie die Schüler im Unterricht etwa mitgearbeitet haben und dann gebe ich eine Epochalnote. Die kann man sowieso nicht genau nachprüfen… Ich habe eben den Eindruck, dass die einzelnen Schüler so oder so im Unterricht mitgemacht hätten, fertig…

 

Wieder ein anderer Lehrer: Ich mache es so, dass ich den Schülern regelmäßige sage, dass ich mündlich wiederholen werde und was ich wiederholen werde. Ich gebe ihnen sogar einige Musterfragen als Beispiele. Dann frage ich eben über das Angekündigte ab und bin sehr gnädig mit den Noten. So habe ich regelmäßig gute Noten und praktisch nie Schwierigkeiten…

 

Noch ein anderer Lehrer: Bei mir müssen die Schüler die schriftlichen und mündlichen Hausaufgaben perfekt können, sonst gibt es beim Abhören oder Nachkontrollieren sofort eine schlechte Note. Wer seine Hausaufgaben kann, bekommt eine 2, wer sie nicht kann eine 5. Man muss die Schüler unter Druck setzen. Bei mir wechseln die mündlichen Noten  zwischen 5 und 2. Daraus bilde ich dann die mündliche Gesamtnote für das Zeugnis. Auf 3 und 4 lasse ich mich im Unterricht möglichst nicht ein. Wie soll man diese Abstufungen klar begründen? Nichts gewusst oder gut gewusst, das ist klar, dazwischen wird es mir zu schwierig…

 

Noch ein weiterer Lehrer: Und ich mache es mir ganz einfach. Ich mache regelmäßig irgendwelche mündliche Noten, aber immer nur gute Noten, so zwischen 1 und maximal 3, eine 4 nur dann, wenn der Schüler wirklich gar nichts getan hat. 5 und 6 habe ich seit Jahren nicht mehr gegeben. Die normale Note bei mir im Mündlichen ist die 2. Ich habe noch nie Schwierigkeiten mit Schülern und Eltern gehabt… Die sind stets supernett zu mir… Ich mache mir doch meine Nerven nicht unnötig kaputt…

 

Ein weiterer Lehrer: Ich gehe allen Problemen mit der mündlichen Notengebung völlig aus dem Wege. Ich bevorzuge die modernsten pädagogischen Modelle und da heißt es, dass die Schüler sich ihre Noten selber geben sollen. Ich lasse sie regelmäßig in meinen Arbeitsgruppen Referate halten oder Präsentationen vorstellen und dann soll sich die jeweilige Arbeitsgruppe oder eine extra gebildete Schüler-Benotungsgruppe um die Noten  Gedanken machen. Ich trage diese Noten nur in mein Notenbuch ein. Und dass sich die Schüler selber keine schlechten Noten geben, ist wohl nachvollziehbar, ha, ha, ha. Was soll ich mir Ärger mit der Notengebung schaffen und dazu noch mit schlechten Noten… Ich bin doch nicht blöd…

 

Noch ein anderer Lehrer: Und ich gehe wirklich und nicht nur indirekt den mündlichen Noten aus dem Wege… Ich gebe überhaupt keine mündlichen Noten. Ich unterrichte ein naturwissenschaftliches Nebenfach und da schreibe ich 2 große Tests im Jahr und das genügt mir für die Zeugnisnote. Dieses ganze komplizierte System mit den mündlichen Noten… Ohne mich…

 

Der Vertreter der Schulaufsicht (etwas bedenklich): Die Gewinnung mündlicher Noten für die unterschiedlichen Leistungsformen macht natürlich Mühe und verlangt auch eine gewisse Konsequenz. Einfach nach individuellen Schemata Noten zu geben ist nicht das Richtige. Aber stellen wir das erst einmal zurück. Ich möchte noch eine andere Ebene der Notengebung ansprechen, die schon angeklungen ist. Welche Noten bevorzugen Sie denn bei ihrer Notengebung?

 

Ein erster Lehrer: Die Notenskala geht von 1 bis 6, aber eigentlich ist das noch zu wenig. Ich gebe deswegen Noten von 1+ bis 6-. Dadurch ist die Bandbreite größer.

