Juergen Bambach

Sind Motocrossfahrer gefährlich?

Es hörte sich an, als ob jemand im Wald mit einer Motorsäge arbeitete. „Nun ja“ dachte Leo. „Aber Samstag abend, ich weiß nicht?“ Mal war der Motorenlärm näher, mal weiter entfernt zuhören. Dann plötzlich wurde er lauter und man konnte dazwischen auch Stimmen wahrnehmen. Leo wusste nun was die Stunde geschlagen hatte.
– Es waren die gefürchteten Motocrossfahrer –
Sie waren in seiner Region plötzlich aufgetaucht. Sie fuhren ohne Rücksicht auf Verluste. Ob da eine Jungkultur Eichen war, oder ein frisch eingesätes Feld, die Motocrossfahrer machten alles platt. Hier und da hörte man auch von zufälligen Zusammenstößen von Jägern oder Förstern mit Motocrossfahrern,dabei kam es in mehreren Fällen zu handgreiflichen Auseinandersetzungen zwischen beiden Parteien. Der Nachbarpächter von Leo wurde sogar krankenhausreif geschlagen. Um einen Hochsitz zu bauen, schlug er mit zwei jüngeren Jägern Holzstangen auf seinem Grundstück.. Komischerweise passierte den Jungen nichts.
– Vielleicht hatte der alte Jäger mehr Zivilcourage, als die Jungen – wer weiß?
Leo saß auf einem Hochsitz, welcher strategisch klug, auf einem kleinen Feldherrenhügel seinen Platz hatte. Zwischen ihm und dem Waldrand war ein freies Feld von ungefähr 80 Metern Breite. Genau gegenüber Leos Hochsitz befand sich am Waldrand eine Lücke, durch die normalerweise die Rehe immer schlüpften. Leo kannte den Waldrand genau. Oft war er dort, um nach Spuren zu suchen. Deshalb wusste er auch dass es hinter der Lücke eine steile Böschung gab. Genau dort stand nun plötzlich ein Motocrossfahrer und schaute misstrauisch über das Feld, in Richtung Leo’s Hochsitz.

Wie in einem Endzeitfilm, dachte Leo. Der Typ vor ihm hatte schwere Lederstiefel mit Metallplatten an. Seine Beine steckten in einer Lederhose und darüber trug er eine Art Kettenhemd. Die Hände steckten in Lederhandschuhen, welche mit Nieten bespickt waren. Auf dem Kopf trug er einen Irokesenschnitt. „Oh Gott“, dachte Leo, als sich der „Irokese“ langsam in Bewegung setzte. Er fuhr quer über das mit Raps eingesäte Feld, dann rechts an dem kleinen Feldherrenhügel vorbei, auf welchem sich der Hochsitz befand. Leo macht sich ganz klein in seinen Hochsitz und überlegte: „Was mache ich, wenn die mich angreifen?“. Leo ging davon aus, dass Motocrossfahrer immer in Rudeln auftraten.
Er hatte nur seinen Drilling, also drei Schuss, und die 9mm Pistole dabei. „Bevor ich mich krankenhausreif schlagen lasse“, dachte Leo, „werde ich die Waffen einsetzen!“ Siedendheiß fiel Leo ein, dass sein Geländewagen direkt unterhalb des Hügels parkte.

