Diethelm Reiner Kaminski

Diva



    Hühnchen Petra Pane war zu Höherem geboren. Das zeigte sich immer deutlicher. Vor allem an ihrem Gefieder. Ihre Eltern und Geschwister hatten ausnahmslos  graubraune Federn. Nichts Besonderes. Arbeiterklasse, verurteilt zu lebenslangem Hühnerlegen, Brüten, Kükenkriegen. Niemand in der Familie hatte es je geschafft, diesem Schicksal zu entkommen. Petra war die Erste, bei der sich schon bald nach dem Schlüpfen zeigte, dass das Leben mehr für sie bereit hielt als Hühnerhof und -stange. Schon ihr Kükenflaum war durch einen bläulichen Schimmer aufgefallen. Als sie heranwuchs, wurde die Farbe der Federn immer intensiver und offenbarte schließlich eine unvergleichlich blaue Färbung. Besonders in der Morgen- und Abenddämmerung leuchtete es geheimnisvoll. Das Gefieder war von geradezu überirdischer Schönheit. Petra war sicher: Film und Fernsehen warteten auf sie. Hätten auf sie gewartet, wenn sie von Petras Existenz gewusst hätten. Ohne Public Relation, das merkte Petra schnell, lief heutzutage rein gar nichts, da konnte man noch so bezaubernd und einzigartig sein. Mit einem so gewöhnlichen Namen wie Petra Pane war sowie kein Blumentopf zu gewinnen. Also nannte … besser: ließ sich Petra fortan Petrella Panecotta nennen. Sie sah ihren  Künstlernamen schon auf allen Titelblättern und Kinoleuchtreklamen prangen. Petra bestellte sich kostspielige Fotografen auf den Hühnerhof, ließ teure Probeaufnahmen machen, flatterte zu kostenpflichtigen Fotoshootings, doch der erwartete schnelle Durchbruch zu Ruhm und Erfolg und den erwarteten Hauptrollen mit traumhaft hohen Gagen blieb aus.
     Woran lag es? Die Fotografen drucksten herum, wenn Petra den Grund für die Ablehnungen erfahren wollte und redeten um den heißen Brei herum: „Sie haben die prächtigsten Federn, Gnädigste, wunderschöne gelbe Augen, einen sinnlichen Schnabel, aber irgendetwas stört die Harmonie …“
     Schließlich rückte ein wenig feinfühliger Produzent mit der Wahrheit heraus: „Alle Aufnahmen zeigen: Sie gehen krumm. Sie haben eine schiefe Körperhaltung. So können wir Sie unmöglich vor die Kamera lassen. Das ist ja, als ob eine Königin jahrelang Kohlensäcke geschleppt hätte. Tun Sie was dagegen, dann sehen wir weiter.“
     Petra ging betrübt nach Hause. Sie haderte mit ihrem Schicksal und gab ihren Eltern und Vorfahren die Schuld, deren  Fronarbeit durch Generationen dazu beigetragen hatte, auch Petras Rückgrat zu verkrümmen.
     Weit und breit gab es weder ein Fitnesszentrum noch eine Gymnastikschule für Hühner, also musste sich Petra selber helfen. Sie legte sich Steine auf ihr hübsches Köpfchen und zwang sich so, täglich viele Stunden gerade zu stehen. Anschließend nervte sie Freunde, Bekannte und Verwandte mit immer derselben Frage: „Hat sich meine Körperhaltung schon verbessert?“ Sie hatte sich mitnichten verbessert. Sowie Petra die Steine vom Kopf entfernte, nahm sie wieder die gleiche krumme Haltung ein. Dafür bahnte sich neues Unheil an. Auf dem Kopf, dort wo die Steine gelegen hatten, lichteten sich die Federn. Eine kahlköpfige Diva – unvorstellbar. Petra war todunglücklich, aber das  Schlimmste stand ihr noch bevor. In ihrer Siegesgewissheit, bald eine berühmte und von allen bewunderte Diva zu werden, hatte sich Petra bei Fotoshooting-Agenturen hoch verschuldet. Nun gingen Gerichtsvollzieher und Gläubiger bei ihr ein und aus. Bei Petra, die nicht einmal Eier zu legen gelernt hatte, war nichts zu holen – außer Federn. Blaue leuchtende Federn, vor allem die langen Schwanzfedern,  waren begehrt in der Hutbranche. Es dauerte nicht lange, da gab Petra ein mehr als klägliches Bild ab. Schon wagte sie nicht mehr in den Spiegel zu schauen. Der Traum vom Filmstar war ausgeträumt. Niemand half ihr, niemand stand ihr seelisch bei, sondern alle sagten hämisch: „Hochmut kommt vor dem Fall“ oder „Übermut tut selten gut“. Als Petra auch noch ein Gespräch der Hofbesitzer belauschte, in dem der Satz fiel: „Die ist reif für den Suppentopf“, raffte Petra nachts ihre Siebensachen zusammen und floh in eine gottverlassene Gegend im Großen Moor, wo sie niemand kannte und sie ein neues Leben beginnen konnte. Die Federn wuchsen nach, aber der ständige Kummer hatte sie grau werden lassen. Petra war es zufrieden, denn in der Einsamkeit, in der sie jetzt lebte, hatte sowieso noch niemand etwas von Film und Fernsehen, Kameras und Fotoshootings gehört. Aber dafür konnte Petra sorglos in den Tag hinein leben und wurde nicht  von Gerichtsvollziehern und Gläubigern verfolgt. Was hätten sie auch bei Petra pfänden sollen außer ihrem glücklichen Gackern?
 


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