Neun Jahre zählte mein Kinderleben. Meine Gedanken waren überall und nirgends.
Eigentlich wollte ich angeln. Leider hatte die Nordsee ihr Wasser zurückgezogen.
Es war Ebbe. Gelangweilt lag ich im hohen Gras neben Onkel Loert’s Weide, vom Nachbarhof.
So ganz ohne Pferd, ist das Kinderleben ein Trauerspiel, dachte ich.
Mietze, die alte Stute von Onkel Loert und Tante Erna graste neben mir auf deren Weide.
Die gute alte Mietze. Wie oft ich das Tier schon unerlaubt aus Onkel Loert’s Weide geholt,
um mit ihr einen Ausritt auf dem Deich zu machen, weiß ich nicht mehr.
Aber ich weiß, dass mir mein Vater, genau so oft den Arsch versohlt hat.
Oh, Mietze, womit haben wir das nur verdient? Mietze hob den Kopf und schaute zu mir herüber.
Sie schnaubte und scharrte mit dem Vorderhuf als wollte sie sagen:
,, Komm Junge, mir tut Bewegung gut, lass uns einen Ausritt machen.“
Frische Löwenzahnblätter bot ich meiner treuen Freundin auf offener Hand an.
Es kitzelte immer, wenn sie mir das Futter aus der Hand schlabberte.
Als sie ihren Kopf zu mir herrunter beugte, legte ich meinen Kopf an ihren Hals und klopfte sie.
Das Pferdchen wieherte und galoppierte zum Gattertor. Sie wollte endlich raus.
Ein Tau als Reiterleine band ich an ihr Halfter. Dann öffnete ich das Gattertor und führte sie zum alten Ackerwagen.
Mietze kannte das schon. Geduldig wartete sie, als ich zuerst auf den Ackerwagen und dann auf ihren Rücken kletterte.
Sie hob ihren Schwanz und galoppierte fröhlich und furzend zum Deich.
Nach zehn Minuten, hatten wir das Dorf hinter uns gelassen. Hier am Wasser war das Paradies der Tiere.
Die Lerchen trällerten ihr Lied. Hunderte Kiebitze waren auf Nahrungssuche in dieser Oase Feuchtgebiet.
Die Bienen summten. An einem Torfring lehnend, beobachtete ich, wie Mietze sich das frische Gras schmecken lies.
Das es einen schöneren Fleck auf dieser Erde geben könnte, war für mich unvorstellbar.
Gedankenverloren sah ich Mietze zu, wie sie sich das köstliche, saftige Gras einverleibte.
Plötzlich hörte ich neben mir eine Stimme.
Ich kenne einen kleinen Jungen dem heute noch der Hintern versohlt wird, sagte mir diese vertraute Stimme.
Erschrocken sah ich in das bekannte Gesicht eines Mannes.
Es war der Bruder von Onkel Loert, der lachend weiterfuhr.
Damit kann er Recht haben, dachte ich.
Schnell führte ich Mietze zu einem Gattertor, krabbelte hinauf, um wieder auf Mietze’s Rücken zu gelangen.
Ein bisschen flau war mir schon im Magen als ich Mietze auf ihre Weide zurückbrachte.
Das Glück war heute mit mir. Onkel Loert und mein Papa hatten nichts bemerkt.
Erleichtert lief ich nach Hause. Es war 16.30 Uhr.
Papa hatte die Milchkannen, die Eimer und das große Milchsieb in den Handwagen geladen. Er wollte auf die Kuhweide zum Melken.
Hallo Papa, soll ich dir helfen, rief ich. Mein Papa freute sich. Das Gehen viel ihm schwer.
Durch schwere Kriegsverletzungen, konnte er sein linkes Knie und seine linke Hüfte nicht mehr bewegen.
So zogen wir gemeinsam den Handwagen zum Melkerstand.
Fröhlich singend legte Papa seinen rechten Arm um meine Schulter.
Wenn Papa ein Lied sang, sah er sehr glücklich aus.
Auch ich freute mich dann. Mir war, als danke er dem lieben Gott für diesen schönen Augenblick.
Die Liebe zu meinen Vater war sehr groß, auch wenn er mich manchmal, schmerzhaft eines Besseren belehrte.
Für mich war und blieb er, der beste Papa der Welt.
Beim Abendbrot erzählte er, wie lieb ich heute gewesen sei.
Mama und meine vier Schwestern wunderten sich.
Papa jedoch war stolz auf mich.
Überglücklich ging ich an diesem Abend ins Bett. Schnell holte der Schlaf mich ein.
Im Traum ritt ich auf einem schneeweißen Schimmel zum Strand.
Dabei spürte ich den rauen Wind und den liebenden Arm von meinem Papa.
Rolf Grebener
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.11.2010.
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