Andreas Gritsch

vegas desperado

















Die Nacht begann sich ihrem Tag zu ergeben, während Kerzen noch einen letzten Schatten kaum beendeter Träume an graue Wände warfen. Adelita hatte ihren Entschluss gefasst und zog allein im Morgengrauen aus der Stadt, als ihr altes Leben noch hinter dichten Nebeln schlief. Sie trug nur ihre Geige und ein vergilbtes Bild ihrer toten Tochter bei sich. Zehn Jahre sind seit dem Abschied ihres Kindes vergangen. Adelita wollte irgendwie versuchen weiter zu leben, doch jeder einzelne Tag bestrafte ihr Erwachen. Noch immer war der Mörder nicht gefasst, die Schmerzen nicht getilgt und keine Gerechtigkeit gefunden. Nur kleine Melodien ihrer alten Geigen wollten Adelita noch für ein paar kurze Augenblicke trösten. Sie wurde deshalb ihr ständiger Begleiter.
Tief in der Wüste versteckte sich eine Stadt, nicht weit entfernt vom Ort des Abschieds ihrer Tochter. Banden auf Beutezug schlugen sich bis hier hin durch, sie kamen aus allen Himmelsrichtungen, um nach ihrer Stärkung durch Bohnen mit Speck und elend viel Schnaps wieder weiter zu ziehen. Viele bewegten sich noch wie in guter, alter Zeit auf Pferden hinfort, aber eine dieser Gruppen fuhr mit rosa Mustangs durch die Prärie. Sie hatten ihr Lager nicht weit entfernt vom Kern der Stadt an der Grenze zur Wüste aufgeschlagen. Geführt von Isabell "Don" Liquidega führten sie Ihr Spiel mit Fahnen wie Karten im Wind. Alles oder Nichts, tot oder lebendig, feiern oder leiden. Diese Gruppe war der Dreh- und Angelpunkt und damit das einzig mögliche Ziel für Adelita.
Nach einem Fußmarsch über vier Tage und vier Nächte kam sie nun endlich an, in diesem kleinen, gottverlassenen Ort. Sie verbrachte hier die ersten Jahre ihrer Kindheit, bis ihr Vater, ein Säufer und Spieler, die ganze Familie nach Vegas trieb. Sie stand nun also mitten auf der Hauptstrasse und niemand konnte sie mehr erkennen, bis plötzlich ein kleiner, krummer, alter Mann aus seinem Seifengeschäft über die Veranda stürzte und ihr freudentrunken entgegen lief. Es war Salvador, ihr Onkel mit dem komischen Gesicht und den löchrigen Klamotten, der aber immer gut zu duften vermochte. Das erste mal seit Wochen fuhr Adelita ein kleines Lächeln über die Lippen, sie umarmten sich und schritten gemeinsam in den Saloon der kleinen Stadt. Salvador gab zur Feier des Tages eine Lokalrunde mit dem feinsten Vodka aus.