Leo war durchaus kein besonders ängstlicher Mensch, aber vorsichtig genug, um nicht für jeden Blödsinn seine Birne hinzuhalten! Er war schon relativ lange Jäger, der erste in seiner Familie. Im Laufe der Jahre hatte er viel gelernt. Nicht nur im Umgang mit Tieren, sondern auch im Umgang mit Menschen. Wie viele „Nichtjäger“ vermuten, sind einige Jäger tatsächlich, nun sagen wir mal, schwer zu verstehen und dies bezieht sich durchaus nicht nur auf die älteren Jäger. Wobei man natürlich einräumen muss, dass bei dem einen oder anderen der Altersstarrsinn schon relativ früh beginnt. Wenn Leo jemand Dumm kam, sah er sich die Sache eine gewisse Zeit an, doch dann unternahm er durchaus drastische Schritte. So wie bei dem alten Ministerialdirektor, welcher immer zum Aufgang der Bockjagd, von seinem Jagdherr eingeladen wurde. Leo fiel dann die Aufgabe zu, den Alten Herrn auf einen geringen Bock zu führen. Er wies den Mann auch immer gewissenhaft ein, nur schien es so, als habe der Alte einen schweren Hörfehler. Wenn Leo sagte, einen geringen Bock, verstand er immer einen guten Bock. Wenn Leo sagte einen guten Bock, verstand der Alte einen sehr guten Bock. Nun Leo fackelte nicht lange, suchte für den alten Herrn einen Ansitzplatz aus, weit ab vom Schuss. Dann setzte er sich auch pro forma auf einen benachbarten Hochsitz und wartete bis der Alte seinen Hochsitz bezogen hatte. Dann schlich er sich heimlich zu dessen dicken Mercedes. Dort nahm er aus der Hosentasche eine Rundfeile, entfernte den Holzgriff, drehte nun das spitze Ende der Feile um und zerstach dem Alten zwei Reifen. Fazit war, der Alte musste über 4 Kilometer zu Fuß, bis zum Jagdhaus laufen, um Hilfe zu holen. Wie die Löcher in die Reifen gekommen waren, ließ sich nichtmehr feststellen. Aber der Alte ahnte wohl etwas und erschien nächstes Jahr nicht mehr.

Kurz hinter Leo’s Hochsitz blieb der Irokese stehen und signalisierte, mittels Handzeichen, den Anderen über das freie Feld zu kommen. Eine Wilde Horde kam da aus dem Wald hervor. Viele waren genauso gekleidet wie ihr Anführer. Sie fuhren langsam über das freie Feld, an ihrem Anführer vorbei. Dieser wartete, bis der Letzte an ihm vorbei war und folgte den anderen.
„Glück gehabt“, dachte Leo erleichtert.

Anschließend fuhr Leo zur Polizei, berichtete über seine Entdeckung und bot dem dortigen Polizeihauptmeister an, die Motocrossfahrer an seinem Hochsitz in eine Falle zu führen. Sein Plan war einfach und doch genial. Wie gesagt, das Gelände vor dem freien Feld begann mit einer steilen Böschung, dort waren die Motocrossfahrer gezwungen langsam zu fahren, über das Feld fuhren sie auch langsam, dann ging es einen Hohlweg hoch an Leo’s Feldherrenhügel vorbei ins nächste Tal. Platzierten sich die Polizisten nun links und rechts des Hohlweges, konnten sie die einzelnen Motocrossfahrer, quasi wie Kirschen von einem Baum pflücken. Desweiteren warteten im nächsten Tal zwei Polizei Motocrossfahrer, welche die durch die Lappen gegangenen Schäfchen auch noch einsammelten. Bei Leo’s Ausführungen bekam der Polizeihauptmeister richtig gehend Schweißausbrüche und man konnte förmlich sehen wie unangenehm ihm das Ganze war. Ehe Leo sich versah, war er mit einem freundlichen: „Ähem ja, ich werde ihren Plan auf Durchführbarkeit prüfen“ draußen auf der Strasse. Was Leo nicht wissen konnte, der Bruder des Polizeihauptmeisters gehörte auch zu dieser Gruppe!

