Nicolai Rosemann

Der schönste Ork im Land

„Spieglein, Spieglein an der Wand. Wer ist der schönste Ork im ganzen Land?“
„Du auf jeden Fall nicht“, prustete Krak und hielt sich den Bauch vor Lachen. Er trug ein zerrissenes Seidenkleid und hatte verwischten Lippenstift auf der Wange. Ogar sah seinen Kumpanen böse an und zog unauffällig sein Jagdmesser aus der Scheide.
Lachend ging er auf Krak zu und klopfte ihm auf die Schulter. „Ein guter Witz, Kamerad“, kicherte er. Krak sah ihn verwundert an und zog ein lächerliches Gesicht. „Echt?“
„Nein“, antwortete Ogar kopfschüttelt und trieb ihm die Klinge ins Herz. Krak schluckte schwer und fasste sich ungläubig an die Brust. Er fühlte die Widerhaken an dem schartigen Messer. Da legte sich die Erkenntnis auf sein Gesicht. Ogar drehte die Klinge im selben Moment um und zog sie wieder heraus. Sein Kamerad sackte zusammen und fiel auf die erschlagene Besitzerin der Kleider, über die die beiden Orks hergefallen waren. Die Frau hatte doch tatsächlich versucht die beiden Orks mit einem Dolch anzugreifen als sie in ihr Haus eingedrungen waren.
Krak spuckte auf den Boden und hielt sich dann das linke Nasenloch zu bevor er tief durchblies. Ein riesiger Popel flog auf den Spiegel und blieb dort kleben. Ogar legte den Kopf schräg und sah sich dann noch einmal an. „Ja, ich bin der schönste Ork im Land.“
Draußen blies der Hauptmann zum Aufbruch. Schnell packte Ogar seinen Teil der Beute ein. Zwar nur ein Beutel mit einigen Goldmünzen und ein Silberkelch, aber mehr als Krak erhalten hätte. An den billigen Schmuckstücken hatte Ogar jedoch kein Interesse. Er riss nur die Ohrringe von Krak ab und beeilte sich dann zu seiner Horde aufzuschließen.
Lerk hatte bereits das Banner gehisst, ein blutrotes Stück Stoff mit den Clanzeichen der Horde. Da Ogar der letzte der Horde war, der aufschloss, war sein Hauptmann dementsprechend böse. Er versetzte Ogar einen kräftigen Tritt, der ihn zu seinem Kameraden taumeln ließ. „Wo ist der Stinker?“ fragte der Hauptmann.
„Hat sich von einer Frau abstechen lassen“, antwortete Ogar und zeigte seine faulen Zähne.
„Typisch für ihn. War sie wenigstens…“
„Sie war fett“, sagte Ogar bevor der Hauptmann seine Frage beenden konnte. Der Ork lachte und ließ dann zum Abmarsch blasen.
Vor der Stadt schlossen die Orks zu einer Gruppe unter dem Banner des dunklen Magiers auf. Diese Elitesoldaten trugen schwarze Mäntel über ihren Harnischen. Als Waffen führten sie entweder Zweihandschwerter oder breite Doppeläxte. Zum Schutz hatten sie riesige Schilde, die jeweils aus zwei Drachenschuppen bestanden. An ihrer Spitze ritt ein schwarzer Lord, der die Rune des Magiers auf seinem Oberarm trug. Er musterte die Orkhorde mit abfälligem Blick. Dann setzte er seinen riesigen, schweren Helm auf und gab dem Pferd die Sporen. Schnell verschwand er aus dem Blickfeld der kleingewachsenen Orks. Diese hatten auch bald andere Sorgen, die schwarze Horde gab einen schnellen Schritt vor, sodass sie bald Probleme hatten mit den Kriegern Schritt zu halten.
 
Der Himmel war gegangen, denn Pfeile verdeckten ihn. Die schwarze Horde verbarg sich hinter ihren riesigen Schilden und igelte sich ein, als die Vasallen über sie herfielen und mit ihren Hellebarden nach ihnen stießen. Die Orks waren diesem Angriff schutzlos ausgeliefert und lösten ihre Formation auf. Der Hauptmann wurde von gleich mehreren Pfeilen getroffen, ließ es sich aber nicht nehmen trotzdem einen Vasallen anzuspringen und ihm die Nase abzubeißen. Dann warfen sich mehrere Menschen auf ihn und er wurde zerstückelt.
Ogar war ganz in der Nähe und wurde von etwas am Helm getroffen. Als er einen Blick darauf warf, erkannte er, dass es der Arm des Hauptmanns war. Und am verkrüppelten Mittelfinger funkelte ein goldener Ring.
Ogar fasste sich an die Brust als wäre er getroffen worden und ließ sich zu Boden fallen. Im Getümmel der Kämpfenden grabschte er dann nach dem Arm und biss den Ring von der Hand.
Ein Ritter stand mit vollem Gewicht auf seinem Rücken, sodass es Ogar die Luft aus den Lungen presste. Vor Schreck schluckte er den Ring hinunter und kam fluchend auf die Beine. Doch der Übeltäter, ein junger Soldat mit blutverschmiertem Harnisch, war bereits wieder in der Masse der Kämpfenden verschwunden.
Schnell nahm Ogar sein Krummschwert auf und rannte irgendwo in die Menge. Dort hieb er blind nach Knien und Schienbeinen bis plötzlich ein gepanzerter Handschuh in sein Gesicht donnerte. Ogar spürte wie ihm einige seiner schlechten Zähne abbrachen, bevor er benommen auf den Rücken fiel. Eine Lanze bohrte sich zwischen seiner Brust und dem Arm in den Boden. Der Ritter lachte erfreut auf, zog die Lanze wieder aus dem Boden und sprang zum nächsten Gegner.
Ogar blieb einen Moment benommen liegen, dann stemmte er sich wieder auf die Beine und sah den Angreifer mit dem Rücken zu ihm stehen. Der Mensch ließ die Lanze über dem Kopf kreisen bevor er einen Vorstoß durchführte, der den Schild eines schwarzen Soldaten zur Seite schmetterte und den Brustpanzer durchbohrte. Der Schwarze stöhnte auf und sackte zu Boden.
Wieder kreischte der Mensch vor Freude, doch dieses Mal fand er kein neues Ziel. Ogar warf sich auf ihn und trieb ihm seinen Dolch durch den Hals. Gurgelnd fiel er zu Boden während Ogar noch ein paar Mal auf ihn einstach.
Da packte ihn jemand am Kragen und stopfte den kleinen Ork in einen Sack. Dort strampelte bereits Lerk, der Bannerträger.
„Was’n jetzt?“ stammelte Ogar und bemerkte wie ihm Blut aus dem Mund lief.
„Wir wurden gefangen genommen, du Dummbatz!“ kreischte Lerk und strampelte weiter. „Ich will hier raus!“
 
