Nicolai Rosemann

Elysium

Von einem Moment auf den anderen wurde es totenstill im Lokal. Der Grund dafür stand in der Tür, oder versperrte die Tür eher mit seiner Masse. Die Musik wurde abgeschaltet und unzählige Augenpaare richteten sich auf den Neuankömmling.
„Was ist denn los?“ rief jemand in der Menge, wohl darüber empört, dass die Stimmung plötzlich so kippte.
„Genau. Wir wollen uns amüsieren!“ rief eine zweite Stimme, eindeutig ein junges Mädchen. Doch niemand wagte es ihnen eine Antwort zu geben, einige der Stammkunden wandten sich sogar ärgerlich ab. Neue. Wieder einmal typisch.
„Das Elysium ist geschlossen!“ rief eine dritte Person. Diese Person befand sich auf der oberen Ebene und trat nun ins Rampenlicht. Es war ein Mann, vielleicht Anfang dreißig. Er trug einen schwarzen Mantel aus Leder, der bis zur Brust zugeknöpft war. Darunter trug er einen Anzug mit schwarzem Hemd und blutroter Krawatte, beides lugte aus dem Ausschnitt des Mantels.
„Personen, die den Schutz des Elysiums in Anspruch nehmen wollen, wenden sich an Lucifer Graveyard. Der Rest verschwindet. Sofort“, festigte der Mann seine Forderung und winkte dann den neuen Besucher, der Auslöser für die Totenstille war, zu sich nach oben. Die Wachen, die die Treppe nach oben bewacht hatten, lösten die Samtschnur, die die Treppe versperrte und traten respektvoll vor dem Kasten von Mann zur Seite, der sich langsam nach oben bewegte. Die restlichen Gäste bewegten sich in Richtung Ausgang, einige wenige wandten sich an Lucifer Graveyard, den Mann hinter der Bar, der auch die Musik zum Schweigen gebracht hatte.
Als alle das Lokal verlassen hatten, abgesehen von Lucifer, dem Mantelmann und dem Besucher, zogen sich auch die Wachen an der Treppe zurück. Im Lokal herrschte wirklich Totenstille, obwohl es Freitagabend war. Kurz vor Mitternacht.
 
Der Mantelmann wies dem Kasten einen bequemen Sessel zu. „Natürlich ehrt mich dein Besuch immer, Vincent. Aber ich würde es begrüßen, wenn du dich das nächste Mal anmeldest. Es schadet meinem Ruf, wenn ich mein Elysium schließen muss um Geschäfte zu machen, die mir bestimmt nicht schmecken“, sagte er in einer Mischung von Respekt und Verachtung. Der Kasten knurrte unzufrieden. „Hast du Fleisch?“
„Lucifer kümmert sich bestimmt schon darum“, antwortete der Mantelmann, öffnete den Mantel und nahm selbst Platz. Kurz darauf kam Lucifer Graveyard nach oben, ein Tablett auf dem Unterarm balancierend. In der linken Hand trug er eine Flasche mit rotem Inhalt.
„Es stört Eure Heiligkeit doch nicht“, grinste er und entkorkte die Flasche mit den Zähnen. Erst dann stellte er das Tablett vor Vincent ab und hob die Haube. Darunter lag ein frisch zubereitetes Steak. Gierig schlang es der Kasten in zwei Bissen hinunter, während Lucifer zwei Gläser einschenkte und eines dem Mantelmann reichte.
„Cheers“, sagte dieser und stieß mit seinem Geschäftspartner an. Dann nahm er einen Schluck und begann das Getränk zu loben: „Ein wahrlich guter Tropfen, genau richtig für einen Tag wie diesen. Aus Guatemala, nicht wahr?“ Lucifer nickte zustimmend und kostete selbst. Erst nach diesem Geplänkel wandten sich die beiden an ihren Gast.
„Also, Vincent, kommen wir zum Geschäft“, sagte der Mantelmann. Der Kasten schnaufte und holte dann eine Liste aus seiner inneren Manteltasche.
„Ich habe die Bücher durchgesehen. Anscheinend habt ihr in letzter Zeit mehr Zulauf als erwartet. Während wir unter rückläufigen Zahlen leiden. Wir hungern, während eure Zahl anwächst. Selbst hier und heute habe ich bestimmt zwei, wenn nicht sogar drei, Dutzend Sterbliche wahrgenommen.“
„Das stimmt. Doch wir haben alles wie vereinbart gebucht“, antwortete Lucifer kühl.
