Jürgen Berndt-Lüders

Herberts Frau versteht ihn nicht

Sie hieß Sieglinde, nannte sich Carmen und sah aus wie die Zigeunerin, die früher, in einem billigen Ölschinken verewigt,  über manchen Ehebetten hing.
 
Carmen war Animierdame in einer Bar nahe den Messehallen am Funkturm in Berlin. Ihre Arbeit bestand darin, Männer dazu zu bringen, ihren Konsum an teuren Getränken zu erhöhen. Einsamen Männern, denen abends die Hotelzimmerdecke auf den Kopf fiel, wenn die Messe-Geschäfte gelaufen waren. Eine soziale Tätigkeit also, bei der Carmen das rassige Aussehen zur Hilfe kam.
 
Carmen liebte die Männer, aber sie wusste sich rar zu machen, denn nichts ist in der Branche schädlicher als ein schlechter Ruf. Der senkte den Umsatz ganz erheblich, weil alle Männer von solchen Frauen glaubten, dass sie „es“ schon für eine einzige Flasche Pommery für hundertachtzig Euro täten.
 
Wenn Carmen auch die Männer liebte, so hatte sie was gegen Betrunkene. Erstens vertrugen die nicht mehr so viel - das senkte den Umsatz -, zweitens stänkerten die oft nur rum und ließen ihre ganze Wut auf die Ehefrauen an ihr ab, und drittens schliefen die an ihrer Theke ein und verschreckten die wirklichen Umsatzträger, die Nüchternen mit einer dicken Brieftasche.
 
Gegen 21:30 h betrat ein mäßig Betrunkener die Bar und hockte sich direkt vor ihre Nase, während sie Gläser spülte. Er hatte Tränen in den Augen, schniefte, zog den Handrücken unter der Nase durch und atmete tief. Carmen fischte nach dem Kleenex und reichte ihm wortlos die Packung.
 
„Entschuldige, wenn ich dich anquatsche“, sagte der Mann. „Ich heiße Herbert, so wie Herbert Grönemeier.“ Sein Blick kontrollierte die Wirkung. Frauen liebten Grönemeier, und ein wenig wollte auch er davon profitieren.
 
„Du musst mir ja schließlich mitteilen, was du trinken willst, also sag was“, lachte Sieglinde und lächelte freundlich. „Ich heiße Carmen und trinke einen mit.“
 
„Schenk uns mal das teuerste Gesöff ein, was du da hast“, sagte Herbert. „Weißt du, mit wem ich grade telefoniert habe?“
 
„Mit deiner Frau“, vermutete Carmen aus Erfahrung.
 
Ich werd’s mal nicht übertreiben, dachte sie und wählte die mittlere Preisklasse an Getränken. Für Herbert einen Cognac und für sie einen Pfefferminztee, beides von gleicher Farbe und zum selben Preis.
 
„Du wirst es nicht ahnen. Mit meiner Frau habe ich telefoniert, Ines’“, sagte Herbert, der wieder mal nicht zuhörte, „und weißt du, wer dran war?“
 
„Ein Mann“,  vermutete Carmen. Wieder aus Erfahrung.
 
„Du wirst es nicht glauben, ein Mann war am Telefon, Ines. Wahrscheinlich war es sogar mein Chef, pardon, mein Partner. Einen Chef hatte ich früher mal, als ich noch jung und unbedeutend war.“
 
„Ich heiße Carmen“, verbesserte Sieglinde. „Deine Frau heißt Ines.“
 
Herbert schossen die Tränen in die Augen. „Woher weißt du, dass meine Frau Ines heißt? Hat es sich schon bis Berlin rumgesprochen, dass Ines fremd geht? Dabei sage ich ihr immer, Ines, mein Schatz, wenn du mal Lust auf einen anderen Mann hast, teile es mir mit. Du weißt, ich kann mich gut verstellen. Dann mache ich dir den Latino-Lover.“
 
Carmen lächelte.
 
„Du brauchst gar nicht so zu lachen. Früher war ich nämlich in der Laienspielgruppe,“ fügte Herbert erklärend hinzu. "Wir waren auf Welttournee, und das war bestimmt nicht jede."
 
Carmen lächelte immer noch, als sie die Flasche öffnete und zwei Gläser einschenkte.
 
„Meine Frau versteht mich kein bisschen“, bekannte Herbert traurig und schniefte wieder.
 
Carmens Gesichtszüge entgleisten. Sie verkorkte die Flasche und holte etwas Teuereres unter der Theke hervor. Etwas für solche Fälle, wo die Frau den Mann nicht versteht. Solche Erzählungen dauerten nämlich länger.
 
„Dabei habe ich sie aus der Gosse geholt“, sagte Herbert.
 
Carmen nickte. Sie kannte das. Allerdings anders herum, ihr letzter hatte sie beinahe in die Gosse geschickt.
 
„Der erfolgreiche Geschäftsmann Herbert Kunicke hat seine Sekretärin geheiratet, die damals eine kleine, unbedeutende, blasse Erscheinung war“, informierte Herbert. „Und heute geht sie fremd, wenn der bedeutende Herr Kunicke auf Geschäftsreise ist, um das Geld zu verdienen, was die kleine, einst unauffällige Ines dann mit vollen Händen ausgibt.“
 
„Und auch noch fremd geht“, fügte Carmen trocken hinzu.
 
„Und auch noch fremd geht“, bestätigte Herbert und nickte heftig.
 
Es reichte Carmen. „Du möchtest zahlen?“, fragte sie.
 
Herbert zerrte seine Brieftasche aus dem Jakett und warf sie Carmen großzügig auf den Tresen. „Nimm dir, was du brauchst“, knurrte er.
 
In der Brieftasche fand Carmen ein Verzeichnis von wichtigen Telefonnumern, die im Falle eines Unfalls oder einer Krankheit anzurufen waren.
 
„Meine Frau Ines“, stand in einer Zeile. Carmen wählte die Nummer auf ihrem Handy.
 
„Ines Kunicke?“, meldete sich eine weibliche Stimme.
 
„Sieglinde Werner-Magenbroth“, sagte Carmen. „Ihr Mann hockt hier in der Bar ‚Messetrost’ in Berlin und braucht Hilfe.“
 
„Schon wieder? Ich sage seinem Chef Bescheid. Danke für die Info“, keuchte Ines entsetzt.
 
Carmen nahm fünfzig Euro aus der Brieftasche und warf sie zurück. „Du hattest dich verwählt. Deine Frau ist allein zu Hause.“
 
Die Tür öffnete sich und ein seriös wirkender Mann mittleren Alters betrat die Bar.
 
„Chef, sie sind ja gar nicht bei meiner Frau. Wie konnten sie denn so schnell von Hannover nach Berlin kommen?“ fragte Herbert verwirrt.
 
„Kunicke, nun kommen sie. Der Tag morgen wird anstrengend.“ Der seriöse Herr griff Herbert unterm Arm.
 
„Bis nachher“, rief Carmen und zwinkerte Herberts Chef zu.
 
„Bis nachher“, rief der und zwinkerte zurück.
 
© Jürgen Berndt-Lüders

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