Rafaela Knoke

Feuer

Lucie war froh, dass sie das nieseliege kalte Novemberwetter hinter sich gelassen hatte. Sie setzte sich auf ihrem Lieblingsplatz vor den Kamin. Das Feuer verbreitete eine wohlige Wärme. Sie beobachtete die Flammen, die ein Farbenspiel von Rot, Bläulich, Orange und hellem Gelb boten. Sie züngelten hoch, schienen einander zu umarmen, einander eng zu umschlingen, sich zu necken und dann wieder, jede für sich, weiter zu brennen.  „Wie menschliche Liebespaare“, dachte Lucie. Sie erinnerte sich an ihre erste Liebe. Es war Sommer. Oma hatte sie eingeladen mit ihr die Sommerferien an der Ostsee zu verbringen. Sie hatte ihr Abitur mit 1,5 abgeschlossen  und freute sich darauf im Herbst mit dem Lehramtsstudium zu beginnen.  Der Ostseestrand von Grömitz lag im gleißenden Sonnenlicht. Lucie stieg aus den ruhigen Wellen. Die Abkühlung hatte gut getan. Da die Sonne sie blendete, sah sie den Ball zu spät auf sich zu fliegen und konnte nicht mehr ausweichen. Er traf sie an der Schulter. Der Schreck war größer als der Schmerz. Ein junger Franzose lief auf sie zu und überschüttete sie mit einem bedauernden Wortschwall. Sie verstand nur die Hälfte, da er sehr schnell sprach, etwas verschluckte  und auch einen seltsamen Dialekt sprach. Erst als er ihren verständnislosen Gesichtsausdruck bemerkte, wechselte er ins Deutsche. Mit einem bezauberten Akzent entschuldigte er sich mehrmals. Man kam ins Plaudern und um seine Entschuldigung zu unterstreichen, lud er sie auf einen Milchshake ins Strandcafe ein. So erfuhr sie, dass er Paul Pinot hieß, aus Bordeaux kam, in Hamburg eine kaufmännische Ausbildung absolvierte, um später in Deutschland eine Filiale des väterlichen Weinhandels aufzubauen. Er war sehr fröhlich und Lucie mochte ihn sofort. Seit dieser ersten Begegnung verbrachte sie sehr viel Zeit mit Paul. Er hatte ihr Herz im Sturm erobert und schon bald dachte sie nur noch an ihn, auch wenn er nicht bei ihr war. Sie sehnte sich nach seinem frohen Lachen, nach seinen starken Armen, die sie liebevoll umfingen und nach seinem Mund, der sie so leidenschaftlich küsste. Und obwohl er es ihr nie direkt gesagt hatte, hatte sie sich doch immer von ihm geliebt gefühlt. Doch vielleicht war es auch nur ein Wunschtraum gewesen. Vielleicht hatte er nur mit ihren Gefühlen gespielt und sich heimlich über sie lustig gemacht. Denn als nach zwei Wochen seine Ferien vorbei waren, hatte sie nie mehr etwas von ihm gehört. Sie hatte ihm mehrmals an seine Hamburger Adresse geschrieben, aber die Briefe blieben unbeantwortet. Sogar besuchen wollte sie ihn, heimlich. Aber sie fürchtete sich lächerlich zu machen. Sie fühlte sich verletzt und doch hoffte sie, ihn wiederzusehen, für immer mit ihm zusammen zu bleiben. Aber Paul verschwandt aus ihrem Leben so schnell, wie er gekommen war. So hatten die Erinnerungen an ihn immer einen bitteren Nachgeschmack. Sie war froh, als sie drei Jahre später Thomas kennen lernte. Zwar hatte er nie in ihr dieses Feuer entfacht, wie damals Paul, aber er liebte sie aufrichtig. Sie konnte sich immer auf ihn verlassen. Er las ihr jeden Wunsch von den Augen ab und mit der Zeit liebte auch sie ihn. Nicht so lodernd, verzehrend, sondern ruhig und innig.  Er war der feste Pol in ihrem Leben. Sie hatten nach knapp zwei Jahren geheiratet und die beiden Söhne Torben und Nils waren die Krönung ihrer Liebe. Die beiden Jungen waren ihr größtes Glück und schweißte sie noch enger zusammen. Aber auch als Torben einen tödlichen Skiunfall erlitt, hielt die Liebe und wurde noch tiefer. Auch als einige Jahre später eine vergessene Kerze am Adventskranz ihre gesamte Wohnung ruinierte und das Feuer alle Bilder und Gegenstände, die ihnen von Torben geblieben waren, zerstörte, ja als ihr ganzes bisheriges gemeinsames Leben zu einem Ascheberg verkohlt war, selbst da war es die ruhige Liebe zwischen Lucie und Thomas, die ihnen Kraft für einen Neuanfang gab. Sie bauten ein neues Zuhause und ihre Liebe wurde wieder auf eine harte Probe gestellt. Die Baufirma ging Pleite und es gab riesige finanzielle Verluste. Man wohnte beengt in einer Notunterkunft. Es gab viel Streit, denn die Nerven lagen blank. Aber das ruhige und stetig brennende Feuer ihrer Liebe überstand auch dieses. Selbst auch jetzt, da Thomas schon drei Jahre tot war, hatte Lucie noch ein ganz warmes Gefühl im Herzen, wenn sie an ihn dachte.

