Ulla Meyer-Gohr

EVE verdient sich seine Flügel

 



Schneetreiben hüllte die Semperstaße in einen nebligen Schleier. Irgendwann beruhigte sich der Wind und ließ das winterliche Bild in einen glitzernden, weißen Traum versinken. Überall grüßten Lichter zum Weihnachtsfest. Selbst der Himmel nahm durch soviel Licht ein rötliches Leuchten an. Von St. Johannes riefen die Glocken zur Mitternachtsmette. Ein junges Paar schlenderte Arm in Arm die Straße hinunter. Sie wollten den heiligen Abend mit einem Kirchgang ausklingen lassen.

Eve, der Engel, nahm eine Abkürzung und bog in die Semperstraße ein. Warum er nicht durch die Luft flog, wusste er selber nicht. Irgendeine Vorahnung hielt ihn am Boden zurück. Eigentlich war er auf dem Weg zum großen Treff. Zur zwölften Stunde tagte der himmlische Rat im Glockenturm von St. Johannes. Jedes Jahr leitete der Rat des Himmels diese Besprechung. Alle Taten der Schutzengel unterzogen sich einer Begutachtung. Da wollte Eve natürlich nicht fehlen.

Aus der Ferne nahte das Geräusch eines aufheulenden, gequälten Motors. Ein Wahnsinniger musste mit allen Regeln der Fahrkunst gebrochen haben. Aufgewirbelter Schnee verhüllte den schwarzen Blitz,, der an Eve vorbeischoss. Sein fragwürdiges Tempo ließ ihn in Kapriolen über die Fahrbahn schliddern. Mit einem lautem Knall endete diese Teufelsfahrt frontal in einer alten Eiche. Außer dem Knacken, des abkühlenden Motors, rührte sich nichts mehr. Eve sah sich fragend um.

     " Wo war der zuständige Schutzengel ? - Dem Mann muss geholfen werden !"

Der Engel wunderte sich nicht lange. Er zwängte sich in das Autowrack zu dem, nicht angeschnalltem, Mann. Still ruhte der Kopf im Rückenpolster als schliefe er. Ein leises Wimmern drang an Eves Ohr. Dann sah der Engel die Bescherung. Von dem Aufprall war die Seele halb aus dem Körper geglitten und wollte aufgeben. Wie ein Baby nahm Eve das Kostbarste des Menschen in den Arm und sprach ihr Mut zu.

     " Deine Zeit ist noch nicht gekommen um die Erde zu verlassen. Da gibt man nicht einfach auf und sagt:  ADE  LEBEN ! Geh zurück in den Körper! Du wirst es ewig bereuen so gehandelt zu haben! Ich helfe dir. Nur zu ! - Jede Sekunde zählt !"

Unter dem Zuspruch gelang das Unglaubliche. Die Seele verschwand ohne zu murren in die Körperhülle zurück. Jetzt nahm Eve den Mann ganz fest in den Arm und übertrug all seine Kraft, die er aufbringen konnte. Er spürte die Wärme, die langsam in den unterkühlten Körper zurück strömte. Der Kreislauf nahm seine Funktion wieder auf. Eine fast normale Atmung setzte wieder ein. Die Spannung wich von dem Engel . Das Schlimmste war überstanden.


Die Wagentür flog auf. Das Pärchen auf dem Weg zur Kirche, packten mit an und zwei zufällige Nachtbummler zogen den ins Leben zurück gekehrten, mit aus dem Autowrack. Das Blaulicht des Notarztes umkreiste bereits die tragische Szenerie. Die Rettungmannschaft griff beherzt zu und tranportierte das gerettete Elend Richtung Krankenhaus.

     " Frohe Weihnachten," hauchte die Frau erschöpft.

     "  Frohe Weihnachten," erwiderten die zwei Nachtbummler. Nachdenkliches Händeschütteln folgte. Danach setzte jeder seinen Fuß zurück in sein eigenes Leben. Auch Eve war erschöpft  stand aber überglücklich auf der Fahrbahn.

     " Frohe Weihnachten und danke für eure Hilfe !"


Die Kirchturmuhr schlug 0 Uhr 30 !  Eve seufzte.
Nun kam er doch zu spät !


Ein Raunen ging durch die Versammlung als Eve den Glockenturm betrat. Mit einer tiefen Verbeugung grüßte der Engel den himmlischen Rat. Rauschen kam von den großen Flügeln als die sieben Erzengel zurück grüßten. So nahe war Eve den Erzengeln noch nie gekommen. Er spürte die Urkraft, die von den Engeln ausging und Ehrfurcht erfasste ihn.

     " Sei gegrüßt Everiel, du eben ernannter Schutzengel. - Deine Prüfung hast du vor einer halben Stunde exzellent gemeistert.

     " Bin ich zuspät ?"

     " Ein Schutzengel kommt nie zu spät !"

Die stahlblauen Augen des Erzengels Michael ruhten wohlwollend auf dem Engel.

     " Wir sind stolz auf dich. Zur Anerkennung kriegst du einen Sonderurlaub bis morgen früh. Dann beginnt dein neuer Arbeitsbereich !" vernahm man die wohlklingende Stimme des Erzengels Gabriel. Der Erzengel Metraton erhob sich und malte das Zeichen des Schutzes über Eves Kopf.

     " Wir haben dir heute nichts mehr zu sagen. Geh in Frieden Everiel und frohe Weihnachten !"

Der Rat entließ Eve in seinen wohlverdienten Urlaub.
Der Engel, der jetzt Everiel hieß, konnte sein Glück kaum fassen. Immer noch Ehrfurcht bekundend verließ er rückwärts das Gewölbe des Glockenturms. Plötzlich hörte er ein Rauschen. Er blickte sich um und entdeckte die riesigen, weißen Flügel, die bis zum Boden reichten und seiner Engelsgestalt die Vollendung gaben. Sein lang ersehnter Wunsch war Wirklichkeit geworden. Die kleinen Flügel gehörten der Vergangenheit an.

     " Ich habe mir meine Flügel tatsächlich verdient !  Ich bin ein richtiger Schutzengel geworden !"

Mit einem Jauchzer breitete er seine großen Schwingen aus und flog weit hinauf bis zu Sternen. Er war einfach glücklich.

 


 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 11.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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