Susanne Waldbrunner

Der Weihnachtsengel

 
 
Der Weihnachtsengel
 
Es war kalt geworden. Dan, 12 Jahre alt, schaute aus seinem Fenster den wirbelnden Schneeflocken zu, wie sie zu Boden tanzten. Er lächelte und spürte die innerliche Vorfreude seinen Schlitten bald aus dem Schuppen holen zu können. Was würde das für ein schöner Winterspaß werden. Er ließ sich rücklings auf sein Bett fallen und gab sich ganz seinen Erinnerungen hin.
 
Schneegestöber, Kinderlachen. Er und … ja, Lora, im Schnee – lachend, ausgelassen und glücklich. Er fühlte einen Stich im Herzen. Lora hatte den Schnee immer so geliebt und mit Ihm zusammen stundenlang draußen getobt, bis Ihre Finger so klamm und erfroren waren, dass eine Pause lebensrettend war. Er sah Lora direkt vor sich mit roten Pausbacken, Ihr Gesicht umrahmt von ebenfalls roten Locken unter einer bunten, lustigen Wollmütze. Die frechen Sommersprossen und Ihr typisches, verschmitztes Lächeln, das auch aus Ihren braunen Augen strahlte.
 
Das Gedankenkarussell nahm immer mehr Fahrt auf und Streiflichtern gleich drängten sich nun die Erinnerungen vor seinem inneren Auge. Lora mit teigverschmiertem Gesicht in der Küche Ihrer Eltern; Lora, die ihm beim Weglaufen eine lange Nase drehte; Lora im Baumhaus; Lora, die mit fliegenden roten Locken auf Ihrem Schlitten den Abhang hinuntersauste … und mit jedem Bild wuchs die Sehnsucht in Ihm und er merkte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten.
 
Aber da war auch wieder dieses vertraute Gefühl, diese innere Wärme der Verbundenheit, die er immer mit Ihr zusammen empfunden hatte. Sie war wie eine Schwester für Ihn gewesen. Seine kleine Schwester, aber schon viel weiser als er. Sie liebte die Natur und auf Ihren Streifzügen zeigte Sie ihm viele Tiere und erzählte von Ihnen und fand in allem einen besonderen Zauber – für Sie war die Welt und alles was darin war schön. Die Freude an der Natur hatte wohl Ihr Vater in Ihr geweckt, denn Loras Vater Bill war Naturforscher und Tierfilmer und viele Monate im Jahr unterwegs. Von seinen Reisen brachte er dann immer bemerkenswerte Aufnahmen und Geschichten mit, die er den Fernsehsendern verkaufen konnte und die die Kinder staunen ließen. Überall fand er Interessantes. Mit Ihm zusammen war die Welt ein Märchenreich. Er hatte einfach einen Blick dafür. Wenn er zuhause war, dann gehörte seine Zeit ganz seiner geliebten Tochter und gemeinsam durchstreiften Sie oft die Wälder und Auen. Sie war das einzige Kind von Bill und seiner Frau Mary und Ihre ganze Freude.
Dan erinnerte sich, dass er dort schon immer wie zuhause war und ein oft und gern gesehener Gast. Er selbst wuchs damals bei seinem Großvater genannt „Old Mounty“ auf. Er hatte einen weißen, langen Bart und sah aus wie eine Fabelgestalt des Waldes. Manche Kinder hielten ihn sogar für den Weihnachtsmann persönlich. Eltern hatte Dan keine mehr. Sie waren bei einem Autounfall gestorben als er noch ein Baby war. Dank dem Großvater, Lora und Ihren Eltern, hatte er jedoch nie einen inneren Verlust gespürt. Er lächelte. Doch dann wurde sein Gesicht traurig und ernst, als er an den Herbst vor 3 Jahren dachte. Dem war so ein wunderschöner Sommer vorausgegangen mit viel Lachen, Sonne, Wasserplan-tschen und Spiel.
 
