Hans Pürstner

Arbeitslos

  
Erster Oktober, ein kühler, regnerischer Tag, passend zum Anlass. Ich packe meine Unterlagen zusammen und fahre zur zuständigen Arbeitsagentur.
Ich bin ab heute arbeitslos. Obwohl, arbeitslos darf man ja heute nicht mehr sagen. Das verstößt gegen die Menschenwürde. Arbeitssuchend heißt es jetzt. Am Zustand an sich ändert sich nichts, Menschenwürde hin oder her.
Ich ziehe eine Nummer. Überraschend schnell wird sie aufgerufen. Aber das hätte ich mir denken können. Dies war nur die Anmeldung. Die Dame nimmt meine Papiere an sich, kontrolliert ob alles Nötige dabei ist und händigt sie mir wieder aus.
„Sie werden aufgerufen, nehmen Sie solange Platz!“
Diesmal dauert es etwas länger, aber schließlich kommt die zuständige Sachbearbeiterin und holt mich persönlich ab, ich bin beeindruckt.
„Sie haben ja schon bei Erhalt der Kündigung alles Nötige hier gemeldet, deshalb geht es jetzt schnell!“ Sie lächelt freundlich, meine Miene bleibt versteinert, trotzdem.
„866 € im Monat, da Sie schon so alt sind, bekommen Sie 24 Monate ALG 1“
Sie erwartet ein zufriedenes Seufzen, mir steckt immer noch ein Kloß im Hals. Obwohl, noch nie habe ich so gerne gehört, dass ich schon „so alt“ bin, ansonsten würde ich nämlich schon nach zwölf Monaten oder noch früher in Hartz IV rutschen.
„Das gilt doch nur für den Fall, dass wir keinen Job für Sie finden“, beruhigt sie mich. „Hier ist schon mal die Einladung Ihrer zuständigen Vermittlerin,   
Mittwoch 16. Oktober um 8:30 Uhr in Zimmer 234. Auf Wiedersehen!“
Ich lese mir die „Einladung“ durch, während ich nach draussen gehe. Dies ist eine Einladung nach §12345, Absatz sowieso. Falls ich nicht pünktlich erscheine, passieren fürchterliche Dinge. Das heisst, auf dem langen Weg der Bürokratie, die Sprache etwas verständlicher zu gestalten, von der Vorladung zur Einladung hat sich nur die Bezeichnung geändert, sonst nichts. Ich bin zwar jetzt nur eine Nummer, aber eine „Kunden“nummer, immerhin. Ich gehe nach Hause, treffe die Rentnerin vom zweiten Stock, bisher hatte ich kaum Zeit mehr als ein paar Höflichkeitsfloskeln mit ihr zu wechseln.
„Ach Gott, neunundfünfzig sind Sie schon? Da finden Sie sowieso nichts mehr“ meint Sie mitfühlend.
 Sehr aufbauend, denke ich, bleibe aber freundlich.
Der Freundeskreis überbietet sich damit, mir gute Ratschläge zu gebe, damit ich nicht „in ein Loch falle“ Aber statt in ein Loch falle ich erstmal in Putz- und Ordnungswut. Schubladen, Schränke, alles was sich in den letzten Jahren angesammelt hat, dessen Erledigung ich immer mehr aufgeschoben hatte, muss nun dran glauben.
Endlich habe ich nun auch Zeit, meine gesundheitlichen Wehwehchen gründlich durchchecken zu lassen. Terminabsprachen sind mangels Arbeitszeit kein Problem.
Zwei Tage vor dem Arztbesuch meldet sich meine Vermittlerin. „Wir müssen das Vermittlungsgespräch leider vorverlegen, kommen Sie übermorgen um Elf!“
Aufgelegt.
Toll, was mache ich jetzt mit meinem Arzttermin?
Ich erscheine pünktlich, klopfe an und als sich nichts tut, öffne ich die Tür. „Ich komme nach draußen und hole Sie ab“ meint sie barsch und deutet mir zu gehen.
Keine Minute später tut sie wie versprochen und lässt mich ins Allerheiligste.
Meine ausgestreckte Hand zur Begrüßung weist sie brüsk ab. „Aus gegebenen Anlass, Sie wissen ja“
Na ja, ich weiß, die Schweinegrippe, wofür die so alles herhalten muss.
Sie nimmt meine Daten in ihr Computerprogramm auf, bemängelt die vorsintflutliche Schreibweise meines Lebenslaufs, den ich mitbringen musste und droht gleich mal mit einem Bewerbertraining.
Mein schüchterner Einwand, dass in meinem Alter und bei dem Beruf wohl eher telefonische Bewerbungen erfolgversprechend sind, wenn überhaupt, tut sie mit einem Achselzucken ab.
„Hier haben Sie ein Formular, da tragen Sie Ihre Bewerbungen ein, damit ich sehen kann, was Sie an Eigeniniative gemacht haben. Drei Bewerbungen pro Woche!“ Ihr drohender Blick lässt mich noch mehr zusammensinken.