„Das mag sein. Aber uns stört es, wie sich der Zulauf entwickelt. Das Gleichgewicht könnte gestört werden“, argumentierte Vincent. Der Mantelmann stöhnte auf. „Erzähl mir nichts von Gleichgewicht, Vincent“, sagte er in einem beleidigten Ton, „wenn es hart auf hart kommt ist doch einer deiner Leute fünf von Unseren wert.“
„Wir haben es im Vertrag genau vereinbart. Ihr habt dem zugestimmt, wenn ich euch erinnern darf“, antwortete Vincent und klopfte auf das Papier. „Also erklärt mir, wie es passieren konnte.“
„Die Lösung ist ganz einfach, mein haariger, gieriger Freund“, seufzte der Mantelmann, „wir haben uns bei der Propaganda verschätzt. Sie kommt besser an als erwartet und die Elysiums werden geradezu von Sterblichen überschwemmt. Wir können sie nicht daran hindern, ohne die Maskerade zu gefährden.“
„Papperlapapp, Maskerade. Das ist doch eure Ausrede für alles. Unsere Berechnungen ergeben mindestens fünfzig unplanmäßige Verwandlungen in diesem Moment, alleine in dieser Stadt. Bei der aktuellen Entwicklung werden es in drei Monaten fünfundsiebzig sein, in einem Jahr hundert. Nach drei Jahren würde es keine Maskerade mehr brauchen, weil alle auf eurer Seite wären. Das Gleichgewicht wäre irreparabel gestört und ein organisierter Schlag könnte mich und meinesgleichen in zahlenmäßiger Überlegenheit auslöschen. Von deinen Zaubersprüchchen ganz abgesehen. Wie oft hast du uns schon den totalen Sieg gekostet.“
„Fünf Mal“, platzte es aus dem Mantelmann heraus, der sich ein Lächeln nicht verkneifen konnte.
„Ach, Vincent. Du machst doch aus einer Mücke einen Elefanten. Gut, wir haben im Moment etwas mehr Zulauf als normal. Aber der Hype wird sich wieder beruhigen und dann geht wieder alles zum Alten. Außerdem, hast du dir einmal angesehen welche Sorte Sterblicher unsere Elysiums überschwemmen?“
„Ehrlich gesagt, es ist mir egal. Die Propaganda muss aufhören. Noch heute Nacht“, sagte Vincent in einem Ton, der keine Widerworte duldete. Doch nun war es an der Zeit für den Mantelmann auf den Vertrag zu klopfen.
„Armer Vincent. In deiner Raserei hast du ganz vergessen den Vertrag zu Ende zu lesen. Hier steht, wir dürfen Propaganda in einem angemessenen Maße betreiben. Im Detail stehen hier fünf Spielfilme, drei Serien und eine Buchserie. Wobei Buchserie auf acht Dutzend Autoren weltweit bezogen ist. Und sie alle haben ein unterschiedliches Bild unseres Seins gezeichnet. Im Gegenzug dazu, erhieltest du die Rechte für drei Spielfilme, eine Serie und eine Buchserie. Die Serie ist inzwischen wieder abgesetzt, die ersten zwei Filme habe ich gesehen – sie sind grauenhaft. Ich hoffe, der letzte wird besser. Und eure Buchserie, nun. Es ist euer Fehler sich auf einen einzigen, minder talentierten Autor zu stützen. Nur weil wir ein besseres Marketing betreiben, kannst du nicht verlangen, dass wir jetzt aufhören.“
Vincent knurrte unzufrieden und schob den kleinen Beistelltisch mit dem Tablett und den Gläsern etwas zur Seite. Dann spreizte er leicht die Beine. „Du willst also sagen, dass du nicht kooperierst?“ fragte er nach.
„Es gibt für uns keinen Grund zu kooperieren, Vincent“, antwortete Lucifer, „doch solltest du darauf bestehen, bringen wir beim nächsten Konzil das Problem zur Sprache. Sollten die Clans zu deinen Gunsten entscheiden, geben wir nach und leiten Gegenmaßnahmen in die Wege. Doch bis dahin, tata.“ Er stand auf und fasste Vincent an der Schulter. „Ich glaube, du solltest gehen.“
„Nicht anfassen“, knurrte der Gast und stand auf. Er fletschte gelbe Zähne und fegte die Hand von seiner Schulter. „Das werdet ihr bereuen. Ich verspreche euch, diesen Tag werdet ihr noch verfluchen.“
„Jetzt beruhige dich wieder“, versuchte der Mantelmann Vincent zu beschwichtigen. „Sieh doch her. Der Ansturm, wie du es nennst, sind hauptsächlich Mädchen zwischen zehn und fünfzehn. Eine Verwandlung wäre doch mehr als fahrlässig. Außerdem glauben sie doch wirklich, dass wir so verklemmte Deppen sind wie diese Romangestalt. Und dass, wenn sie lange genug rumnörgeln, wir uns ändern könnten. Keine dunklen Gassen mehr für uns, und wahrscheinlich früher oder später keine Treibjagden mehr für euch. Und in zwei Generationen wären unsere beiden Fraktionen nur noch ein verweichlichter Haufen von Daumenlutschern, die Konserven aussaugen oder Gemüse essen.“
Vincents Oberlippe begann zu zittern, Tränen sammelten sich im Augenwinkel. Dann fing er an schallend zu lachen, woraufhin die beiden Gastgeber einsetzten. Vincent sank etwas in die Knie und klopfte sich auf die Schenkel. Doch plötzlich schnellte seine Hand vor, zur Klaue geformt, und riss Lucifer die Kehle auf. Gurgelnd taumelte er zurück, befleckte Tische und Möbel und taumelte schließlich über einen Hockern, woraufhin er zwischen zwei Tischen hinschlug. Sein Kamerad war zurückgewichen und legte nun beide Hände ineinander. Stumm murmelte er etwas vor sich hin, woraufhin sich eine Eisschicht über seine Hände legte.
