Diethelm Reiner Kaminski

Keep smiling



Ungefähr vierzehn muss ich gewesen sein, als ich beim Durchblättern eines amerikanischen Familienjournals auf die Überschrift „Smiling can solve your problems“ stieß. Mein Schulenglisch reichte gerade aus, um die Überschrift zu verstehen, nicht aber zur geistigen Durchdringung des endlos langen Beitrags.
Dennoch: Die Überschrift prägte sich mir ein und ging mir nicht mehr aus dem Kopf, denn sie machte mir bewusst, dass ich bisher eher griesgrämig durchs Leben gelaufen war und – ohne selber etwas dazu beizusteuern – von der Welt erwartete, mich liebend in die Arme zu schließen und zu verhätscheln. Wenn die Welt mir bisher jede Zuneigung verweigert hatte, lag das, dessen war ich mir jetzt sicher, an meinem fehlenden Lächeln. Wenn es weiter nichts war – ein müdes Lächeln würde mich keine große Mühe kosten, sofern es mir nur Vorteile brächte. Ein Lächeln konnte ich mühelos produzieren. Und schon begann ich meine verkrampften Gesichtsmuskeln heimlich vor dem Badezimmerspiegel zu trainieren, bis ich meiner sicher war, es jederzeit – sozusagen auf Abruf – hervorbringen zu können.
Probleme, bei denen ich ein Lächeln nutzbringend einsetzen konnte, gab es zur Genüge.
Zum Beispiel bei der Rückgabe der total verhauenen Lateinarbeit. Nicht ärgern, immer nur lächeln, war die Devise. „Dummheit allein reicht wohl nicht“, tobte der Lateinpauker, „muss sie sich auch noch mit Frechheit paaren? Das dämliche Grinsen wird dir schon noch vergehen.“
„Deine Leistungen in der Schule haben so rapide nachgelassen, dass ich mir ernsthaft Sorgen um deine Zukunft mache“, rügte mich mein Vater wenig später.
„Smiling can solve my problems“, brummelte ich vor mich hin und verzog mein Gesicht zu einem breiten Grinsen. Mein Vater wandte sich Hilfe suchend an meine Mutter und sagte verächtlich: „Verlorene Liebesmüh. Bei dem sind Hopfen und Malz verloren. Ich lass mich nicht auch noch verhöhnen. Soll er doch abgehen mit der Mittleren Reife – wenn er die überhaupt schafft – und dann möglichst schnell aus dem Haus. Ich will mich nicht länger als notwendig mit einer solch undankbaren Kreatur plagen.“
Den Ausschlag für einen erneuten Sinneswandel gaben weder Schule noch Elternhaus, sondern die Polizei.
Als mich ein Streifenbeamter auf frischer Tat dabei ertappte, dass ich aus purer Langeweile Steine von einer Autobahnbrücke auf die Fahrbahn warf, und mich deshalb zur Rede stellte, glaubte ich zum letzten Mal, durch ein rechtzeitiges Lachen meine Probleme lösen zu können.
„Das ist ja wohl das Letzte“, brüllte der Polizist. „Bist du eigentlich so dumm, oder tust du nur so? Nicht die Spur von Einsicht oder Reue. Ist dir überhaupt bewusst, was du hättest anrichten können, vielleicht sogar angerichtet hast? Für den entstandenen Schaden werden deine Eltern aufkommen. Und das Jugendamt wird auch eingeschaltet.“
Irgendwas scheint mit dem Spruch „Smiling can solve your problems“ nicht zu stimmen, sagte ich mir. Lag vielleicht eine Verwechslung vor? Hieß es womöglich in Wahrheit: „Crying can solve your problems“?
Bei der Rückgabe der nächsten wiederum total verhauenen Lateinarbeit brach ich in dicke Krokodilstränen aus. Asinus Maximus, unser Lateinlehrer, legte tröstend seinen Arm um meine gramgebeugten Schultern. „Es gibt Schlimmeres im Leben als eine verhauene Klassenarbeit. Komm anschließend in meine Sprechstunde, dann überlegen wir uns gemeinsam, wie wir die Kuh vom Eis ziehen.“
Zu Hause gelang es den vereinten Bemühungen meiner Eltern nicht, den total aufgelösten Sohn wieder aufzurichten. „Es ist nie zu spät“, tröstete mich mein Vater. „Pass auf, wir suchen dir einen tüchtigen Nachhilfelehrer, und dann geht es bestimmt bald wieder aufwärts.“
„Und ich habe mir vorgenommen, dir ab sofort mehr Zeit zu widmen als bisher. Ich mache mir Vorwürfe, weil ich mich in letzter Zeit so wenig um dich gekümmert habe“, sprang ihm meine Mutter bereitwillig bei.
In Gegenwart eines Bullen in Tränen auszubrechen – die Blöße hätte ich mir nun doch nicht gegeben, und so warf ich keine Steine mehr von einer Autobahnbrücke auf die Fahrbahn, aber als mir meine erste Freundin, in die ich mich verschossen hatte, den Laufpass geben wollte, stand ich erneut vor der Wahl, mit Lachen oder Weinen mein Problem anzugehen. Spontan entschied ich mich für Letzteres – mit dem Erfolg, dass meine Freundin das als Zeichen aufrichtiger Liebe deutete und ihre voreilige Entscheidung flugs rückgängig machte.
Zu gern hätte ich einen Gegenartikel für das amerikanische Familienjournal oder wenigstens einen Leserbrief geschrieben, um die Falschheit der Behauptung „Smiling can solve your problems“ zu entlarven, aber weder konnte ich mich an den Namen des Journals erinnern, noch hätten heutige Leser einen Bezug zu einem vor so vielen Jahren erschienenen Artikel herstellen können.
 


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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 14.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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