Bruno Rosetti

Die Willi Heaven Saga

Für die einen ist es eine Diagnose, für andere eine
Berufung, wir kennen sie als die bestbezahltesten Urlauber der Welt, Generationen litten in ihrer Jugend unter ihnen, aber eine Alternative für sie gibt es nicht.
Wir sprechen:...ja, du da in der 1. Reihe...genau, von den Lehrern.
Eine Alternative für sie gibt es (noch?) nicht, auch sie
leiden, behaupten es zumindest und auch sie haben ihre Helden. Diese Geschichte ist einem ihrer Grössten gewidmet, dessen Konterfei heute in jedem Lehrerzimmer hängt...
eine Realzeit Aufzeichnung


Musik: Papa Roach, Limp Bizkit,Linkin Park


wir beginnen...


...ein leises vibrieren lässt den trüben, milchigen Kaffeerest in der GEW Tasse kleine Wellen schlagen...Helfmann sitzt allein am Konferenztisch im Lehrerzimmer und beisst die Zähne zusammen, dass sich die Wangen weiss verfärben.
Wie lange sitzt er schon hier?...Tage ?...Wochen?...oder erst seit einer halben Stunde, seit 8.30 Uhr, seit er wieder einmal zu spät zur ersten Stunde gekommen ist, nach dem langen Skatabend gestern?...
...er weiss es nicht, ihm ist nur schlecht, schlecht vor Angst.
Eigentlich sollte er jetzt oben sein, oben bei den 10ern und Caesars „De Bello Gallico“ unterrichten,aber der Krieg findet hier statt, nicht in der Vergangenheit, er ist real, er tut weh , er macht Angst.
...wieder ein vibrieren, stärker diesmal, der ganze Tisch gerät in Schwingungen...Helfmann zieht die Schultern nach oben und starrt an die Decke. Das sind sie, sie bauen die Barrieren, die Sperren vor der Tür, umgekippte Tische und Stühle, mit Stacheldraht umwickelt...bei der Inspektion durch das Oberschulamt vor 2 Monaten gab es keinen Stacheldraht, da sah man noch Reste von Toilettenpapier, so stands auch im Bericht...aber er weiss es besser, sie sind schlau , die Teufel, siekönnen sich hervorragend verstellen...und jetzt, jetzt warten sie auf ihn...
Mit zitternden Händen schraubt er sein Pillenfläschchen auf, schüttelt 2-3 der kleinen Freunde raus und wirft sie ein, die einzigen Freunde, die ihm sicher helfen, die ihm Gelassenheit geben, Überlegenheit...
Helfmanns Blick streift über die Wand des Lehrerzimmers, über die Lehrpläne Stundenkontingente, die riesigen Zahlenkolonnen mit den Ferienterminen hin zu dem Bild, einem Porträt, dem wohl bekanntesten Gesicht der westlichen Pädagogenhemisphäre, der gütig-entrückte Blick aus den grünen Augen, das feine lächeln, das die Lippen umspielt, der Bund der Bleylestretchhose unter den Achselhöhlen, unverkennbar, sein Markenzeichen...der Bezwinger, der Vollstrecker, Elitekämpfer...nur ein paar derEhrentitel, die er bekommen hat.
Darunter eine schneeweisse Haarsträhne, mit Tesafilm auf Glas geklebt, die Skalplocke des Renegaten
Frank Sattmann.
Helfmann schliesst die Augen und denkt zurück, ..an damals, vor 2 Jahren, als alles begann...

Es war am Tag nach den Sommerferien, die Schule roch frisch und sauber, wochenlanges renovierenund putzen hatte die Kampfspuren des letzten Schuljahres verschwinden lassen, die Kollegen hattensich gut erholt, es herrschte vorwiegend optimistische Stimmung. Einige waren auf (bezahlten) Seminarenund hatten neue Kampftaktiken mitgebracht, andere in Selbstverteidigungskursen( „wie mache ich Angreifermit Kreide und Schwamm kampfunfähig“ oder“ das Klassenbuch, eine gefährliche Waffe“).
Die Theorien eines Hans Kusch wurden wieder diskutiert („ präventive Prügelstrafe schadet nicht“) undeiner wagte sogar die Aussage, er werde bis zum 60.! Lebensjahr unterrichten und regulär in Rente gehen  (was eine allgemeine Heiterkeitswelle auslöste, manche schmunzelten noch nach Stunden).
Dieses tolle Hochgefühl bekam dann allerdings seinen ersten Dämpfer, als Plesser, der Konrektor, mit der Nachricht kam, dass sie in der 11 einen Zugang bekommen hatten... Frank Sattmann.
Alle kannten Sattmann, ein bekennender Antiautor-Fundi, indoktriniert von Eltern, die ihn nach der Lehre
Neills erzogen haben, nämlich gar nicht...er war wie eine Zeitbombe, sobald er Lehrerautorität auch nur in
Spuren wahrnahm, begann er zu ticken...und die Explosion liess nie lange auf sich warten.
Er kam von einer Waldorfschule, der Bericht stand im „Pädagogen“, sie kannten ihn alle, ein Referendar,
nach dem Profil ein offener, mitteilsamer Charakter sollte seine erste Unterrichtstunde in Sattmanns
Klasse abhalten. Durch einen organisatorischen Fehler waren die 2 Klassenlehrer(Sattmanns Klassen waren aus Sicherheitsgründen immer doppeltbesetzt) beide nicht anwesend, als der Referendar den Schulraum betrat. Das nachfolgende war dann nur in Bruchstücken zu rekonstruieren, nach ca. 5 Minuten stürzte der Lehreranwärter kalkweiss aus dem Zimmer und verschanzte sich im Kartenzimmer.
Der Hausmeister brauchte eine halbe Stunde um das BKS-Schloss zu knacken, dann fanden sie ihn,
zusammengekauert im hintersten Winkel, er hatte eingenässt und stammelte unzusammenhängende Worte.
Sie mussten den Notarzt alarmieren, der die sofortige Einweisung ins psychiatrische Landeskrankenhaus
veranlasste.