Mit gesenktem Kopf schleiche ich nach Hause. Woher soll ich drei Stellenangebote pro Woche nehmen?
Aus der Jobbörse der Agentur im Internet, hatte man mir gesagt. Und was macht einer, der sich damit nicht auskennt? Nicht jeder hat sich das rechtzeitig selbst beigebracht wie ich.
Keine drei Wochen später bin ich beim Bewerbungstraining einer gemeinnützigen Schule für Erwachsene. Am Ende der Woche bin ich so firm, könnte ich mich als Chefredakteur beim Stern bewerben. Andere Leidensgenossen eher nicht. Sie können zwar leidlich gut Deutsch, aber nicht genug um tolle Bewerbungen zu schreiben.
Wir tauschen Emailadressen untereinander aus und verabschieden uns von einander. „Viel Erfolg!“ Gehört hab ich nie wieder was von ihnen, aber selbst schreiben mochte ich auch nicht.
In vier Wochen habe ich einen wichtigen familiären Termin in Österreich. Mein Anruf bei der Agentur ergibt, dass ich frühestens sieben Tage vorher meinen „Urlaubsantrag“ stellen darf. Dann kostet die Fahrkarte ungefähr hundert Euro mehr, als wenn ich rechtzeitig buche.
 „Sie könnten ja in der Zwischenzeit einen Job finden!“, meint die Dame.
Meine potentiellen Arbeitgeber weigern sich aber nach wie vor hartnäckig, zuzugreifen. Dabei ist es doch ein Spitzenangebot, „sechzigjähriger, Arthrose in beiden Knien, baldige Hüftoperation wahrscheinlich, sucht Job“ Die echte Bewerbung klingt natürlich anders.
Bis zu einem Lohn von mindestens 80% des ALG 1 muss ich eine Stelle annehmen, ansonsten droht eine Sperre von sechs Wochen.
Im Fernsehen sehe ich die Arbeitsministerin
„Wenn  ein sechzigjähriger Maurer die Arbeit auf dem Bau nicht mehr schafft, könnte er doch z.B. im Büro arbeiten!“ flötet sie treuherzig in die Mikrofone der Fernsehteams.
Ich vergesse meine gute Erziehung und gebe einen passenden Kommentar dazu, den ich aus juristischen Gründen hier nicht wiederholen darf. Hat sie sich eigentlich überlegt, was diese Äusserungen bei Betroffenen auslösen? Nicht nur beim angesprochenen Maurer, auch bei den möglichen zukünftigen KollegInnen im Büro.
Anstatt einer Stelle habe ich eine neue „Maßnahme“ bekommen. „Faul zu Hause rumsitzen ist nicht“ meint die Vermittlerin. Sollte wohl witzig klingen, aber ich weigere mich zu lächeln.
Bei der „ganzheitlichen Integration für Arbeitslose“ - jetzt also doch wieder arbeitslos - muss ich jetzt die nächsten sechs Monate 2 mal wöchentlich antanzen. Alle Dozenten haben ihr eigenes Konzept, Wissen zu vermitteln. Scheint mir wenig koordiniert zu sein.
Der Türke neben und der Serbe vor mir können deutsch nur radebrechend.
„Setzen Sie sich vor den PC und verbessern erstmal Ihren Lebenslauf!“ sagt der Lehrer und verkriecht sich in seinen Unterlagen.
„Ich kann das nicht“ meint mein Nachbar. Schwer genervt bemüht sich der Dozent zu ihm. Nach ein paar Anweisungen, „diese oder jene“ Taste zu drücken, gibt er auf.
„Sie müssen schon auch ein bisschen guten Willen zeigen. Ich kann doch nicht die ganze Stunde nur bei Ihnen helfen!“
 Ich hab Mitleid mit dem Kollegen, helfe ihm ein bisschen.
In der Pause erzählt mir ein junger Berufskraftfahrer „Nächste Woche läuft mein Schein zum Transport gefährlicher Güter ab. Jetzt könnte ich ihn noch verlängern lassen. Danach muss ich den ganzen Kurs wiederholen.“
Aber die Agentur weigert sich, die Kosten zu übernehmen für die Verlängerung. „Wir haben doch schon soviel für Ihren Kurs bezahlt“.
Was für ein Irrsinn, Am Ende des schönen teuren Kurses sind seine Vermittlungschancen noch weiter gesunken ohne den Schein. Bestimmt tröstet man ihn mit einer neuen teuren Maßnahme.
Und so vermitteln und integrieren sie halt alle still und lustlos vor sich hin.
Arbeitslos sind wir noch immer.
 
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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