Nachdem sich beide am nächsten Tag um vierzehn Uhr zum Frühstück trafen und eine kleine Verdauungsrunde um den See spazieren waren, erklärte Adelita ihrem Onkel den Grund und das Ziel für ihren Besuch. Salvador war ursprünglich auch ein gottesfürchtiger Mann, doch nach all den Jahren in diesem Haltestopp zwischen Erde und Hölle, fühlte er natürlich Verständnis für ihr Anliegen. Sie hatte ihren lang gehegten Verdacht still verdrängt, doch nun war es an der Zeit, klare Fronten zu schaffen. So half Salvador seiner Nichte diesen Einblick in die Akten des Sherrifs zu erlangen. Während Adelita nach ihrer Bestätigung suchte, nahm er in kalter Vorahnung auf einem Stuhl neben der Veranda Platz. Im Blick auf die untergehende Sonne schritt Adelida auf ihn zu, blickte ihm in die Augen und sagte diesen Namen : Isabell
"Ich weiß, es gibt tausend Indizien, aber keinen Beweis", röchelte Salvador seiner Nichte entgegen. "Ich habe nun das Ziel meiner Reise gefunden", antwortete Adelita. Beide saßen noch Stunden bis in die Nacht schweigend zusammen. Als der Mond dann seine klarste Stellung am Himmel bezog, nahm Adelita ihre Geige aus dem Kasten, stürzte den restlichen Vodka aus der Flasche in einem Zug, und begann zu spielen.  "Morgen zieht Don Isabell mit ihren Leuten durch unsere Stadt" , hauchte Salvador, während er den Kopf an ihre Schulter neigte. "Spielst du hier nun deine erste, oder letzte Melodie ?" , fragte er seine Nichte mit einem leicht verdrehten Schädel. Diese allerdings schien schon in anderen Spähren und spielte einfach weiter.
Durch dunkle Kanäle, wie auch immer dies in der Wüste passieren kann, wurde Isabell die Anwesenheit von Adelita mit ihrem entsprechenden Vorhaben mitgeteilt. Diese Nachricht allerdings kam auch postwendend wieder zurück in die Stadt, weshalb nun eine klare Auseiandersetzung unumgänglich wurde. Camila, der auszubildende Assistent in Seifenherstellung überbrachte Adelita eine Nachricht aus dem Zwischenraum. "Sie werden gemeinsam kommen, aus dem Hinterhalt, sie haben ihren Spass am Töten" . Salvador lag noch in seiner Kajüte, während Adelita jene Worte vernahm und sich im alten Seifengeschäft auf diesen letzten Schritt vorbereitet hatte.
Im Wechsel der Farben zwischen diesem Tag und jener Nacht ertönten die Motoren von allen Seiten aus der Wüste auf diese Stadt. Alle Bewohner zogen sich in ihre Gemächer zurück, doch ohne dabei die Fenster zu verschliessen, denn Adelita stand noch einsam auf der Strasse in Erwartung einer Antwort. Als der Mond seinen Glanz über die Prärie zu schimmern begann, bewegte sich eine dunkle Gestalt aus der Weite auf sie zu. "Mein Name ist Lucero, ich vermittle für meinen Don". Es war ein junges, zartes Mädchen, in einen grünen Poncho gehüllt, noch fern auf der Strasse, aber Adelita seelisch seltsam nah. "Es gibt nun keine Vermittlung mehr, ich will  nur noch Isabell in die Augen sehen". Adelita unterstrich diese Aufforderung mit einem Wink und der Pistole in der Hand, als das Mädchen plötzlich einen Schuss abgab. In diesem Moment stürmte Salvador, noch schlaftrunken, mit seiner Windchester auf den Balkon und feuerte alle Patronen auf diese zarte Gestalt. Adelita schrie noch "Nein, bitte nicht", als sie schon zusammensackte und eine zweite Gestalt aus einer Seitengasse kam und sich zu Lucero hinunter beugte.

Nach einem Moment unerträglicher Stille sah diese Gestalt nun nach oben, direkt in Adelitas Augen, und zog auch eine Pistole im steten Gang auf sie zu. Beide standen nun wortlos mit gezogener Waffe voreinander und hatten Tränen in den Augen. "Hat dir Salvador nicht unsere Geschichte erzählt ?" , fragte Isabell. "Welche Geschichte ?" antwortete Adelita. "Ich kann jetzt nur vom Ende berichten, er hat soeben seine Großnichte erschossen". "Das bedeutet", sagte Adelita, und Isabell antwortete, "Ja, wir sind Schwestern, und unser Onkel hat unser beider Töchter getötet". Salvador stand noch immer auf seinem Balkon, unfähig sich zu bewegen, während sich seine beiden Nichten zu ihm drehten, beide eine Pumpgun aus ihrem Umhang zogen und abwechselnd ihre Patronen in seinen Leib versenkten.
Nach ein paar Minuten kehrte wieder Stille ein, und im Gestank von verbranntem Fleisch umarmten sich die beiden neu gefundenen Schwestern und übergaben Lucero, dem Azubi, den Schlüssel zum Geschäft.
Spät in dieser Nacht begannen die Mustang-Motoren sich wieder mitzuteilen, diesmal allerdings nicht ohne Brief und Siegel einer tiefen Vertrautheit. Isabell zog mit ihren Leuten wieder raus in die weite Wüste, und Adelita wanderte mit ihrem Geigenkasten und einem neuen Bewußtsein wieder heim nach Vegas. 































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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 12.10.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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