Nun hatten sie ihn, Sattmann, auf eine Verfügung des Oberschulamtes hin, in seiner alten Schule wollte ihn niemand mehr unterrichten und nur weil sie hier einige Kollegen mit Spezialausbildung hatten ...
...die ganze schöne Stimmung war dahin, einigen, die wussten, dass sie auf jeden Fall eine 11er Klasse
bekommen würden, standen Tränen in den Augen, andere, glücklichere nahmen sie in den Arm, Plesser
legte die Dire Straights“Brothers in arms“ auf, sie holten ihre Feuerzeuge raus, knipsten sie an und
schwenkten sie über den Köpfen, es war ergreifend...
In diesem Augenblick ging die Tür zum Lehrerzimmer auf.
Er kam, klein und unscheinbar, am ersten Tag an der Hand seiner Frau, einer attraktiven Rothaarigen, die
jedem ,der ihr länger als 2 Sekunden in die Augen starrte geheimnisvoll zuzwinkerte. Die meisten starrten
länger.
Rektor Brillig empfing beide in seinem Büro, bot Platz an... und glaubte seinen Augen nicht zu trauen !
Die Rothaarige setzte sich und nahm ihren Mann auf den Schoss.
„Äh, ja, ihr Name ist Heaven, William Heaven, sind sie Engländer?“...Brillig lächelt unverbindlich.
„Wir kommen aus Australien, leben aber schon 5 Jahre in Deutschland“. Die Rothaarige antwortet
zwinkernd.
Brillig zwinkerte eher irritiert zurück.
„ Nun, Herr Heaven, sie haben ausgezeichnete Zeugnisse von einigen besonders ...ähh schwierigen Schulen, sie sollen dort mit delikaten, pädagogischen Situationen fertig geworden sein. Sie unterrichten Englisch?“
„Ja, Englisch, Biologie, auch Religion...“ Es war das erste Mal, dass WilliHeaven selbst sprach, mit einer
hohen, piepsigen Stimme...mein Gott, was für eine Flasche, dachte der Rektor und so eine Hammerfrau!
Irgendetwas stimmte da nicht.
Willi sprang vom Schoss, öffnete sein Jackett und reichte Brillig die noch fehlenden Befähigungsnachweise.
Brillig blieb der Mund offen stehen...WilliHeaven hatte seine Hose bis unter die Achselhöhlen hochgezogen  von breiten Hosenträgern gehalten, es sah unglaublich aus, unglaublich lächerlich.
Wir müssen ihn so schnell wie möglich wieder los werden, der Mann ist eine Schande für die ganze Schule, dachte Brillig.
„Ah, ja, Herr Heaven, sehr schön, ich sehe schon, ich denke, sie passen gut in unser Team. Ich glaube,
ich habe da auch gleich die richtige Aufgabe für sie. Ich stelle Ihnen gleich die Kollegen vor.“
Rektor Brillig begleitete Frau Heaven an die Tür, verabschiedete sich, nicht ohne vorher nochmals heftig angeblinzelt worden zu sein. Dann ging er zusammen mit Heaven zum Lehrerzimmer und öffnete die Tür.
„Liebe Kollegen, das ist der neue Kollege, WilliHeaven, er wird ab sofort die 11a übernehmen.“ Brillig lächelte süffisant.
Die neue Sattmann-Klasse!
Gemurmel, leises Lachen, Bedauern, Freude bei denen, die drum rum kamen.
Dann umringten sie den Kleinen, stellten sich vor...und das Schicksal nahm seinen Lauf.
Klasse 11a am darauffolgenden Tag.....

