Hans Witteborg

Gericht oder Gedicht?



Gedicht oder Gericht?

Eine wärmende Frühlingssonne hatte nicht nur Lebendiges aufgeschreckt, sie lockte sogar Bistrostühle und Tische in die einengende Dränge von Bürgersteigen vor den Cafes und Straßenrestaurants. Eine bunte Gesellschaft schnatternder Mitmenschen, wegen der noch erwarteten unbeständigen Wetterlage mit Sommerkleidung und Sandalen aber auch in zugeknöpften, wärmenden Umhüllungen gekleidet, belegten mit großer Beharrlichkeit alle Stühle der Außengastronomie.
Eigenartig, kaum, dass die ersten Sonnenstrahlen die Wolken durchbrechen, schon beginnt eine Germanische Völkerwanderung, nicht zu den Brunnen und Plätzen von Bella Italia, so doch an die Quellen aller Fernsehnsüchte, sprich zu den dampfenden und zischenden Automaten, die Cappuccino
und Espresso sowie Latte Machiato speien. Vorbei die Zeiten schnöden Kaffees mit Kondensmilch und Würfelzucker. Hier werden Ansprüche reklamiert. Und weil man nicht nur sehen sondern auch gesehen werden möchte, wird der previligierte und vielleicht auch heiß umkämpfte Platz des ach so unschuldigen Vergnügens auch mit Ausdauer behauptet.

Ein Mensch, wie ich, der mit allen durchschnittlichen Eigenschaften seiner Spezies ausgestattet ist – so auch mit dem uns eigenen Herdentrieb, versucht schon seit einiger Zeit durch nervöses Auf – und Abschlendern einen Platz gewissermaßen an der Sonne zu ergattern. Lediglich im unattraktivem, schattigem Hintergrundbereich eines kleinen Straßencafés ist ein Sitzplatz an einem Zweiertisch noch frei. Den anderen Stuhl besetzt ein grimmig ausschauender Gast mit dicker Brille und ungepflegtem Bart. Er raucht Pfeife und nimmt mit Zeitung und einem kleinen Block den gesamten Tisch in Beschlag, während ein Espresso-Tässchen gefährlich am Tischrand kurz vor dem Absturz steht. Sollte ich….

Ich überwand meine Abneigung der Not der Ungeduld gehorchend und bat den Grimmbart um das kleine Fleckchen Entspannung. Der Fremde sah kurz auf, räumte ein Stück seiner Zeitung beiseite und signalisierte auf die stumme Art seine Zustimmung. Ich plumpste ebenso unfreundlich auf den unbequemen Bistrostuhl und bestellte bei der hektisch vorbei eilenden Bedienung als Durstlöscher eine Flasche Bitter Lemmon. Mein Gegenüber stummte weiter vor sich hin – griff hin und wieder zu einem Kugelschreiber und notierte kurze Wörter, für mich nicht einsehbar. Darauf legte er den Kugelschreiber wieder beiseite. Nach wenigen Sekunden wiederholte er die Prozedur. Saugte an seiner Pfeife, stützte seinen Kopf auf seine Hand, den Unterarm senkrecht auf den Tisch gestellt. Nahm den Kugelschreiber, kurze Notiz, legte ihn wieder nieder – nahm den Kugelschreiber und in unregelmäßigen Abständen ging das so fort. Wiederholt blickte er versonnen über seine Brillengläser in ein entferntes Nichts.
Diesen Ausdruck kannte ich, ich, der Hauspoet pflegte ähnliche Verhaltensweise, wenn ich einem lyrischen Gedankengang verfolgte. ich schloss rasierklingenscharf, dass vor mir ein Dichterkollege saß. Verwandte Seelen lieben den Gedankenaustausch. Keck sprach ich den mir nicht mehr als Unsympath erscheinenden Bruder im Geiste an.
„Ich sehe, Sie reiten auf ihrem Pegasus.“ Meine Ausdrucksweise schien ihn zu verblüffen. Er starrte mich an, nuckelte etwas nervös an seiner inzwischen kalten Pfeife und schleuderte mir ein feuchtes HEEE? entgegen. Erfahrung macht klug, Dichter stört man nicht beim Denken- hätte ich eigentlich vorher wissen können. „Entschuldigen Sie,“ sagte ich deshalb etwas verlegen, „ich wollte Sie nicht in Ihren Überlegungen stören. Dennoch würde mich, gewissermaßen als Kollegen, interessieren, in welchem Stil Sie schreiben.“ Der Fremde riss hastig seine Notiz vom Block, steckte sie ohne Sorgfalt knittrig in seine Jackentasche, nahm seine Pfeife in die Hand, stand abrupt auf, stieß dabei an den Tisch, was die klirrende Espressotasse empörte. Dann entfernte er sich grußlos wobei ein Teil seiner Zeitung zu Boden trudelte. Der Block hingegen blieb auf dem Tisch liegen. Neugierig spitzelte ich den unauffällig zu mir herüber, und ich sah, dass sich die Schrift erwartungsgemäß durchgedrückt hatte. Als ständigen Begleiter habe ich stets einen kleinen Bleistift bei mir, das bin ich meiner Zunft schuldig. wie ein Privatermittler führte ich in fast waagerechter Haltung die Grafitmine sanft über das Papier.
„Mit mir doch nicht,“ murmelte ich dem Geheimnis schon auf der Spur. Meine Neugier wurde voll befriedigt: der „lyrische Erguss“ erwies sich als ein ganz ordinärer Einkaufszettel-
Penne, Tomaten, Parmesan, Olivenöl, Schalotten, Knoblauch, Basilikum, Thymian, schwarzer Pfeffer…

Ich weiß nicht, ob meine Fantasie ausreicht, daraus ein Gedicht zu machen…vielleicht jedoch, um ein italienisches Pastagericht zu komponieren.
Sagt es mir!






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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 16.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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Vom Ufer aus von Hans Witteborg



Die Gedichte begleiten durch die vier Jahreszeiten und erzählen wie die Natur erwacht, blüht und welkt, wissen von reicher Ernte zu berichten. Der Spätsommer im Park, winterliche Gefilde oder Mailandschaften scheinen auf. Der Autor verwendet meist gereimte Zeilen, zeigt sich als Suchender, der neues Terrain entdecken möchte. Der Band spricht von den Zeiten der Liebe, zeigt enttäuschte Hoffnungen und die Spur der Einsamkeit. Wut und Trauer werden nicht ausgespart. Es dreht sich das Kaleidoskop der Emotionen. Der kritische Blick auf die Gesellschaft und sich selbst kommt zum Zuge. Kassandras Rufe sind zu hören. Zu guter Letzt würzt ein Kapitel Humor und Satire. So nimmt der Autor seine Zettelwirtschaft aufs Korn, ein hoffnungsloser Fall.

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