Tatjana Willig

Aprilscherz

Es gelang mir selten, einen Spaß zu machen oder spontan zu scherzen, nicht dass ich gar keinen Sinn für Humor hätte -  ganz im Gegenteil, mein Humor hat einfach einen anderen Charakter: witzige Sprüche und leichte Wortspiele kommen  nicht aus mir heraus, und treffende Antworten fallen mir erst spät ein. Meine Gabe zum Humor befindet sich eher im Bereich der Ironie, wenn nicht des Sarkastischen, was von vielen unverschuldetermaßen als Ausdruck meines bösartigen Charakters interpretiert wird, was zweifellos ein Irrtum ist, weil diese Fähigkeit, in erster Linie das Groteske oder Maßlose im Leben zu sehen, meine angeborene Eigenschaft ist, so wie die Augenfarbe oder Körpergröße. Aber einmal gelang mir ein Streich, und gerade deswegen behielt ich diese Episode aus meiner Kindheit in Erinnerung.
 
Mein Onkel war Kriegsinvalide, er hatte nur ein Bein und ein Invalidenauto, das für ihn mit Handbremsen ausgestattet war. Dieses Auto war ein mehr als bescheidenes Fahrzeug, aber zu damaliger Zeit war ein Personenwagen eher ein Luxus als nur ein Verkehrsmittel;  jedoch der Hauptvorzug dieses Autos bestand darin, dass es das Einzige im ganzen Viertel war, was unbestritten seinen Besitzer zu einer auserwählten  und außergewöhnlichen Person machte.
Und das war mein Onkel wirklich: er war, wie man so sagt, ein imposanter Mann -  Direktor eines Werkes,  der Ehemann meiner grausamen Tante und der Liebhaber meiner unglückseligen Mutter.
 
Ihre „vielbändige“ Liebesbeziehung dauerte fast ein Jahrzehnt und begann bald nachdem meine Mutter verwitwete. Sie waren noch nicht so alt; aber ihr Koitus, unsichtbar, dennoch wahrnehmbar,  kam mir unnatürlich und abstoßend vor.
Nach Hause kommend knallte ich laut die Tür und zögerte in der Diele, damit sie genug Zeit hatten, voneinander loszukommen, dann ging ich schweigend in mein Zimmer, und  dies war die einzige Form des Protestes, die ich mir leisten konnte. Überflüssig zu sagen, dass dieser Stand der Dinge wenig zur Familienharmonie beitrug, und dadurch, dass wir alle in einem Haus wohnten, wurde die Sache noch komplizierter.
 
Es scheint mir, dass es keine weitere Kränkung oder Erniedrigung gäbe, die ich als Kind  und Weise nicht von meiner  leiblichen Tante erlitten hätte: sie kritisierte allen Ernstes meine Kleider, meine Schulnoten fand sie minderwertig, und gegen die Form meiner Nase  hatte sie auch viel einzuwenden; es gab keinen Zug an mir, dass nicht drittklassig und nicht zu beanstanden wäre. Sie war das Schreckengespenst meiner Kindheit.
Es ist nicht schwer zu erraten, dass auf mich sich ihre hasserfüllte Eifersucht zu meiner Mutter konzentrierte; man kann nur staunen, mit welcher unerbittlichen Konsequenz sie dieses Gefühl ihr ganzes langes  böses Leben beibehielt.
 
Die Tochter  meiner Tante galt im Gegensatz zu mir als in jeder Hinsicht gelungen.  Das Gedächtnis serviert mir dienstfertig das Bild von einem selbstgefälligen Mädchen mit einem lakaienhaften  Haarschnitt, in dem man noch ein dickes Kind erkennt. Sie trug sogar zu Hause ihr Pioniertuch und bei den Neujahrfeiern demonstrierte sie immer die politische Loyalität ihrer Mutter, die zur kommunistischen Nomenklatur gehörte: sie trug Trachtenkleider der befreundeten Sowjetrepubliken (ich war immer als eine unbedeutende und politisch neutrale Schneeflocke verkleidet). Sie war auf Triumph vorprogrammiert, ihre Talentlosigkeit  und Fadheit kompensierte sie erfolgreich durch  Aplomb und Ehrgeiz, und wer weiß, wie viel Schaden sie meiner Psyche noch zufügen  könnte, wenn das Schicksal uns nicht gänzlich auseinandergebracht hätte. Ich konnte mich mit der Zeit auch vom Druck des Hasses ihrer Mutter befreien, aber ich glaube, dass das Böse, das von ihr in die Welt gesetzt wurde, immer noch nicht geringer geworden ist, sondern sich in die Laster ihrer degenerierten  Nachkommenschaft transformierte .
 
Aber der Onkel war ein gutherziger und sanftmütiger Mensch, gewissermaßen waren wir Komplizen, was mir erlaubte, einen etwas familiären Ton anzuschlagen. An jenem ersten April schlich er in aller Frühe in Mutters Zimmer.  Einer plötzlichen Idee folgend  ließ ich  flüchtig fallen: „Hast du schon gehört, dass die Nachbarn eine Limousine gekauft hatten?“  - ich traf genau den Kern, und sein Gesicht spiegelte das ganze Spektrum von negativen Emotionen wieder. Aber allmählich glättete sich sein Gesicht und gütige Runzeln falteten sich zuerst  in ein Lächeln der Erleichterung von dem Gedanken, dass es nur ein Aprilscherz sei, dann aber lachte er befreiend und für die Möglichkeit dankbar, sich selbst von der Seite in kritischem Licht sehen zu können.
 
Zu dieser Zeit trat seine Beziehung zu meiner Mutter in die abschließende Phase, der Onkel schaffte es nicht, seine Frau zu verlassen, und starb sehr bald wegen des kranken Herzens, und die Agonie dieser dem Untergang geweihten Liebe war zerstörend für meine Mutter:  sie wurde schnell zu Trinkerin, was meine Kindheit und Jugend überschattete.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.12.2010. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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