„Er wird es überleben, das war nur eine Warnung. Ich habe ein Auge auf euch. Solltet ihr die Wahrheit gesagt haben, wegen des Zulaufs, werde ich den Vorfall nie wieder erwähnen. Doch solltet ihr gelogen haben, werde ich den Frieden brechen. Dann werden alle Elysiums brennen, das verspreche ich euch.“ Vincent nahm den Mantel, der über das Geländer gelegt war, und wischte sich die blutige Klaue ab. „Danke für das Fleisch.“ Dann zog er von dannen.
Der Mantelmann seufzte und nahm die Flasche, die auf dem Tisch stand. Dann ging er zu Lucifer und schüttete den Inhalt auf die Halswunde. Eine Minute später erwachte er wieder zum Leben und kam schnaufend wieder hoch. Als er sich orientiert hatte, begann er Gift und Galle zu spucken. „Wo ist dieser Lausträger? Ich verarbeite ihn zu einem Bettvorleger“, drohte er zornig. Doch sein Freund hielt ihn zurück.
„Er ist weg, Lucifer. Doch die Warnung war eindeutig. Wir müssen sofort aufhören.“
„Dieses verdammte Twilight. Ich habe von Anfang an dagegen gestimmt. Diesen Toreadoren darf man nicht trauen“, fluchte Lucifer weiter.
„Geht es dir gut?“ fragte der Mantelmann, Lucifer winkte ab. „Ich war unachtsam. Sonst würde er nun hier liegen.“
„Und wir hätten einen Krieg am Hals. Er kam als Unterhändler“, argumentierte der Mantelmann und blickte seinen Mantel an. „Ach, er hat ihn ruiniert. Dabei war das Stück fast neu. Nur fünf Jahre, fast ein Augenblinzeln.“
„Wir werden nicht jünger, mein Freund“, grinste Lucifer und rieb sich die Wunde, die inzwischen fast ganz verheilt war. In einer Stunde würde sie verschwunden sein. „Öffnen wir heute noch einmal?“
„Auf jeden Fall. Ich räume kurz auf, dann lassen wir die Gäste wieder rein. Doch schick Marlene eine Nachricht. Ich muss sie sprechen, wegen ihres glorreichen Plans uns Zulauf zu verschaffen.“
„Du willst die Schlampe noch heute sehen? Ich bin froh, wenn ich sie nicht sehen muss“, gab Lucifer seine Meinung zum Besten. Der Mantelmann ignorierte ihn. Gedankenversunken blickte er nach unten. „Sie alle kommen zu mir, ohne zu wissen, wer eigentlich ihr Gastgeber ist. Es ist fast zum Heulen, wenn man bedenkt wer ist einst war.“
„Denn man kannte dich einst unter dem Namen Jack the Ripper. Erspar mir die Predigt“, lächelte Lucifer und ging nach unten. „Mein Name ist doch viel besser. Klingt so nach Hölle und Friedhof.“

Zu Beginn: das Element Twilight habe ich erst später hinzugefügt um meine Kritik an der Zerstörung eines ganzen Genre zu zeigen. Ansonsten ist das eine alte Geschichte mit alten bekannten Vampircharakteren. Der Mantelmann ist "Der, der genannt werden will", während Lucifer Graveyard meinen Lesern sowieso bekannt sein müsste, ebenso wie Vincent, der Alpharüde der Werwölfe. Die einzigen, die hier keinen Auftritt hatten sind der Händler Frank Fennig und sein alter Freund und Jäger Isidor (Grabrede). Und da ist natürlich ein neuer Charakter, Marlene von den Toreador. In späteren Geschichten rund um diese Vampire wird sie noch wichtig werden.Nicolai Rosemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 09.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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