Heinrich Soucha

Der Faun aus dem Pulkautal!

Letztlich lustwandelte ich, in einem wundersamen Weingarten im Pulkautal.

Das Licht der kräftigen Julisonne brach sich dort, am schmelzenden Morgentau, von leuchtend grünen Blättern.

Beim gelassenen Dahinschlendern, in den fruchtbar, braun-krummigen Furchen, der liebevoll gepflegten Rebenalleen, fanden sich in regelmäßigen Abständen, rosa bis gelb blühende Rosenstöcke.

In der Mitte des malerischen Weingärtchens angelangt, streckte ich meine Arme weit vom Körper ab und drehte mich langsam im Uhrzeigersinn um meine Achse. Dann verharrte ich.
Still wurde es in mir und ich fühlte so etwas wie innere Einkehr. Meinem Atem lauschend, entließ ich meine Gedanken in einen perfekten Sommertag.
Ich lächelte bei dem Gedanken und mir wurde bewusst, dass im Grunde genommen, jeder Augenblick, zumindest, wenn es die umgebende Natur betraf, in einer selbstverständlichen Art vollkommen war. 

Der Mensch selbst, seine Lebenskraft, die Eigenschaften und Schätze, die er bei sich, oder besser in sich trug und wie er diese Werte jeweils einsetzte, waren entscheidend darüber, wie diese subjektiven Erfahrungen, jeweils erlebt wurden.

Letztlich aber, ging es wahrscheinlich ums Loslassen. Der einmal vergorene Gedanke hatte seine Schuldigkeit getan, er musste auch wieder entlassen werden. Die Synthese benötigte Platz und war zum neuen Ausgangspunkt geworden.  

Es ist mir tatsächlich nie in der Hauptsache ums Haben gegangen, immer mehr, ums einfach „Dasein.“  
Wieder lächelte ich, denn mir viel ein kleines Gedicht von mir ein, dass ich nun aus mir heraus, in die gedanklich-idyllische Stille stellte.
 
„Sein will ich, einfach sein.
Sein im Hier und Jetzt,
…und keines falls zuletzt.“
 
Was ich empfand, war aufrichtige Freude. Das Gefühl und die Möglichkeit, das Leben mit Sinn zu erfüllen, von Gott geliebt zu werden und eine zärtlich-begleitende, beruhigende Wärme im Sonnengeflecht zu fühlen.

Loszulassen, bedeutete für mich "Verwandlung," dies war mir schon früh in meinen Träumen klar geworden.So trug ich meinen nicht allzu schweren, schwarzen Rucksack, ein Erbstück meines Großvaters, ziemlich lässig über meiner linken Schulter bei mir, und so war es nicht verwunderlich, dass ich mich einfach durch den Strom der Sommerluft treiben ließ. 

Kaum ging mein Blick fern, bald wieder nah. Kaum erreichte er den Horizont, schon verlor er sich eigenwillig im Dickicht des Weinlaubes, einer wahrhaft-prächtigen und nahen Unmittelbarkeit.

So entging es mir auch nicht, dass das wohl gepflegte Weingärtchen, an der Peripherie von alten, verzweigten Obstbäumen umsäumt wurde, aus deren knorrigen Kronen immer wieder bunt gefiederte Vögel weit ins kräftige Blau des Firmaments stiegen und deren Gesänge, sich an meinem Standort, im Zentrum des Weingärtchens ein „Stell dich ein“ gaben.

Mein Herz jauchzte, doch jäh wurde dieses Stimmungsbild durch ein nahes rascheln im Weinlaub unterbrochen. Mein Blick folgte unvermittelt dem Geräusch und ich erkannte zu meiner Linken, dass sich das Blattwerk der Reben dort asynchron zum sanften Sommerluftstrom bewegte. Der Bewegung der Blätter entsprechend, änderte sich unvermittelt der Lichteinfall, sodass das Glitzern des Morgentaus, sich in mathematischer Präzision veränderte, um so den Gesetzen der Optik zu folgen.

Da stand Es unvermittelt vor mir - und mein Blick, blieb haften auf einer Wesenheit, die ich noch nie zuvor erblickte und die sich nun vier Meter vor mir, am Fuße einer alten, kräftigen Weinrebe befand. 

Es hockte dort, ebenso überrascht wie ich, in meine Richtung blickend, am dunkel braunen Boden und ward nicht größer als gut zwanzig Zentimeter.

Eingehüllt, in ein dunkles, pelzähnliches Haarkleid, war es ansonsten schwarz, mit seltsam anmutenden, beweglichen Ohren, die sich unentwegt bewegten und ein Eigenleben zu führen schienen.
Da waren noch dunkel-funkelnde Knopfaugen, die mich keine Sekunde aus den Augen ließen. 

Im Pelz,  oder Haarkleid des Wesens, sah ich im Brustbereich etwas Helles glitzern und dort wo sich normaler Weise das Schuhwerk befinden sollte, erkannte ich weiß gestiefelte Extremitäten. 

Nicht Mensch, nicht Tier. Kaum wagte ich mich zu bewegen, als mir Gewahr wurde, wie sich dieses seltsame Etwas, unvermittelt, in einer fremdartigen Sprache, gurrender Laute, in meine Richtung artikulierte. 

Seltsame Laute, die mich an die von Großvater erzählte Welt der Feen, Faune und Gremm- Linge erinnerten. 