Lora und er hatten eine schöne Zeit gehabt, doch als sich die Blätter bunt zu färben begannen, hatte sich Lora plötzlich immer unwohler gefühlt und war recht blass um die Nase geworden. Dabei war Sie immer so gesund gewesen. Sie bekam auch überall am Körper unerklärliche blaue Flecken, wurde schwächer und schwächer. Das alles sah er nun wieder vor sich als wäre es gestern gewesen. Lora, die wie eine Blume verblüht war in  kürzester Zeit.
 
Ihre Eltern, Bill und Mary, waren damals voller Sorge gewesen und hatten Sie ins Krankenhaus gebracht. Dan begleitete Sie ebenso sorgenvoll und ließ Lora die ganze Zeit über nicht aus den Augen. Es folgten viele unangenehme Untersuchungen, die Lora damals allesamt aber bewundernswert tapfer und still ertrug.
 
Die Ergebnisse lagen schnell vor und waren niederschmetternd gewesen. Lora hatte eine agressive Form der Leukämie in einem sehr fortgeschrittenen Stadium und nur noch kurze Zeit zu leben. Die Ärzte konnten nichts mehr für Sie tun. Alle erstarrten nach dieser Botschaft wie  in einem Schock, genau wie das Wasser auf einem See im Winter zu Eis erstarrt. Dan sah es vor sich, wie Loras Eltern, die Tränen zurückhaltend, zu Lora gegangen waren,  die im Behandlungsraum nebenan blass und schwach auf der Liege gelegen hatte – ihr Gesicht eingerahmt von Ihren wunderbaren roten Locken, die braunen Augen auf Ihre Eltern gerichtet, die sich bei den Händen hielten.
 
Ihre Eltern hatten sich zu Ihr gesetzt und Ihr alles erklärt und dann waren sie sich auf einmal  alle drei in den Armen gelegen. Lora, zu Dans Erstaunen, darum bemüht die Eltern zu trösten und in stillem Einverständnis mit Ihrem Schicksal. Dan konnte es damals nicht fassen. Da war Sie wieder vor Ihm– die weise Lora, die selbst im Angesicht des Todes ruhig und gelassen war. Dan weinte, damals und heute als er sich diese innere Stärke Loras wieder ins Gedächtnis rief -und hätte sich gewünscht, er hätte nur einen Teil davon. Er war immer der Schüchterne und Ernstere von Beiden gewesen. Einer dem das Leben nicht immer leicht viel, aber dem Loras Leichtigkeit mit Flügel verliehen hatte.
 
Trotz der schweren Diagnose hatte sich damals Niemand aufgegeben. Das hätte Lora auch nie zugelassen. Er sah Sie vor sich. Schwach, schmerzgeplagt und doch immer positiv, fröhlich und tapfer in den Kissen liegend. Sogar die Kraft und Verschmitztheit aus alter Zeit blitzte ab und an noch in Ihr auf. Ja, starke Lora. Sie war ihm immer noch so nah.
 
Scheinbar schnell und mühelos hatte Sie sich damit abgefunden, dass Sie die Welt, die Sie so liebte bald verlassen würde. Die letzte Zeit war sehr innig und auch Lora genoss das Beisammensein sehr und bat immer wieder „Bitte seid nicht traurig“. Diesen Satz hörte er in seinem Inneren in diesem Augenblick nachhallen. Die gemeinsamen Gespräche fielen ihm ein. Damals sagte Lora immer wieder, Sie wäre neugierig was noch kommen würde und redete davon, wie Sie sich den Himmel vorstellte. Dann strahlten Ihre Augen voll Seligkeit und obwohl Dan dann oft mit den Tränen kämpfte, hatte Ihre Vorfreude ihn doch immer irgendwie tröstend beruhigt. Bei einem anderen solcher Gespräche hatte Sie einmal unerwartet gesagt: „Dann werde ich eben Dein Schutzengel, Dan, und so sind wir nie getrennt.“ Er hatte damals um Fassung ringend nur ein „Ja, aber dann schick mir ein Zeichen, wenn Du Deinen Dienst antrittst“ rausgebracht.
 