 

Ein anderer Lehrer: Es gibt da eine Empfehlung, dass die Grenze zwischen 4 und 5 irgendwo in der Mitte der erreichbaren Leistung liegen soll. Ich finde das Quatsch… In unserer Zeit. wo die Schüler so abgelenkt sind, gebe ich bereits bei einem Drittel des zu Lernenden die 4 und bei etwas mehr als der Hälfte schon die 2. Man muss auch die Zeit, in der wir leben, bei der Notengebung berücksichtigen.

 

Ein weiterer Lehrer: Wir müssen wieder das Niveau in den deutschen Schulen anheben und mehr verlangen. Die normale Note sollte deswegen die 4 sein. Die Note 2 wird von mir nur selten gegeben und die 1 nur alle Schaltjahre einmal. Knapp ein Drittel der Noten sind bei immer 5 und 6… So bringt man Niveau in die Klassen…

 

Ein anderer Lehrer: Ich gebe nur ein wenig anerkanntes Nebenfach und bin ganz auf mündliche Noten angewiesen. Schriftliche Tests in meinem Fach würde kein Schüler und kein Elternteil akzeptieren. Da ist es für mich schwierig, Noten zu sammeln… Ich gebe einfach nur gute Noten, meistens nur 1 und 2. Diese Noten brauchen auch viele Schüler zum Ausgleich von mangelhaften Leistungen in anderen Nebenfächern. Man muss ja auch Schüler-sozial denken… 

 

Sokrates hat bisher nur zugehört, ist aber immer unruhiger auf seinem Stuhl geworden und steht jetzt auf, weil er diese pauschalen, oberflächlichen und die realen Leistungen missachtenden Formen der Notengebung nicht mehr mit anhören kann. Die Lehrer drehen sich erstaunt um und einer ruft:

 

Ein Lehrer: Bisher haben die Eltern schon zu viel in der Schule mitgeredet. Dürfen jetzt auch die Großeltern mit reden? Was will der alte Kerl mit dem komischen Umhang denn hier?

 

Darauf setzt sich Sokrates wortlos wieder hin, denn er will sich nicht aufdrängen.

 

Der Vertreter der Schulaufsicht: Mich würde noch interessieren, wie Sie es hier an diesem Schulsystem mit den schriftlichen Noten halten, die in den Hauptfächern immer und in den so genannten Nebenfächern fakultativ ein wichtiger Teil der Notengebung sind.

 

Ein Lehrer (spontan): Bei den schriftlichen Noten kommt bei mir jeweils die Stunde der Wahrheit. Da gibt es kein Herumreden, da muss man Bescheid wissen… Und ich möchte, dass die Schüler in meinen Fächern jeweils so antworten und rechnen, wie ich es ihnen im Unterricht beigebracht habe. Jede Abweichung von meiner Rechenmethode und von meinen Formulierungen erweckt in mir den Verdacht, dass die Eltern oder Nachhilfelehrer den Schülern helfen und mir und meiner Methode in den Rücken fallen. Dafür gibt es Abzüge in der Punktebewertung, auch wenn das Ergebnis richtig ist...

 

Ein anderer Lehrer (gelassen): Auch bei den schriftlichen Arbeiten heißt für mich die Devise „leben und leben lassen“. Wie die Schüler schriftlich formulieren oder rechnen, ist mir gleich, hauptsächlich das Ergebnis stimmt…

 

Der Vertreter der Schulaufsicht: Das wäre ja eine sehr unterschiedliche Bandbreite auch in den Bewertungen schriftlicher Arbeiten. Die jeweiligen Fachkonferenzen sollen doch Empfehlungen erstellen, damit wenigstens innerhalb der Fächer eine gewisse Einheitlichkeit in der Notengebung besteht. Wie steht es damit an dieser Schule? Und stimmen die Fachkonferenzen ihre Benotungs-Empfehlungen auch untereinander ab, damit in allen Fächern eine gewisse Harmonie bei der Benotung schriftlicher Arbeiten erreicht wird?