Von da an wusste Leo, er war auf sich gestellt, im ungleichen Kampf gegen die Motocrossfahrer. Inzwischen hörte man aus dem ganzen Land die Untaten dieser Rowdies. Hier gab es wieder Schlägereien, dort wurde an einem Nachmittag ein sorgsam angelegtes und befestigtes Waldstück zerstört. Die Wiederaufforstungsarbeiten gestalteten sich als besonders schwierig, da das Erdreich zwischen den Baumwurzeln, von den grobstolligen Reifen abgetragen wurde. Es musste mühsam in Körben wieder nach oben geschafft werden. Insgesamt entstand ein Schaden von über 100.000 Euro. Wer sollte das bezahlen? Die Motocrossfahrer ganz bestimmt nicht. Denn Die kannte man ja noch nicht einmal, geschweige denn war man in der Lage sie Dingfest zu machen.

Immer wieder traf Leo mit Ihnen zusammen, sei es, wenn er zu Fuß mit seinem Jagdhund auf der Pirsch war, oder aber mit dem Wagen im Gelände unterwegs war. Das war dann besonders unangenehm. Die Motocrossfahrer kamen meistens blitzschnell vom Gelände, kurz vor dem Wagen, auf die Strasse gesprungen, ein kurzer Dreh am Gasgriff und der ganze Dreck der grobstolligen Reifen landete auf seiner Windschutzscheibe. Nun Leo wäre nicht Leo gewesen, hätte er nicht auf eine passende Gelegenheit gewartet, es den Motocrossfahrern heimzuzahlen.