Ich wusste von meinem Großvater, der Zeit seines Lebens durchs Land wanderte, dass es Elfen gab, von denen er erstmals durch Böhmische Wanderer erfuhr.
 
Er lachte und erzählte mir, dass er sich vorerst dachte, die hätten bei Rast und Brotzeit, wohl einen, oder auch zwei Becher über den Durst getrunken. 


Doch etwas später, erfuhr ich von ihm, dem war gar nicht so. 

Irgendwie, wollte er mir als Kind damals erklären, dass es wohl etwas mehr gab, als man wissenschaftlich erklären konnte und das manche Dinge, auch gar nicht erklärt werden mussten.
Schon deshalb und Einfach allein aus dem Grund, weil Wahrnehmung etwas war, das mit einem selbst zu tun hatte. Das, was man bei sich trug, oder besser, das was man in sich trug und was einem schlussendlich ausmachte. 

Großvater war von der vielen Sonne braun gebrannt, seine Haut gegerbt wie gutes Leder.
Meist trug er einen braunen Lederhut und im angrenzenden Holzschuppen stand eine alte Beiwagenmaschine. Es war ein Prachtstück, eine BMW R25, in dessen Kabine ich manchmal mitfahren durfte. 

Ich hing an seinen Lippen und er erzählte und erzählte. Bis es Zeit war und er mich zu Bett schickte. Erinnerungen an den alten Detektor-Radioempfänger mit der Bananenbuchse, den ich des Nachts und ohne das er es wusste, in Betrieb nahm.

Nie werde ich ihn vergessen. Er hatte silbernes Haar und trug beim Lesen stets eine Runde, rehbraune Brille, die sich kaum von der kräftig-braunen Färbung seines Gesichtes abhob. Er hatte einen kleinen, lustig anzusehenden, rot-braun-silbernen Oberlippenbart und Augen so blau und tief, wie ein Ozean.

Seine Erzählungen und Geschichten, an unseren gemeinsamen, gemütlichen Winterabenden, in dem uralten Holzbohlenhaus, am Rande des Dunkelsteiner Waldes, bei Schmalzbrot und Tee, am gemütlich-knisternden Kamin, sind mir unvergessen.

Wie war das also mit der Wirklichkeit?

Gab es genug Raum, dann konnte man unter Umständen, diese wundervollen Wesen sehen.

Natürlich mussten sie erst einmal hier sein,…und man selbst – verständlicher Weise auch.Im Grunde genommen, ist all das, was in dieser Welt passierte, ein interaktiver Prozess, der Wahrnehmungsraum benötigte.War der Raum zu eng, sah man nichts. Oft nicht Mal das, was ohne hin alle sahen. 

Großvater war es jedenfalls beschieden, mir war es beschieden und vielleicht, mit ein wenig Glück, wird es einem der geschätzten Leser einmal beschieden sein, zu sehen, was andere Menschen, unter Umständen, nie zu sehen bekommen.

So setzte ich mich also ins Erdreich und versuchte die gurrenden Laute dieses Wesens zu erwidern. So schien es mir, als betrachteten wir uns eine ganze Weile gegenseitig.
Betrachten und Gurren. Gurren und Betrachten.

Was war das für ein vitales Etwas, dass voller Neugier, den geringsten meiner Bewegungen folgte.

Regungslos verharrend, war meine kurz zuvor noch deutlich empfundene Ruhe, einfach fortgelaufen.Innerlich aufgewühlt, selbst von Neugier getrieben, glitt meine linke Hand langsam, mit einer harmonischen Bewegung, ins Innere meines Rucksacks, wo die Fingerspitzen, das Jausensackerl zur Seite zupften und endlich die Kleinbildkamera ertasteten.

Wieder gurrte das Wesen in meine Richtung. Ich gurrte zurück, als ich endlich die Kleinbildkamera mit meinen Wurstfingern richtig zu fassen bekam und Augenblicke später startbereit in der Hand hielt.

Mein Mund war trocken geworden...nur jetzt die Kommunikation nicht abreißen lassen,... und noch während ich dies dachte, lag die kleine Kamera in meinem Schoß und gleich darauf, betätigte die Schwäche meiner Neugier, den Mittelfinger meiner rechten Hand am Auslöser. 

Ursache und Wirkung.

Mein Gurren, das ob meiner Aufregung, eher als ein Grunzen in die Welt hinaus ging, verebbte unwiderrufen..… verstummte, am Portal einer anderen Dimension. 

Was jedoch nachhallte und sich unsichtbar, wie ein Verräter durchs nahe Weinlaub fortpflanzte, war das metallische Klicken des Objektivverschlusses. 

Augenblicklich, war das Wesen im Dickicht des Weinlaubes verschwunden.

Ich hatte meine Chance gehabt. Zurück blieben, der zarte Duft von Rosen, die Stille einer neuen Gegenwart und die schmerzlich bis  zauberhafte Erinnerung, an den Faun aus dem Pulkautal, im schönen Niederösterreichischen Weinviertel.


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Mit dem Schreiben und Dichten, ist das so eine Sache.So war ich oft der Meinung, nur lyrisch Schreiben zu können, falls ich mich in einem annähernd, seelischen Gleichgewicht befände, erkannte aber bald die Unrichtigkeit dieser Hypothese.Wichtig allein, war der Mut des Eintauchens.Das Eins werden mit dem kollektiven Fluss des Ganzen. Meine Gedanken, zärtlich zu Papier gebrachten Gefühle,schöpfte ich stets aus diesem Fluss.

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