 

Ein weiterer Lehrer: Da herrscht bei uns große Uneinheitlichkeit. In jeder Fachgruppe wird die Notengebung anders empfohlen. Jede Fachgruppe schlägt vor, ab wann etwa eine 5 oder 4 oder 2 gegeben werden soll. Das ist hier sehr unterschiedlich. Was bei der einen Fachgruppe noch eine 3 ist, ist bei der anderen schon eine 2- oder bei einer dritten sogar nur eine 4+… Und ob sich die einzelnen Lehrer auch danach richten, ist wieder eine andere Frage… Und eine etwaige Harmonisierung der Notengebung durch Absprachen der Fachkonferenzen untereinander gibt es bei uns auch nicht… Das ist halt so, damit muss man als Schüler und als Lehrer hier leben.

 

Sokrates (springt jetzt doch etwas beunruhigt auf): Das, was ich bisher gehört habe, bedeutet ja, dass in der Praxis eine subjektive Willkür in der Notengebung vorliegt. Kontrollieren denn die Schulleitungen, die übergeordneten Schulverwaltungen und das Ministerium nicht die Einheitlichkeit der Notengebung in den Schulen?

 

Ein Lehrer (etwas spöttisch): Also wenn schon auch Opas an Konferenzen teilnehmen dürfen, dann sollen sie wenigstens auch die Wirklichkeit hören…

 

Nein, die übergeordnete Schulverwaltung kontrolliert nicht, wie die Notengebung vor Ort gehandhabt wird. Es gibt zwar allgemeine Rahmenrichtlinien zur Notengebung, aber viele Details sind offen und prinzipiell wird nur gehofft, dass der einzelne Lehrer die Noten so erteilt, dass es keinen Ärger mit Eltern-Beschwerden gibt. Die Schulverwaltungen wollen als eine Zielsetzung möglichst wenig Ärger, möglichst wenige Beschwerden…

 

Und unsere Schulleitung, sofern sie überhaupt die Zeit fände sich darüber genauer zu informieren, wünscht hauptsächlich eine Wohlfühl-Schule. Alle sollen sich wohl fühlen und möglichst viele bei der Versetzung mitkommen… Unser Schulleiter wäre auch gar nicht in der Lage, unbequeme Ansprüche durchzusetzen, z.B. von Mindestleistungen… Er ist ein Mensch ohne Durchsetzungsfähigkeit, Ecken und Kanten… 

 

Bei uns hat es deswegen immer nur Ärger mit strengen Lehrern gegeben. Dann haben sich die Schulleitung und die Schulverwaltung jeweils eingemischt. Wir klugen Lehrer, die wir nur gute Noten geben, hatten nie Ärger und werden auch nie Ärger haben, weder mit der Schulleitung, mit der Schulverwaltung noch mit Eltern und Schülern...

 

Sokrates (wendet sich an den Vertreter der übergeordneten Schulverwaltung): Stimmt das so? Sind Zufriedenheit in der Schule und Beschwerde-Vermeidung wirklich wichtige Ziele vieler Schulverwaltungen? Ich kann mir das nicht denken…


Der Vertreter der übergeordneten Schulverwaltung (etwas verlegen): Ja und nein…

Wir bei uns haben Beschwerde-Armut nicht ungern… Wir bemühen uns in kritischen Fällen möglichst um ein Einvernehmen… Und wenn wir von Problemen hören, versuchen wir, durch vorsichtige allgemeine Gespräche eine Änderung oder ein Umdenken bei den Betroffenen zu erreichen - eben wie z.B. hier an diesem großen Schulsystem bezüglich der zu weit auseinander triftenden  Notengebungs-Praxis… Es stimmt schon, dass eine schülerfreundliche Notengebung die wenigsten Probleme bringt… Und weil früher in den Schulen die Noten teilweise nach zu strengen Maßstäben vergeben wurden, möchten wir, dass gute Noten zur Alltagserfahrung der heutigen Schüler gehören. Wir prüfen jedoch nicht nach, ob gute Noten verdient, ob Arbeiten zu leicht oder schwer waren. Wir nehmen an, dass alle Lehrer aus ihrem Berufsethos heraus den richtigen Weg einschlagen…  Und wenn das nicht der Fall zu sein scheint, dann versuchen wir das in einem freundlichen Gespräch zu lösen… Aber vielleicht hören wir noch einige Äußerungen zur hiesigen Praxis der Notengebung bei schriftlichen Arbeiten…

