Nadja liebt fast alle ihre Puppen. Die mit den langen Hälsen ebenso wie die mit den kleinen Köpfchen, die mit einem Buckel ebenso wie die mit den dicken Bäuchen. Nur dass sie in einer langen Reihe auf dem schwarzem Schulhof stehen, das gefällt ihr nicht.
Nadja hat all ihren Puppen einen Namen gegeben: Roby und Ina, Toby und Asa, Udo, Nora und Dana und wie sie alle heißen. Obwohl es sehr viele sind, mehr als zwanzig, kennt sie sie alle und verwechselt sie nie. Sie spricht auch mit ihnen, ganz, ganz leise, damit Frau Grubenauer sie nicht hört. „Ich hol euch gleich vom Schulhof runter. Bei mir könnt ihr viel schöner spielen. Passt jetzt auf. Immer schön der Reihe nach. – „Toby“ - und Nadja malt den Buchstaben „t“ in ihr Heft. Sehr langsam macht sie das, um Toby nicht weh zu tun, und damit er sich nicht den langen Hals verrenkt.
Jetzt bindet Nadja ihm noch einen Schal um. Er soll ja nicht frieren. „Nora“, ruft Nadja jetzt. Die Arme hat einen unschönen Buckel, deshalb muss Nadja besonders lieb zu ihr sein. Eine Puppe nach der anderen findet einen Platz zum Spielen in Nadjas Heft.
Nadja weiß, wer gut mit wem kann. Einige haben sich verzankt. Die dürfen nicht zusammen in eine Spielgruppe. Und ein paar Böse, die Nadja nicht leiden kann, bleiben auf dem hässlichen schwarzen Schulhof, bis sie selber schwarz werden. Der wabbelige Udo z. B. oder die Lara mit dem dicken Hals.
Nadja zählt nach. Zehn Puppen hat sie heute eingeladen. Das reicht, beschließt sie. Sonst gibt es Durcheinander und vielleicht sogar Streit. „So“, flüstert Nadja, dicht über ihr Heft gebeugt, „und jetzt dürft ihr spielen, bis ich euch zum Mittag rufe.“
Nadja spürt eine Hand auf ihrer Schulter. Frau Grubenauer, wer sonst.
Sie reißt Nadja das Schreibheft aus der Hand und schreit hysterisch: „Du bringst mich noch zur Verzweiflung. Schau an die Tafel. Wie lautete eure Aufgabe? Schnell. Wir können nicht bis morgen warten.“
„Wir sollen den Satz abschreiben.“
„Und, und“, stottert Frau Grubenauer, „was hast du getan? Ist das der Satz? Kraut und Rüben. Ohne Sinn und Verstand. Ich kann dich unmöglich in die zweite Klasse versetzen.“
„Komm, Verena“, ruft Frau Grubenauer ihre Lieblingsschülerin zu Hilfe, „lies mal den Blödsinn vor, den unsere Schreibkünstlerin wieder verzapft hat.“
Verena nimmt das Heft mit einem Ausdruck deutlichen Ekels in die Hände, rümpft die Nase und versucht so verächtlich wie möglich die Buchstabenfolgen in Nadjas Heft wiederzugeben. Es kommen aber nur unverständliche, bedeutungslose Laute aus ihrem Mund, wie wenn ein Pferd oder Esel schnauben würde. Die Klasse prustet vor Lachen.
Frau Grubenauer brüllt in den Lärm hinein: „Genug jetzt. Ich finde das gar nicht lustig. Traurig ist das. Sehr, sehr traurig. Lies laut vor, was an der Tafel steht.“
Verena liest und betont jede Silbe übertrieben stark, weil sie allen zeigen will, dass die Aufgabe pipileicht für sie ist, viel zu leicht: „Rita und Jonas spielen mit dem Ball.“
„Und du, du, Nadja“, rüttelt Frau Grubenauer Nadja: „Du spielst mit deiner Versetzung, wenn du so weiter machst. Du bleibst nach der Stunde noch hier, damit wir nachholen, was du in der Stunde verträumt hast.“
Als Frau Grubenauer sich wieder entfernt hat, beugt sich Nadja über ihr Heft und murmelt, fast unhörbar: „ Wir machen jetzt erst einmal eine kleine Pause. Ihr müsst jetzt schlafen. Wir spielen nachher weiter.“
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.12.2010.
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