Christiane Mielck-Retzdorff

Schußwechsel im Kaufhaus




 

Knut war sich sicher, dass es ein himmlisches Zeichen war, als er am frühen Morgen den Müll herunterbrachte und im Flackerlicht einer Glühbirne etwas ganz Unerwartetes in der Tonne fand. Er wählte bewußt diese Zeit, in der noch Stille über dem Haus lag. So ging er der unerträglichen, bayrischen Fröhlichkeit der Hausmeistersfrau aus dem Weg, den albernen Schulkindern und der Dicken mit ihrem ständig wedelnden Fiffy. Ganz vorsichtig fischte er die vollautomatische Handfeuerwaffe heraus, vergewisserte sich durch etliche Fernsehsendungen geschult, dass sie geladen war und trug sie beglückt in seine kärgliche Wohnung. Dort legte er die Waffe auf den Tisch, machte sich einen Kaffee, entgegen seiner sonstigen Gewohnheit schwarz ohne Milch und Zucker und betrachtete, lässig eine Zigarette in Mundwinkel, die himmlische Botschaft.
 
Nicht weit entfernt genoß Marlene ihren Morgentee, erfreute sich an dem sorgsam geschmückten Adventskranz, dessen erste Kerze sie am nächsten Tag entzünden würde und lauschte der weihnachtlichen Musik aus dem Radio. Heute würde sie sich in den vorfestlichen Trubel stürzen und Geschenke für ihre Freunde einkaufen. Auch wenn kein Lebenspartner ihr Leben bereicherte, war sie weit von Einsamkeit entfernt. Marlenes liebevolle Hilfsbereitschaft nahmen viele Leute in Anspruch und einige revangierten sich sogar, in dem sie sie immer wieder um Gefälligkeiten baten.
 
Ein anderer, als schießwütig bekannter Gesell bereitete sich ebenfalls auf seine heutigen Aktionen vor. Zwar waren ihm die all gegenwärtigen Lichterketten, die sich zu Brei vermischende Weihnachtsmusik, die hektisch umher eilenden Menschen und die erzwungene Fröhlichkeit zuwider, aber solche Massenansammlungen machten es ihm leichter, sein Werk erfolgreich auszuüben. Dabei mußte er sich allerdings eingestehen, dass diese Situation ihn auch unter Streß setzte, was seinen Plänen wenig zuträglich war.
 
In seinen besten, grauen Anzug gewandet, die Waffe in einem unscheinbaren Jutebeutel von Greenpeace verwahrend, betrat Knut das Kaufhaus am Vormittag. Er fühlte sich in größeren Menschenansammlungen unwohl, da er selten seine Wohnung verließ. Einsamkeit war zu seinem erklärten Lebenssinn geworden. Doch heute würde die Welt auf ihn blicken.
 
Es war der freundliche, lächelnde Gesichtsausdruck von Marlene, der Knut sofort ins Auge sprang, genauso wie jenem anderen, der sich gerade eine gute Schußposition suchte. So hatten beide ihr Opfer gefunden. Vorsichtig entnahm Knut die Waffe dem Beutel und ließ sie unter seinem Jackett verschwinden. Der andere, eher auf Unauffälligkeit bedacht, sondierte das Umfeld, in das nun Hugo trat.
 
Hugo war wie Marlene und Knut beinahe im Rentenalter, lebte mehr recht als schlecht von seiner Nachtwächtertätigkeit und verbrachte fast jeden Samstag in diesem Kaufhaus in Erinnerung an die Zeiten, als er noch für die Sicherheit hochgestellter Persönlichkeiten als Bodyguard arbeitete. Mit geübtem Auge lauerte er auf Ladendiebe, aber nicht um sie der Obrigkeit preiszugeben, sondern nur um die Gewissheit zu haben, dass seine Instinkte noch funktionierten.
 
Und so entging es Hugos wachsamen Augen auch nicht, was Knut unter seiner Jacke versteckte. Es interessiert ihn, was dieser unscheinbare Mann wohl im Schilde führte, mit einer beinahe kindlichen Freude. Im Hintergrund legte der andere unbemerkt seine Waffe an.
 
Dann ging alles ganz schnell. Marlenes Gesicht verzog sich zu einem strahlenden Lachen, als sie einen günstigen Schal auf einem der Tische entdeckte. Freudig zog sie ihn heraus und schwang ihn in der Luft. Knut zog die Vollautomatische und drückte ab. In einem Reflex warf sich Hugo auf Marlene und riss sie zu Boden, nicht ohne vorher von dem anderen getroffen zu werden. Knuts Schuss ging ins Leere und wurde von den anderen Kunden überhaupt nicht wahrgenommen.
 
Eng umschlungen lagen Marlene und Hugo auf den Fliesen. Eine alte Frau namens Frieda mit Gehwagen schlicht vorbei und bemerkte mit abfälligen Blick: „Haben Sie kein Zuhause?“ Danach stieß sie durch diese Szene abgelenkt mir Knut zusammen. Der andere, völlig überfordert mit der Situation, schoß ohne Nachzudenken erneut und traf sowohl die ältere Dame als auch Knut. Dann suchte er entnervt das Weite.
 
Frieda blickte streng auf die Waffe in Knuts Hand und forderte: „Stecken Sie das weg. Sie erschrecken ja die Leute.“ Knut gehorchte, wie er es zukünftig immer tat, wenn Frieda etwas von ihm verlangte. Sie verbrachten gemeinsam das Weihnachtsfest mit Gänsebraten und Tannenbaum in Friedas Haus.
 
Es ist wohl überflüssig zu erwähnen, dass für Marlene und Hugo bald die Hochzeitsglocken läuteten. Amor hatte eben doch einen guten Job gemacht.




   
 
 
 
 
 
  

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