Jürgen Berndt-Lüders

Die Macht der Ehefrauen

„Ich versteh dich nicht“, rief Claudia Wackernagel und warf ihren Kugelschreiber auf den Schreibtisch. „Du verkaufst dich aber auch viel zu billig. Ich darf dir ja nicht sagen, was ich verdiene, aber...“
 
„...ich hab’ ihn doch schon gefragt, ob er mir mehr zahlt“, unterbrach Chrissy Abendroth, „aber der Chef sagt mir durch die Blume, ich soll froh sein, wenn ich in der heutigen Zeit überhaupt noch Arbeit habe...“
 
Claudia setzte ihr Lehrerinnengesicht auf, rannte zur Bürotür, öffnete diese, schaute nach links und rechts, schloss die Tür, kam zurück und ließ sich auf den chefsesselähnlichen Bürostuhl fallen. Nach kurzem Überlegen rief sie das Personalbüro der Firma Fritz Wunderlich GmbH & Co KG an.
 
„Ist der Chef heute wirklich nicht im Betrieb?“
 
„Der kommt erst morgen wieder. Soll ich ihm was ausrichten?“
 
„Nein danke, ich schicke ihm eine Mail aufs Iphone.“
 
„Was willst du ihm denn mailen?“, fragte Chrissy ängstlich. „Dass ich unzufrieden bin?“
 
„Ach Quatsch“, rief Claudia und winkte ab. „Das war doch bloß ein Ablenkungsmanöver für diese hirnlosen, chefhörigen Nachquatscher. Nein, du bist meine Freundin, und dir würde ich nie und nimmer schaden. Du hast nur keine Ahnung, wie man die Männer in den Griff kriegt, aber um dir das zu zeigen, dafür hast du ja mich, meine Süße.
 
Ich wollte doch nur erfahren, ob mit ihm zu rechnen ist. Nicht, dass er plötzlich rein kommt und die Wahrheit erfährt.“
 
Chrissy verstand kein Wort. Dieses selbstsichere Gehabe der Verkaufsleiterin bewunderte sie. Andererseits fand sie es irgendwie abstoßend.
 
„Guck dich doch mal an, oder hast du keinen Spiegel? Lass uns mal in die Waschräume gehen. Da stellen wir uns nebeneinander vor die Waschbecken und vergleichen uns. Oder noch besser: wir rufen Adalbert und lassen ihn sein Urteil abgeben.“
 
 Adalbert war kurz vor der Rente und arbeitete in der Registratur.
 
Diesmal winkte Chrissy ab. „Der frisst dir doch aus der Hand. Wenn du wolltest, würde der dir zu Hause den Abwasch machen.“
 
Claudia sprang auf und feuerte mit den Knien den Bürosessel an die Wand. „Der Chef aber auch. Wenn ich wollte, könnte ich den...“
 
„...sag mal, hast du dich etwa hochgeschlafen?“, fragte Chrissy entsetzt.
 
Claudia kam um den Schreibtisch herum, zog Chrissy hoch, nahm sie kurz in die Arme und ließ sie auf den Besucherstuhl zurück. „Ja natürlich“, sagte sie. „Was denkst du denn? Männer nutzen ihre Vorteile ja auch. Erfolgreiche Männer sind groß, sehen gut aus...“
 
„...ja, aber die prostítuieren sich nicht“, rief Chrissy. Ihr war der Ekel anzusehen, den sie allein bei der Vorstellung spürte, sie läge quer über dem Schreibtisch und der Chef bemühte sich hoseöffnenderweise um sie.
 
„Sieh mal, Schätzchen, Sex ist nach dem Selbsterhaltungstrieb die zweitgrößte Kraft, die auf den Menschen wirkt“, dozierte Claudia. „Warum sollen wir das als gut aussehende Frauen immer wieder verleugnen?“
 
Das brachte Chrissy’s Moral fast ins Wanken. „Und was schlägst du vor?“
 
"Nun lass' dich erstmal ein bisschen stylen, und dann lächle ihn schräg von der Seite her an. Der alte Mann ist für jede Zuwendung dankbar. Und wenn er zugreift, lass dich greifen."
 
"Nein", rief Chrissy entschlossen. "Nein, soweit würde ich nie gehen."
 
*
„Ich kenn’ dich doch“, rief Margarete Wunderlich, die Frau von Fritz Wunderlich, dem Chef von Chrissy und Claudia. Sie schenkte ihm eine Tasse Kaffee nach. „Du guckst so nachdenklich. Irgendetwas stimmt mit dir nicht. Hat es was mit dem Geschäft zu tun?“
 
Fritz winkte ab. „Ach, warum sollen wir unsere seltenen Stunden in heimischer Atmosphäre mit solchen Dingen belasten?“
 
Er sah auf die Uhr.
 
„Ich glaube, ich muss heute doch noch ins Geschäft. Du hast doch deinen Friseurtermin...“
 
„...den schenke ich mir mal“, beschloss Margarete und hockte sich zu ihrem Mann. Sie legte ihre leicht altersfleckige Hand auf seinen Unterarm. „Was ist los mit dir?“
 
„Der Umsatz geht zurück...“
 
„...das liegt doch an deiner Verkaufsleiterin. Die Wackernagel bringt so gut wie nichts mehr. Schmeiß’ sie raus. Du hast doch noch diese Frau Abendroth. Die wäre mir sogar lieber.“
 
Fritz schaute auf. „Wieso ist dir Christine Abendroth lieber als Claudia Wackernagel? Du kennst doch beide nur oberflächlich.“
 
Margarete lächelte mild. „Mein Lieber, ich weiß doch, auf welche Art du sie vor zwanzig Jahren, als du sie für dich gewinnen konntest, überzeugt hast. Genau auf die gleiche Art, wie ich damals von der Stenotypistin zu deiner Ehefrau wurde.“
 
Fritz schwanden die Sinne. Da hatte er sich nun alle Mühe gegeben, den Saubermann vor seiner Frau zu spielen, und die hatte ihn längst durchschaut.
 
„Ja, aber woher weißt du das?“
 
„Eine Frau weiß sowas einfach.“ Margarete sah ihren Mann verständnisvoll an.
 
„Und warum soll ich Frau Abendroth an ihre Stelle setzen?“
 
„Weil die zu anständig ist, sich für ihren Job zu prostituieren.“ Margarete lächelte sanft. „Und fähig ist sie allemal.“
 
Fritz schüttelte ungläubig den Kopf. Wenn ihm bewusst gewesen wäre, dass auch die  kleine Tippse Maggy, seine heutige Ehefrau, ihn damals nur geangelt und er sie nicht erobert hatte...
 
„Und  gib ihr zumindest das, was du der der Wackernagel gegeben hast“, fügte Margarete hinzu.
 
„Dann bist du zufrieden?“, fragte Fritz.
 
"Dann ist die Welt wieder in Ordnung, mein Schatz," flüsterte Margarete und legte ihre zweite, leicht altersfleckige Hand noch dazu.
 
 © Jürgen Berndt-Lüders
 

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 30.11.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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