Jürgen Berndt-Lüders

Ist das Liebe?

Beim Speed-Dating hatten sie ihre Handynummern ausgetauscht, und kaum war der Abend zuende, versuchten sie, einander anzurufen. Immer sprangen die Mobilboxen an, bis Freddy endlich frei war.
 
„Carry hier, die Frau, mit der du die Nummer getauscht hast. Bist du noch in der Gegend?“
 
Fred lachte. „Ich habe vier Frauen meine Nummer gegeben. Welche bist du?“
 
„Die lanweiligste, weil ungestylt“, sagte Carry.
 
Wieder lachte Fred. „Okay, darin ähneln wir uns. ich bin auch nicht gestylt. Ich bin in der Knesebeckstraße. Bist du die mit dem Handy am Ohr?“
 
Carry war diejenige, und zwei Minuten später saßen sie in der Pizzeria.
 
„Das war lustig“, fand Freddy. „Du warst ständig besetzt. Wen hast du denn vor mir angerufen?“
 
„Niemanden. Nur dich. Die anderen beim Speed-Dating waren auf eine schnelle Entscheidung aus. Und du?“
 
Freddy wurde unsicher. Sollte er die Wahrheit sagen, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, sie zu verschrecken? „Mit zweien habe ich mich bereits verabredet. Neben dir,  der dritten, sitze ich im Moment.“
 
Carry fand nichts dabei. Ihr Gesichtsausdruck veränderte sich nicht.
 
Freddy trank sein Weizen in einem Zug. „Hab mir den Mund fusselig gequatscht“, informierte er. „Durst. Findest du eigentlich nichts dabei, wenn du erst die dritte in meiner Rangfolge bist, die mich dann auch noch selber anrufen musste? Wer sagt dir, dass ich dich überhaupt angerufen hätte?“
 
Diese Frau musste er doch irgendwie in die Defensive bekommen. Er sah doch als Mann erheblich besser aus als sie als Frau. Andere Gewichtsklasse einfach.
 
Freddys Handy klingelte. Er griff in die Tasche und klickte sich  raus, ohne überhaupt hinzusehen. Carry zeigte wieder keinerlei Reaktion.
 
„Wieso sind dir meine Kontakte  aus dem Speed-Dating so egal?“, fragte er nach kurzem Überlegen.
 
„Die sind mir nicht egal“, fand Carry und nippte an ihrer Cola. „Mir ist im Grunde überhaupt nichts ... egal. Waren schließlich nette, sympathisch aussehende Frauen und Männer darunter. Warum soll man sich nicht mit denen treffen?“
 
„Ja, aber befürchtest du denn nicht, dass ich dir abhanden kommen könnte, wenn ich noch andere Verabredungen habe... die ich übrigens nicht absagen werde?“
 
„Ich treffe morgen und übermorgen, ja mein ganzes Leben lang, beruflich und privat,  Menschen, die mir nicht egal sind und die mir, wie du sagst, abhanden kommen können oder auch nicht. Auch ich kann dir oder anderen Menschen abhanden kommen...“
 
„...das klingt frustig“, unterbrach Freddy.  „Du hast kein Selbstbewusstsein, willst nicht verletzbar sein und schottest dich ab. Hast wohl schon eine Menge Absagen bekommen“
 
„Im Gegenteil“, fand Carry und beugte sich vor. „Ich öffne mich seit geraumer Zeit. Ich bin offen wie jemand, der sich im Turm eingeschlossen hatte und dessen Fenster zugemauert waren. Ich habe Sicherheit gebraucht, so wie du und die meisten eben. Ich habe zwar keinen Regen, aber auch keinen einzigen Sonnenstrahl abbekommen. Ich habe die Mauern abgebrochen und stehe nun im Freien. Jetzt genieße ich es, alles so nehmen zu können wie es passiert“
 
„Das sind Sprüche“, fand Freddy und winkte ab. „Du suchst einen Mann und ich suche eine Frau. Dafür sind wir bereit, etwas zu tun und auch zu geben. Es ist ein Deal. Mach dir nichts vor. Wenn du ja sagst, ist die Sache begongt.“
 
Es kommt schließlich nicht nur auf das Äußere an, dachte Fred.
 
Carry sah Fred prüfend in die Augen. „Und wenn du eine gefunden hast, die dir das bietet, was deinen Vorstellungen entspricht, bist du bereit, beispielsweise einen Teil deiner lieb gewonnenen Gewohnheiten aufzugeben?“
 
Fred verstand das als Angebot. Er stand auf und streckte ihr die Hand entgegen. „Bingo“, rief er. „Ich wohne gleich um die Ecke.“
 
„Du willst also einen Vertrag aufsetzen?“
 
„Handschlag reicht“, fand Freddy, „aber ein kleiner ... intimer... Test wäre auch nicht schlecht“. Seine Hand blieb ausgestreckt.
 
Ein kleiner, untersetzter Mann mit Akne-Narben im Gesicht näherte sich dem Tisch.
 
„Ihr seid doch auch vom Dating. Habt ihr Sophie gesehen?“
 
„Ich bin Sophie, oder auch Melanie, oder Christine, ganz wie du willst.“ Carry stand auf und verließ grußlos das Lokal, das Narbengesicht folgte ihr zögernd.
 
Hinter der Säule saß Sophie. Sie erhob sich und ging lächelnd auf Freddy zu. „Wir sind zwar erst für morgen verabredet, aber wie ich sehe, haben wir beide jetzt Zeit. Vieles erledigt sich eben von selbst.“
 
„Also: ich verdiene das Geld und du kriegst zwei Kinder“, sagte Freddy nach einem kurzen Gedankenaustausch. „Und fremd gehen ist nicht drin. Okay?“
 
„Okay“, rief Sophie. „Auf so weltfremde Luschen wie die heute habe ich eh keinen Bock. Gehen wir. Du wohnst ja in der Nähe.“
 
Carry schloss eben die Wohnungstür auf und strich sich die flachen Schuhe von den Füßen.
 
„Na, Kind, wie war’s?“, fragte Mama von der Couch her über die Schulter.
 
„Ach, Mama, die wollen doch alle nur jemanden besitzen. Um den Menschen geht es ihnen doch gar nicht.“
 
Mama klopfte neben sich. „Setz dich. Mir geht es um dich und dass du glücklich bist.“
 
„Das nenne ich Liebe“, fand Carry und nahm ihre Mutter in die Arme.
 
"In der Liebe sollte es immer um den anderen gehen und nicht um sich selbst", fand Mutter
 
© Jürgen Berndt-Lüders

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 17.10.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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