Sie kamen aber nicht mehr raus, und zwei andere Orks landeten auch in dem Sack. Als er wieder geöffnet wurde, landeten alle Vier hart auf ihren Hintern. Der Oger, der den Sack getragen hatte, wurde auch schon von einem bewaffneten Menschen an einer Leine abgeführt.
„Auf die Beine, ihr dreckigen Maden!“ schrie sie jemand in einer strahlend goldenen Rüstung an und trat Lerk in den Bauch um seinem Befehl Nachdruck zu verschaffen. Sofort sprangen die Orks auf die Beine und nahmen Haltung wie bei einem Appell an.
„Ihr seid jetzt Gefangene und habt keine Rechte mehr. Wenn ihr euch gut benehmt, werdet ihr gut behandelt. Wenn ihr Probleme machen solltet…“ Der Ritter deutete über seine Schulter und trat zur Seite. Gerade wurde ein strampelnder Ork in einen Topf mit siedendem Öl getaucht.
„Wird der jetzt gegessen? Ich habe Hunger“, geiferte einer der anderen Orks. Sofort fing er sich einen Fußtritt ins Gesicht ein. „Friss Dreck, du Made!“ befahl der Ritter.
Zwei Landknechte kamen von hinten heran und legten den Orks Stricke um die Hälse. So waren sie aneinander gebunden.
„Man bringt euch jetzt zu unserem Schreiber. Dort nennt ihr eure Namen und bekommt euer Brandzeichen. Wenn ihr keine Probleme macht vielleicht auch was zu Essen und zu Trinken. Und morgen dann bringt man euch zu den Minen. Abmarsch!“
Ein Landknecht zerrte sie ohne Rücksicht zu einer wackligen Hütte, vor der ein alter Mann mit langem, grauem Bart saß und etwas in ein Buch kritzelte.
„Name?“
„Lerk, Standartenträger des Clans“, antwortete Lerk stolz.
„Schön für dich“, sagte der Alte und nickte einem anderen Landknecht zu. Sofort bekam Lerk die Peitsche zu schmecken.
„Name?“
„Ogar.“ Es geschah nichts. Der Alte notierte den Namen und machte ein Zeichen, dann fragte er die anderen. Schließlich wurden sie weitergeführt und bekamen ein Brandzeichen.
 
Lerk und die beiden anderen wurden wirklich in die Minen gebracht.
Ogar landete in einer Schmiede und bekam dort Klingen zum Schleifen. Die ersten Klingen machte er absichtlich schartig, bis derSchmied ihm ein glühendes Stück Stahl auf die Brust drückte und ihn ermahnte, die Arbeit richtig zu machen. Danach schliff Ogar die Klingen so gut, dass selbst ein Drachenpanzer einfach durchtrennt worden wäre.
Später bekam er dann andere Waffen zum Schleifen. Glänzende Zierwaffen, die wohl nur zu besonderen Anlässen getragen wurden, aus Gold oder Silber. Zum ersten Mal seit dem Überfall auf die Stadt hatte Ogar so Gelegenheit sich selbst zu sehen.
Sein Mund war jetzt schief und schwarz. Die meisten seiner Zähne waren abgebrochen oder faul. „Schwertlein, Schwertlein in meiner Hand. Ich bin nicht mehr der schönste Ork im Land“, wimmerte Ogar und sah sich um. Die beiden Schmiede standen mit dem Rücken zu ihm und hämmerten auf ein Stück Stahl ein, das wohl eine Berserkeraxt werden sollte. Sonst war im Moment niemand in der Schmiede.
Die Kette an Ogars Fuß war zu stark um sie abzureißen oder zu durchschlagen. Aber auch sonst wäre er nicht weit gekommen.
So drehte Ogar das Schwert um, setzte sie Spitze an seinen Kehlkopf und ließ sich dann nach unten fallen.
Erst eine Stunde später, als der Schmied ihn züchtigen wollte weil er die Schwerter nicht mehr schliff, wurde bemerkt, dass Ogar, der Ork, sein Leben beendet hatte.

Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Orks immer als gefühllose Monster in der Literatur aufscheinen, die vorzugsweise Brandschatzen, Morden und die Erschlagenen auffressen. Doch wie auch bei den Menschen gibt es bestimmt auch sensiblere Orks, die dem Kriegshandwerk zwar frönen, es aber nicht mit ganzem Herzen tun. Diesen Orks ist diese Geschichte gewidmet.Nicolai Rosemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 19.10.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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