 
Es sollte leicht und witzig klingen, gelang ihm aber nicht wirklich. Lora versprach Ihm prompt „Du wirst es schon merken“.
 
Das war der Letzte einer Reihe von unbeschwerten Tagen gewesen. Danach ging es Lora immer schlechter und Sie bekam bald starke Medikamente, die Sie in einen permanenten Dämmerschlaf versetzten.
 
Doch wenn man Ihr in das blasse Gesicht sah, ahnte man noch den hellen Funken in Ihr. Dan sah sich wieder an Ihrem Krankenbett sitzen. Spürte die Endlichkeit des Lebens und den bevorstehenden Verlust. Zu dieser Zeit drehte sich die Welt draußen  unaufhörlich weiter, aber für Dan und alle die Lora liebten stand Sie still. Erstarrt in Angst und Traurigkeit. An die Zeit ohne Sie wollte niemand denken, vor allem er selbst nicht. Doch dann, als der Schnee als dicke Decke geheimnisvoll und schön überall klitzerte, schloss Sie ruhig in dieser Welt die Augen, begleitet durch den Wunsch Dans, dass Sie Ihren Himmel finden möge. An all das musste er nun denken und auch an die schwere Zeit, die hinter ihm und seinen neuen Eltern lag, denn  kurz nach Loras Tod war auch sein Großvater unerwartet gestorben. Er dachte daran mit wie viel Liebe und Freude ihn Loras Eltern bei sich aufgenommen hatten. Sie gaben sich alle Halt in Ihrer Traurigkeit um verlorene Jahre, Momente und Freuden und fanden Stück für Stück in die Welt draußen zurück – gemeinsam. Das Schicksal hatte Sie vollends vereint.
 
Die Erinnerungen, vor allem an Lora, hatten am Anfang noch wehgetan, aber durch den Geist Ihrer Fröhlichkeit, der noch durch jeden Raum wehte, erhielten alle inneren Trost und bald schon taten auch die Erinnerungen nicht mehr weh, wurden stattdessen zu einer Quelle der Freude, Hoffnung, Kraft und Liebe. Daran musste Dan nun wieder denken und war dankbar, dass Lora überhaupt bei Ihm gewesen war.
 
Ein Geräusch am Fenster ließ ihn nun aus seinen Erinnerungen hochschrecken und als er hinsah, schaute dort ein Eichhörnchen mit wachen, dunklen Augen zu Ihm herein. Witzigerweise fuchtelte es dabei mit seinen kleinen Vorderpfoten und er fühlte sich an Lora erinnert, die auch immer mit den Armen gewedelt hatte um Ihn aus dem Haus zu locken. Es war wie eine Aufforderung – los, komm Spielen. Und so zog er sich rasch an und rannte in nun gleisendem Sonnenschein hinaus in die Winterlandschaft. Das Eichhörnchen schien auf ihn gewartet zu haben, sprang aufgeregt vor und zurück, als wolle es, dass er ihm folgte. Dies tat er dann auch. Das Eichhörnchen führte ihn tief in den Wald hinein, zu einer Lichtung und war dann plötzlich verschwunden.  Auf der Lichtung stand ein kleiner Tannenbaum, kaum höher als einen Meter, also noch ein Schössling und irgendwas klitzerte an seiner Spitze dermaßen, dass Dan kaum hinsehen konnte. Als er jedoch näher ging erkannte er es und Tränen der Freude stiegen in ihm auf. Da hatten sich 2 Blätter gemeinsam so dick vereist, dass Sie wie zwei Flügel aussahen, Engelsflügel und da erinnerte er sich wieder an Loras Worte „Dann werde ich eben Dein Schutzengel, Dan, und so sind wir nie getrennt“.  Das war sein Zeichen, um dass er damals gebeten hatte. Sie war sein Weihnachtsengel geworden, der Ihm die Freude und Hoffnung neu geschenkt hatte.
Von nun an, konnte er voll Freude Ihre geliebte Winterzeit wieder voll und ganz mitgenießen und wusste, dass Sie nie mehr getrennt sein würden.
 
ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 08.10.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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