Endlich waren wir dran. Eine dreiviertel Stunde Wartezeit war noch erträglich, weil wir dabei Gleichgesinnte trafen. Es kam so etwas wie Familiensinn zwischen den Wartenden auf, ein Gefühl, das wir in unserem Privatleben lange abgeschafft hatten, vielleicht auch deswegen weil die Großeltern unserer Kinder vor Jahren ihren Lebensmittelpunkt nach Spanien verlegt hatten und die Früchte des einstigen Wirtschaftswunders verspeisten.
Wir kannten das kleine Reisebüro, hatten dort einst unsere Hochzeitsreise auf die Malediven gebucht. Doch nie vorher hatte der Ein-Raum-Laden so einen Boom erlebt. Von einer strahlenden Mitarbeiterin wurden wir empfangen.
Kaum sitzend, stellte sie ihre Fragen.
„Wollen Sie zu zweit reisen oder mit der ganzen Familie?“
Wir waren uns da nicht ganz sicher, denn die beiden Buben waren erst 6 und 8 Jahre alt.
„Das ist kein Problem. Wir bieten natürlich Reisen mit ganztägiger Kinderbetreuung an.“
Das würde uns die Sorge um die Unterbringung der lieben Kleinen abnehmen. Außerdem waren auch viele unser Bekannten von ihrem Nachwuchs begleitet worden und priesen den pädagogischen Wert von deren Teilnahme in höchsten Tönen.
Überhaupt schämten wir uns, dass wir den Trend so lange verschlafen hatten. Bei den morgendlichen Gesprächen im Büro und den nun ausschließlich in den Abendstunden der Arbeitstage stattfindenden Treffen unter Freunden fühlten wir uns schnell ausgegrenzt, weil wir keine eigenen Erfahrungen beitragen konnten und als sozial, politisch und wirtschaftlich inkompetente Ignoranten tituliert wurden. Es war höchste Zeit gewesen, dieses Manko abzuschaffen, auch wenn wir im Grunde unseres Herzens die friedlichen Wochenenden in dem Garten unseres neuen Reihenhauses liebten und genossen. Von den Grillabenden ganz zu schweigen.
„Bitte charakterisieren Sie sich in den Sparten Abenteuerlust, Sportlichkeit und Harmoniebedürfniss mit den Antworten groß-mittel-klein.“
Wir waren beide nur begrenzt abenteuerlustig, konnten das aber nicht zugeben, weil das einen Mangel an Neugierde und Konfliktbewältigung erahnen ließ. Da sich unsere sportlichen Aktivitäten auf Haus- und Gartenarbeit beschränkten, wir aber nicht als träge gelten wollten, wählten wir auch dort den Mittelweg. Große Harmoniebedürftigkeit implizierte geradezu unflexible Spießigkeit und durfte daher auch nur als mittelmäßig dargestellt werden, selbst wenn wir freudig jedem Streit aus dem Wege gingen.
„Da Sie Anfänger sind, schlage ich für’s Erste eine Veranstaltung mit geringer Teilnehmerzahl und minderem Konfliktpotential vor. Sie werden schnell Geschmack daran finden und sich bald größeren Aufgaben widmen wollen. Deshalb können sie auch gleich drei Wochenendtrips zum Preis von zweien buchen. Ein enormer Preisvorteil.
Da uns schwante, dass wir dem Zeitgeist nicht entkommen konnten, willigten wir ein.
„Gut, wir bieten Ihnen ein Rundum-Paket, das den Bustransfer ab dem nächstgelegenen Bahnhof beinhaltet, Zelte, Isomatten, die Benutzung von Toilettenhäuschen- man will ja nicht in die Büsche pinkeln- Feldküche und einen Kiosk. Transparente, Tuten, Leuchtpistolen und Feuerwerkskörper gibt es für einen Aufpreis. Wir empfehlen dunkle, wetterfeste Kleidung sowie Taschenlampen. Die Unterbringung der Kinder erfolgt in einem Gemeinschaftszelt unter Aufsicht von Mitgliedern der Bundeswehr. Die Kleinen sollen ja nicht ins Gedränge geraten.“
Wir sahen uns an. Was wir hörten, erschien wenig komfortabel, doch das sollte uns die gute Sache wert sein. Wir hatten uns fest vorgenommen, wenigstens am Wochenende unserem gemütlichen Dasein zu entfliehen und am gesellschaftlichen Leben aktiv teilzunehmen. Hoch motiviert stimmten wir der Buchung von drei Demokratie-Events zu.
Erst bei Hinausgehen stellten wir die an sich überflüssige Frage, wogegen wir denn am nächsten Wochenende demonstrieren würden. Die Angestellte wühlte kurz in ihren Unterlagen und sagte dann strahlend:
„Sie demonstrieren gegen die deutsche Gartenkultur mit ihren naturfeindlichen Zäunen und umweltverpestenden Grillpartys.“
In unsere ziemlich verwirrten Gesichter flüsterte in konspirativer Manier eine im Raum wartende, spindeldürre Frau im Rentenalter: „Keine Sorge, da wird echt die Post abgehen. Ein konkurrierendes Reisebüro veranstaltet eine Gegendemo mit dem Motto ‚Rettet die deutsche Leitkultur’. Da werden sich bestimmt einpaar Neonazis einklinken. Das mobilisiert dann die Autonomen auf unserer Seite. Und dann…“
Da alle umliegenden Reihenhäuser verwaist waren, verbrachten wir einen sehr ruhigen, sonnigen Samstagnachmittag mit Grillwürstchen in unserem Garten, während die Jungs sich ungeniert kreischend gegenseitig als Cowboy und Indianer meuchelten.
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.11.2010.
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von Christiane Mielck-Retzdorff
Zum wiederholten Mal muss sich die Gymnasiastin Lisa-Marie in einer neuen Schule zurechtfinden. Dabei fällt sie allein durch ihre bescheidene Kleidung und Zurückhaltung auf. Schon bei der ersten Begegnung fühlt sie sich zu ihrem jungen, attraktiven Lehrer, Hendrik von Auental, der einem alten Adelsgeschlecht entstammt, hingezogen. Aber das geht nicht ihr allein so.
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