  

Ein anderer Lehrer: In den Fachkonferenzen haben wir zwar allgemeine Empfehlungen abgesprochen bezüglich der erreichbaren Punktezahlen und den danach zu erteilenden Noten, aber wie man seine Arbeiten vorbereitet, entwirft und  was man bewertet, dass ist jedem einzelnen Lehrer überlassen geblieben. Ich berücksichtige z. B. im Fach Deutsch, von Diktaten abgesehen, bei den Aufsätzen grobe Rechtschreibefehler fast nicht und auch nicht die Einhaltung der grammatischen Normen. Ich bin sowieso für die generelle Kleinschreibung und wenn die Schüler in Aufsätzen nur klein schreiben, dann ist das eigentlich sehr modern… Die PC-Praxis wird die Kleinschreibung sowieso üblich werden lassen.

 

Ein weiterer Lehrer: Ich bereite meine schriftlichen Arbeiten in den Stunden davor so gut vor, dass die Schüler genau wissen, was dran kommt. Alle in der Arbeit gestellten Fragen sind bei mir schon im Unterricht besprochen worden… Und ich mache mir doch nicht die Arbeit, ständig neue Arbeiten zu entwerfen, sondern ich schreibe in gewissen Abständen immer dieselben Arbeiten. Meinetwegen können die Schüler meine Arbeiten schon auf dem Schulhof tauschen… Hauptsache ich habe wenig Arbeit und Ärger…

 

Noch ein anderer Lehrer: Ich halte die Fahne des anspruchsvollen Denkens in der Schule noch hoch. Schriftliche Arbeiten sind der Kern der Leistungsfeststellung in der Schule. Und dafür müssen sich die Schüler anstrengen. Bei mir wird nichts verschenkt. Meine Fragen kennen die Schüler nicht. Und ich lege Wert auf gutes Deutsch und auf ein lesbares Schriftbild, auch in den Nicht-Deutsch-Fächern. Für mich ist jede schriftliche Arbeit auch eine Deutscharbeit…

 

Der Vertreter der übergeordneten Schulverwaltung: Vielleicht sollten wir einmal gemeinsam die Schulordnung bezüglich ihrer Aussagen zur Notengebung durchgehen. Dann ergibt sich vielleicht daraus an dieser Schule eine künftig größere Einheitlichkeit…

 

Ein Lehrer (leise, aber doch hörbar zum andern): Bringen wir das auch noch hinter uns.

Anschließend bleibt wieder alles beim Alten. Und wer gute Noten gibt und leichte Arbeiten schreibt, wird weiterhin nie Schwierigkeiten haben…

 

Sokrates (steht endgültig auf und sagt im Gehen): Als verantwortungsbewusster, um Gleichbehandlung und Gerechtigkeit bemühter Lehrer kann ich hier nicht länger zuhören. Ich nehme aber an, dass das hier Gesagte nicht verallgemeinerbar ist für alle deutschen Schulen und Schulverwaltungen. Doch an mancher anderen Schule dürfte es auch solche Willkür und Disharmonien in der Notengebung geben. Das wäre eine Fehlentwicklung, die der Korrektur bedarf.

Wenn die Schulverwaltungen künftig nicht darauf achten, dass an deutschen Schulen anspruchsvolle Qualitäts-Standards bei  den geforderten Leistungen und auch bei der Leistungsfeststellung eingehalten werden und wenn die Schulleitungen nicht vor Ort  diese Einhaltung überwachen, wird Deutschland in internationalen Schulvergleichen nicht wieder in die Spitzenposition aufrücken… Ohne Fleiß kein Preis.  

 

(niedergeschrieben von discipulus socratei, der als Begleiter des Sokrates dabei war)      

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.10.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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