Das Feuer im Kamin flackerte munter weiter. Die Leiterin des Altenheims schob einen Rollstuhl samt einem gepflegten, alten Herrn mit munteren blauen Augen in den Aufenthaltsraum. Lucie zweifelte an ihrem Verstand, aber sie erkannte sofort, wer da in dem Rollstuhl saß. Auch nach 60 Jahren. „Ich darf Ihnen einen neuen Mitbewohner vorstellen. Herr Paul Pinot aus Hamburg.“
Sein Blick blieb kurz auf ihrem Gesicht haften. Ob auch er sie erkannte? Wohl kaum, aber sie nahm sich vor herauszubekommen, warum er sich nie gemeldet hatte. Hoffentlich war er nicht so dement, dass er sich nicht mehr erinnern konnte. Aber selbst wenn er noch seinen Verstand beieinander hatte, würde er sich wohl kaum mehr an sie erinnern. Es waren schließlich nur 2 Wochen Ferien gewesen. Ein Flirt, würde man heute sagen. Wer weiß wie viele Flirts er damals hatte. Lucie begrub ihr Vorhaben gleich wieder. Sie würde sich nichts anmerken lassen, alles andere wäre lächerlich.
Es ergab sich, dass Paul und Lucie am gleichen Tisch die Mahlzeiten einnahmen und man plauderten einige belanglose Worte miteinander Bald lernte Lucie seine Tochter kennen, die ihn regelmäßig besuchte. So ergab es sich, dass Paul, seine Tochter und Lucie gemeinsam vor dem Kamin saßen und die Tochter vom letzten Ostseeurlaub erzählte. Ihr Vater hatte noch einmal nach Grömitz gewollt. Hier sei er in seiner Jugend einmal sehr glücklich gewesen. Er hatte dort eine junge Frau kennengelernt, in die er sich unsterblich verliebt hatte. Doch kaum das die Ferien zu Ende waren, ereilte ihn ein Telegramm mit der Nachricht vom plötzlichen Tod des Vaters. Er musste sofort nach Bordeaux zurückkehren um mit seinem älteren Bruder gemeinsam die Firma zu führen. Mutter und Bruder erwarteten von ihm, dass er die Tochter eines Geschäftspartners heiratete, des Geldes wegen. Die Ehe war schnell gescheitert. Es gab Streit mit dem Bruder und er verließ Bordeaux, um nach Hamburg zurückzukehren. Er suchte nach seiner großen Liebe, aber leider erfolglos.  Es waren inzwischen mehr als 5 Jahre vergangen und sie lebte wahrscheinlich mit einem anderen Mann und anderem Namen glücklich ohne ihn. Aber bei der Suche hatte er seine spätere Ehefrau kennengelernt, mit der er 50 Jahre glücklich verheiratet war. 

Lucie musste lächeln und dachte ohne Bitterkeit: „Wie das Leben so spielt.“ Kurze Zeit war sie versucht, von ihrem Sommerurlaub in Grömitz vor 60 Jahren zu erzählen. Aber dann beschloss sie, die Vergangenheit ruhen zu lassen, für heute jedenfalls.                                        .             

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 26.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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