WilliHeaven betrat das Zimmer, das eher der Aufzuchtstation eines Gorillakäfigs glich.
Ungeheueres Stimmengewirr, durcheinanderfliegende Schwämme, vollgesogen mit Wasser, Kreidestücke,
Bücher, allerlei Obstarten, dazwischen umgestürzte Stühle.
Dann ein Pfiff und alle setzten sich, wohl mehr aus Neugierde, als aus Disziplin.
Frank Sattmann ist ein grosser, schwarzhaariger Bursche, der sich schon täglich rasieren musste, dies aber nur sehr unregelmässig tat, sitzt in der ersten Reihe am Fenster. Neben ihm der fette Karcher, der mit ihm die Schule gewechselt hat, ein eher harmloser Mitläufer.

Das nachfolgende Geschehen, welches die Legende des WilliHeaven begründete, ist aus Zeugenberichten
der Klasse 11a, teilweise nach persönlichen Aufzeichnungen des Meisters aber auch aus Gerüchten und Vermutungen , zusammengestellt worden:
Heaven begann den Unterricht mit einem piepsigen:“Good morning, boys and girls, open your books, please and, Shut up!!”, (was soviel wie”haltet die Fresse, ihr Pissnelken” bedeuten sollte).
Sattmann reagierte als erster mit einem krachenden Rülpser, dann nahm er sein Buch und beförderte es mit einem oft geübten und daher gekonnten Wurf in den Papierkorb.
Als sich Heaven in seiner Winzigkeit vor ihm aufbaute und versuchte ihm in die Augen zu schauen,entblösste der Provokateur sein Gebiss. Es ging damals das Gerücht, Frank Sattmann hätte seit seine 5.Lebensjahr ein Edelstahlgebiss, seit er versucht hätte, im Kindergarten die Tür aufzubeissen,
andere sagten, er habe nur eine normale Zahnspange besessen,...seis drum, Sattmann griff in seine Tasche
nahm eine Handvoll Stifte,... Buntstifte, Filzstifte... heraus , biss hinein, kaute , schluckte...und musterte
Willi Heaven mit einem glitzernd-funkelnden Blick, der den Umsitzenden einen kalten Schauer über den
Rücken jagte.

WilliHeaven blieb ruhig stehen.

Sattmann griff wieder in seine Schultasche...und brachte eines dieser Butterfly-Messer zum Vorschein,
beidseitig geschliffen, eine geschickte Bewegung aus dem Handgelenk und es war einsatzbereit.
Wie auf Kommando fing nun der fette Karcher an zu lachen, ein glucksendes, schmieriges Lachen, zeigte auf Heaven und sagte: „Mensch, du bist ja nur Hose und Kopf“.
Mit einem „Halt die Fresse, er gehört mir“ drehte sich Sattmann zu seinem Nebensitzer hin, das Messer
blitzte kurz auf und fuhr mit einem feuchten, dumpfen Geräusch Karcher zwischen den 2 Hemdknöpfen
über seinem Nabel in den fetten Bauch. Ein kurzer Ruck nach oben und ein blutiges Gemisch aus
Darmschlingen und Fleischfetzen hing Karcher bis zu den Knien.
Ein stöhnender Aufschrei der Mitschüler, einige kippten bleich aus der Bank...und Karcher,...Karcher... lachte immer noch.

WilliHeaven blieb ruhig stehen.

Sattmann, jetzt den puren Wahnsinn in den Augen, beugte sich vor, griff in die offene Wunde und zog
einen Fleischklumpen heraus, ein blutiges Stück Muskelfleisch, ein ...riesiges Herz...wie der (auch)Biologe Heaven erkannte...und Karcher?..Karcher lachte weiter.
„...und jetzt, du abgebrochener Riese, jetzt bist du dran...“ Sattmann , blutverschmiert, das Herz in der
Linken, drehte sich zu Willi Heaven „...mal sehen, was unter deiner Hose steckt...“

Eine kaum wahrnehmbare Bewegung , das Messer blitzte, die Träger durchschnitten fiel die Hose...

...und Sattmann erstarrte.

Noch Stunden später brachte er keinen Ton heraus, da waren seine Haare schon weiss, da hatte man schon herausgefunden, dass der fette Karcher mit Abfällen aus dem Schlachthof präpariert war, da gab Heaven schon wieder ganz normal Unterricht, vor einer ruhigen Klasse...nur Sattmann nahm nicht mehr daran teil.
Er war in psychologischer Betreuung und redete erst nach 2 Monaten wieder, später wurde er Hausmeister in einer Tiefgarage.

Was er gesehen hatte, als Willi ohne Hose vor ihm stand, darüber sprach er nie.

Spekulationen gab es genug, wie es bei Legenden halt so ist, ...auch Willis Frau sagte nichts, diese attraktive, rothaarige Schönheit, die gern andern Männern zuzwinkerte, aber mehr auch nicht,

denn... dafür hatte sie ja ihren Willi...


DAS ENDE

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 03.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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