Die junge Frau hat gerade die Spülschüsseln getrocknet und die Tischplatte wieder auf das Gestell gewuchtet... die Fenster der Küche stehen weit offen, Fliegen schwirren herum. Es ist sehr warm. Sie zieht die Schürze aus und streift ihr leichtes Sommerkleid glatt. Sie hält kurz inne... der leichte Frühsommerwind trägt aus der Ferne fröhliche Stimmen an ihr Ohr. Sie blickt aus dem Fenster. Ein Trupp junger Soldaten kommt singend und musizierend heran... umringt von den Kindern des Dorfes, das zwei Kilometer entfernt liegt. Ihre eigenen sind auch dabei, die den anderen Kindern schon entgegengelaufen waren. Sie kommen heran - man hat sich nie gesehen, und es sind Soldaten, wenn auch deutsche, von denen man sich mehr oder weniger offen Befreiung ersehnt... das alles spielt aber hier und heute keine Rolle. Da sind einfach musizierende junge Männer, Gäste...
Sie und ihr Mann laden sie ein, sich an den großen Holztisch vor dem Haus im Schatten der großen Linde zu setzen... Mascha läuft in die Küche holt Wodka, und ein Tablett mit kleinen Gläsern, das immer bereit steht. Sie raunt ihrer Tochter zu, eine Schüssel Kirschen zu pflücken und auf den Tisch zu stellen. Und auch den Kuchen noch zu holen. Wasser für den Durst. Die Männer spielen fremde Lieder, deutsche Lieder... einer spielt auf einer Ziehharmonika, einer hat eine Mundharmonika, die anderen singen dazu... Die Kinder lachen und tanzen um den Tisch herum.
Der Mann mit dem der Ziehharmonika hat das Lied beendet... er blickt Mascha und Nikolai an und bietet mit einer Geste sein Harmonium an... Wollt Ihr spielen? Sie schütteln die Köpfe, sie können nicht spielen; doch Mascha versteht die Einladung und beginnt zu singen. Sie dreht sich tanzend und singt in einem sibirischen Dialekt ein Lied ihrer Vorfahren... die deutschen Soldaten klatschen dazu... der Mann mit der Ziehharmonika, Gottfried, versucht zart improvisierend ihren Gesang zu untermalen...
Das Holz der Linde duftet... der Wind lässt ihre Blätter wispern und streichelt zart die Haut der Menschen... die Luft trägt mikroskopisch kleine flimmernde Teilchen... die Kirschen sind warm und sehr süß... Im würzig-warmen Gesang von Mascha und dem Mitsummen und Klatschen der anderen wird Gottfried zufrieden-still... er berührt tastend, fühlend, ein Stück der Mauer des Hauses... es besteht aus groben Steinen und ist mit Lehm verputzt... es fühlt sich kühl an, doch strahlt es Wärme aus. Die Mauern erzählen von frohen Menschen, die in ihnen leben.
Gottfried lächelt... er sieht Mascha tanzen und sie erinnert ihn an Tilly. Nein, Mascha sieht ihr überhaupt nicht ähnlich... Mascha hat rundliche Formen, ohne dass sie dick wäre... während Tillys Figur ein zarter Hauch ist... wie als hätte der Himmel sie nur auf die Erde gelassen, um sich seiner zu erbarmen. Was täte er nur ohne sie... er könnte nicht leben. Sein Herz zieht sich vor Sehnsucht einen Moment lang so sehr zusammen dass es wehtut, er blinzelt... er denkt an den nächsten Urlaub, der unsicher ist... an das ersehnte Ende dieses Krieges...
Maschas Blick trifft seinen... sie sieht seinen Schmerz und sagt ihm mit den Augen, wie sie ihn versteht... Er sieht Tillys Blick in ihrem... Sie ist nahe.
© Ute Abele
Vorheriger TitelNächster TitelGottfried war mein Großvater. Er fiel im Mai 1945 bei den Kämpfen vor Wien und hinterließ eine Frau und fünf Kinder. Ich las seine vielen vielen Liebesbriefe, die er seiner Frau aus dem Krieg schickte und lernte ihn auf diese Weise kennen, wusste wie er fühlte, wie er war. Die Geschichte ist ein Tagtraum, den ich hatte, als ich intensiv an ihn dachte.Ute Abele, Anmerkung zur Geschichte
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.11.2010.
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