Diethelm Reiner Kaminski

Probleme eines Elefanten




"Das wollte ich nicht. Tut mir leid.“ Wie oft hatte Liesel das schon von ihrem Mann gehört. Da war es aber schon zu spät. Entweder hatte er mal wieder ein Glas Wein umgestoßen und die weiße Tischdecke rot eingefärbt oder einen Teller aus ihrem besten Service fallen lassen. „Wie kann ein einzelner Mensch so viel Schaden anrichten“, schimpfte Liesel. „Nimm dir ein Beispiel an mir. Ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern, wann ich das letzte Mal etwas zerbrochen habe.“ Josef hingegen war und blieb ein Stoffel, ein Tollpatsch und Unglücksrabe, der am helllichten Tage gegen Schränke lief, Soßen vergoss und die Schalter am Herd verwechselte. „Wie habe ich das nur verdient“, stöhnte Liesel, „wenn ich könnte, würde ich dich sofort gegen jemand anderen eintauschen, aber welche Frau möchte schon einen solchen Pechvogel zum Mann. Die müsste ja verrückt sein.“
„Aber es sind doch nur Scherben. Ein Glas oder Teller lässt sich ersetzen. Mach doch nicht gleich einen solchen Aufstand wegen eines kleinen Missgeschicks. Hauptsache, wir verstehen uns.“
„Aber nicht in diesem Punkt“, gab Liesel nicht nach. „Du bist auf dem besten Wege, unseren Hausstand zu ruinieren. Kannst du denn nicht besser aufpassen?“
Die Gardinenpredigten halfen wenig, auch nicht der gemeinsame Gang zum Augenarzt. Josefs Sehschärfe war exzellent. Er brauchte weder eine Brille für Nah- noch für Fernsicht.
„Dann gibt es nur eine Erklärung“, zog Liesel ihre Schlussfolgerung. „Du bist verliebt. Deshalb tappst du so blind und verträumt durch die Gegend. Aber sei´s drum. Sobald deine Tussy mitkriegt, was für einen Elefanten im Porzellanladen sie sich da an Land gezogen hat, zeigt sie dir, wo die Tür ist. Aber ob meine dann noch für dich geöffnet ist, möchte ich sehr bezweifeln.“
Josef schwieg und brachte sich vorsichtig aus der Gefahrenzone. Schon deswegen, weil Liesel den Nagel auf den Kopf getroffen hatte. Weibliches Gespür, Instinkt, wie immer man es nennen möchte. Josef hatte tatsächlich eine Geliebte, die er seit über einem Jahr regelmäßig in ihrer Zweizimmerwohnung besuchte. Sie war vollgestellt mit Porzellanfigürchen, die sie sammelte und liebevoll pflegte. Und bisher hatte Josef noch kein einziges Stück zerbrochen, obwohl es, wenn sie beide zusammen waren, manchmal ganz schön hoch herging.
Josef war tatsächlich hochgradig verliebt. Sobald er sich von Miranda getrennt hatte, sehnte er sich auch schon nach ihr und lief träumend durch die Welt.
Liesels Vorhaltungen nahmen kein Ende, sondern mit wachsender Eifersucht sogar noch an Intensität zu. Bis Josef sagte: „Es reicht. Wenn dir ein paar lumpige Teller und Gläser mehr bedeuten als das Wohl deines Mannes, dann habe ich hier nichts mehr verloren. Ich ziehe aus.“
Kaum aber war Josef bei Miranda eingezogen, begannen sich zu ihrem Entsetzen die Reihen der Porzellanfiguren zu lichten, weil er pausenlos an Liesel denken musste, die er so schnöde verlassen hatte und die er schon nach kurzer Zeit schmerzlich vermisste. Einmal stolperte Josef gegen eine Gruppe winziger Porzellanelefanten, die auf die Fußbodenfliesen fielen und in tausend Stücke zersplitterten.
„Du bist aber auch ein Elefant“, entfuhr es Miranda, „hast du denn keine Augen im Kopf?“
„Das wollte ich nicht. Es tut mir leid“, sagte Josef, als er noch am selben Tag reumütig vor Liesel stand.
„Und was willst du jetzt?“, fragte Liesel streng.
„Mir mehr Mühe geben als bisher“, sagte Josef.
„Dann komm rein. Ich will es noch mal mit dir versuchen. Aber nach dem dritten zerbrochenen Teller ist endgültig Schluss.“
 





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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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