Christiane Mielck-Retzdorff

Es begann mit Sina




 
Ralf erschrak sich damals zu Tode und glaubte seinen Augen nicht zu trauen, als Sina so kurz nach ihrem desaströsen Treffen freundlich lächelnd vor ihm stand. Hatte er das Ereignis so falsch eingeschätzt? Und sollte Sina seine in brutaler Bedrängnis explodierte Begierde nicht nur verziehen sondern sogar als Aufforderung empfunden haben? Er konnte es nicht begreifen. Eilig suchte er das Weite, doch Sina klebte an seinen Fersen. Von jenem Tag an wurde sie seine ständige Begleiterin.
 
Der Anblick ihrer jugendlichen Schönheit erfreute Ralf immer wieder. Aber Sina war auch launisch und fordernd. Ständig zwang sie ihn laute Musik zu spielen und mit ihr zu tanzen. Sie bestimmte das Fernsehprogramm, und anstatt seinem heimischen Fußballclub zuzujubeln, mußte er mit ihr in endlosen Spaziergängen die Auslagen der Modegeschäfte betrachten. Sina  duldete auch keine Unternehmungen mit seinen ohnehin spärlich gesäten Kumpels, sondern verlangte Ralfs uneingeschränkte Aufmerksamkeit.
 
Es ließen sich jedoch Zeichen erkennen, dass es Sina an weiblicher Gesellschaft fehlte, denn Ralf war bei allen Bemühungen nicht in der Lage, die täglich über den Bildschirm flimmernden Liebesgeschichten mit verbalem Sinn zu erfüllen. Auch die Schicksale der existierenden oder noch zu kürenden Superstars oder Topmodels konnten sein Interesse nicht wecken.
 
Da seine Gefährtin dieses Manko auch erkannt hatte, beschlossen sie gemeinsam Abhilfe zu schaffen, wobei sich Sina vorbehielt, die Person, die fortan ihr Dasein teilen sollte, selbst auszuwählen. Es folgte eine ziemlich zeitraubende Suche nach einer jungen, modernen Frau, die sowohl Sinas Vorlieben teilte als auch Ralfs Alltag bereichern sollte. Dieser gab jedoch bald zermürbt auf und signalisierte, dass er mit jeder Wahl von Sina einverstanden war.
 
Ira davon zu überzeugen, ein Teil dieser Gemeinschaft zu werden, gestaltete sich weit unkomplizierter, als Ralf es sich vorgestellt hatte. Zwar war ihm bisher wenig Erfolg bei Frauen beschieden, und er tat sich schwer, mit ihnen in Kontakt zu treten, aber Sina lehrte ihn geduldig all jene Worte und Gesten, denen sich das weibliche Geschlecht nur selten entziehen konnte. Bestärkt durch den unmittelbar eintretenden Erfolg bei Ira, konnte Ralf das, was bei Sina noch aus unkontrollierten Emotionen heraus geschehen war, nun bewußt erleben. Er fand Gefallen daran.
 
Die beiden jungen Frauen amüsierten sich prächtig, und Ralf verlor mehr und mehr die Kontrolle über sein Heim und sein Leben. Dafür waren Sina und Ira fleißig darin, weitere Gesellschaft für sich und Ralf auszusuchen, so dass die recht übersichtlichen Räumlichkeiten der Wohnung bald von Kichern, Streiten und tränenreichen Versöhnungen erfüllt waren, die täglich an Ralf Nerven zehrten. Nur die Aussicht auf eine weitere Eroberung versprach ihm gelegentlich Ruhe, um im Folgenden seine Probleme noch zu multiplizieren.
 
Ralf begegnete Kira zum ersten Mal auf der Treppe, wo sie sich strahlend als seine neue Nachbarin vorstellte. Ihr unschuldiger Liebreiz zog Ralf so in seinen Bann, dass er all die Eroberungslehren seiner Mitbewohnerinnen vergaß und nur seinem Wesen entsprechend schüchtern zu stottern vermochte. Doch gerade das schien Kiras Wunsch nach weiteren Begegnungen zu wecken. Flüsternd verabredete er sich mit ihr in einem Cafe um die Ecke.
 
Auch wenn die, auf die stolze Zahl von fünf junge Frauen angewachsene, Schar mehrheitlich mit sich selbst beschäftigt war, blieb es ihrem Spürsinn nicht lange verborgen, dass Ralf ein Geheimnis hatte. Den im Folgenden hysterisch vorgebrachten Beschuldigungen und Anfeindungen war Ralf nicht gewachsen und brach in der Erkenntnis seiner Gefühle für Kira in sich zusammen. Ihm war bewußt, dass seine Mädels niemals dulden würden, dass eine Außenstehende eine derartige Sonderposition einnehmen durfte. Den Geschworenen an einem Gericht gleich, zogen sie sich zurück um zu beraten. Dabei erkannte Ralf erschüttert die Ausweglosigkeit seiner Situation.
 
Verschwörerisch grinsend kamen die Frauen zurück, und Ralf ertappte sich dabei, den Anblick geballter, jugendlicher Schönheit mit ihren straffen Kurven und wallenden Haaren zu genießen. So übel war sein Leben doch gar nicht, auch wenn es etwas Wesentliches entbehrte. Ihm war sofort klar, dass nun auch Kira Mitglied in dieser Gemeinschaft werden sollte. Hatte sich erst noch etwas in seinem Inneren gegen diesen Gedanken gesträubt, so gewannen die positiven Aspekte die Oberhand. Seine Bedenken wegen der unmittelbaren Nachbarschaft Kiras zerstreute die magische Kraft, die den Raum erfüllte. Seine Mädels hatten ihn immer beschützt.
 
Als das Wehklagen von Kiras trauernder Mutter ob des schändlichen Meuchelmordes durch das Treppenhaus hallte, wurde Ralf einmal mehr bewußt, wie gleichgültig die Toten im Vergleich zu den Lebenden waren. Die Mädels, nun zu sechst, saßen gebannt und fieberten mit den Darstellern einer Telenovela. Es war an der Zeit einen größeren Fernseher zu kaufen, dachte Ralf. Irgendwo dort draußen wartete schon sein siebtes Opfer.               

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