Es war ein schöner Sommerabend, Leo hatte gerade einen Bock geschossen, versorgt und an den Wagen gebracht. Der herbe Duft von Gras und Erde, stieg Leo in die Nase. So riecht die Natur nur, wenn die Sonne hinter dem Horizont verschwindet und der erste Tau fällt. Diesen Duft behält man als Geruchsmuster in sich und erinnert sich auch Tage danach noch daran. Riecht man ihn wieder weiß man sofort: „Aha“. Vielleicht lag es auch daran, dass Leo an diesem Abend Jagdglück hatte, und alle seine Sinne geschärft waren. Auf dem Nachhauseweg bog Er gerade in den schmalen Feldweg Richtung Jungenwald ab, als er Motorengeräusche hörte. Es ging ganz schnell sie kamen aus dem Gelände und sprangen vor ihm mit ihren Maschinen auf den Weg. Aber anstatt stehen zu bleiben spurtete Leo hinter her und es gelang ihm einen Motocrossfahrer vom Pulk in einen schmalen Weg abzudrängen. Der Motocrossfahrer gab mächtig Gas und verschwand in einer dicken Staubwolke. Ein grimmiges Grinsen spielte um Leo’s Mundwinkel. „Jetzt hab ich dich!“ dachte Er. Leo wusste genau, dieser Weg endet im Nirgendwo. Für einen Motocrossfahrer normalerweise kein Problem, nur hier lag der Fall anders. Der Weg verengte sich immer weiter und endete in einem riesigen Sumpfgebiet. „Da kommst Du nicht mehr raus Freundchen, es sei denn du lässt dir aus dem Arsch Flügel wachsen“, dachte Leo. Langsam fuhr er zurück an die Wegeinmündung, schaltete Licht und Zündung aus, und harrte der Dinge die da kommen sollten. In dieser Situation zeigte sich wieder, dass manche Jäger, auch Jägermenschen sind. Nicht umsonst wurden in fast allen Kriegen, Jäger hinter den feindlichen Linien eingesetzt. Leo zündet sich eine Zigarette an und wartete. Er öffnete etwas das Fenster. Durch den schmalen Fensterausschnitt, konnte er beobachten, wie der Mond sich langsam, als goldene Scheibe über den Horizont schob und die ersten Sterne anfingen zu leuchten. Kleine, schwarze Schatten in der Luft verrieten Leo, dass Fledermäuse unterwegs waren. Dann hörte er, aus der Tiefe des Sumpfweges, erst leise, dann immer deutlicher das charakteristische Tuckern eines Motorrades. Der Motocrossfahrer war wohl der Meinung er hätte lange genug gewartet und der „dumme“ Jäger wäre längst nach Hause gefahren.
Leo macht sich bereit, die Hand am Zündschlüssel, wartete er bis er gegen den Horizont die dunkle Gestalt des Motocrossfahrers sah. Langsam und ohne Licht kam er den Weg hinauf. Nun ging alles blitzschnell: Leo startete den Wagen, machte sein Fernlicht an und fuhr auf den Motocrossfahrer zu, dieser stand für eine Schrecksekunde still, zog dann mächtig am Gasgriff und schaffte es gerade noch, vor Leo auf den Feldweg.
Doch Leo reagierte!
Der Motocrossfahrer hatte noch keine Geschwindigkeit aufgenommen, da er einfach zu verdutzt, dass Leo auf ihn lauerte. Als Leo auf der Höhe des Motocrossfahrers war, schnellte sein Oberkörper nach rechts und riss die Beifahrertür auf. Dann trat er mit aller Wucht auf die Bremse, der Wagen reagierte, als ob man einen wilden Mustang durchparierte. Wo sollte der Motocrossfahrer noch hin? Rechts neben ihm war ein Weidezaun, mit dem er sich garantiert nicht anlegen wollte. Also konnte er nur noch Leo’s Beifahrertür küssen und mit dieser, innig vereint, etwa fünf Meter vor Leo über den staubigen Feldweg rutschen. Leo stieg aus, und als sich der Staub verzogen hatte, erkannte er, dass er einen guten Fang gemacht hatte. Es war nämlich der Anführer der Motocrossfahrer. Nur sah er jetzt nicht mehr so angsteinflößend aus, als bei ihrem ersten Zusammentreffen. Der Irokesenschnitt war verschrammt, die Lederhose zerfetzt, einzig sein Kettenhemd hatte den Sturz gut überstanden. Die Nase des Anführers hatte auch etwas abbekommen, sie blutete stark. Leo dachte schon: „Jetzt musst du dich mit deiner Waffe durchsetzen!“ Aber jegliche Angriffslust war von dem Anführer gewichen. Vieleicht lag es an seiner blutenden Nase – wer weiß
„Heb deine Schrottmühle auf, wir fahren zur Polizei!“ fuhr Leo ihn, in einem barschen Ton an. „Nein bitte nicht“ wimmerte der Anführer mit einer eigentümlich hohen Stimme, für einen Mann. „OK“ sagte Leo. „Dann werde ich dich eben hier verprügeln“. Sprachs, holte einen Baseballschläger aus dem Wagen und ging auf den Anführer los. Dieser hob schützend die Arme vor das Gesicht und schrie: „Nein bitte nicht schlagen!“ Leo drehte sich um, und untersuchte den Tankrucksack, der noch auf die Motocrossmaschine geschnallt war. Dabei entdeckte er die Zulassung. Wie eine Stichflamme, blitzte in Leo ein Gedanke auf.
„Na gut“ sagte er. „Ab sofort ist hier mit der Motocross Scheiße Schluss, ich weiß ja jetzt wo ich dich finde!“ Der Motocrossfahrer erhob sich mühsam. Er nickte nur, schlappte dann zu seinem ramponierten Motorrand, hob es auf und schob es in Richtung Dorf. Leo hob seine, aus den Angeln gerissene Beifahrertür auf, und schnallte sie, da er ja Hund und Rehbock im Kofferraum hatte, oben auf seine Dachrehling.
So plötzlich wie die Motocrosswelle aufgetaucht war, so schnell verschwand sie auch wieder. Seit jenem Abend, hatte zumindest Leo keine Probleme mehr mit den Motocrossfahrern.

Übrigens, erst Jahre später, erfuhr Leo zufällig, dass der Anführer der Leo’s Autotür so unfreiwillig geküsst hatte, tatsächlich der Bruder jenes Polizeihauptmeisters gewesen war, bei dem er wegen der Motocrossfahrer vorgesprochen hatte...........

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