Ute Abele

Zeit für Kafka





Es ist nun wohl etwa 25 oder 30 Jahren her... ich weiß nicht mehr welches Jubiläum es war,
irgendein runder Geburtstag oder vielleicht auch ein Todestag - da blickte geheimnisvoll
verschlossen aus den Schaufenstern fast jeder Buchhandlung das überdimensionale Bild
des Franz Kafka - darunter stand in riesigen Lettern sein Name. Dem Namen nach war er mir
natürlich bekannt, doch ich wusste gar nichts weiter über ihn und hatte noch keine Zeile
von ihm gelesen.


Mein täglicher Weg führte an zwei dieser Buchhandlungen vorbei und jedes Mal ärgerte
ich mich, wusste aber nicht so genau weshalb. Man kann doch durchaus leben und sterben
ohne etwas von einem der vielen berühmten Literaten dieser Welt gelesen zu haben! Das
traf auf so einige zu, aber nicht auf Kafka. Dieses Bild von ihm, dieser tiefe dunkle Blick,
der wie schutzsuchend wirkte, und auf eine bestimmte Weise um alles Leid der Welt wissend,
wühlte mich auf. Erst wollte ich nichts davon wissen. Ich hatte zu der Zeit gerade gar keine
Lust überhaupt zu lesen denn gerade hatte ich erst so vieles andere gelesen und wollte eine
Pause einlegen... erst recht wollte ich nicht Kafka lesen, denn ich ahnte schon etwas.
Jedesmal, wenn der Bus an den besagten Buchhandlungen vorüberfuhr, blickte ich kindischerweise
zur anderen Seite, um nicht in diese Augen sehen zu müssen, die mich seltsamerweise nicht
in Ruhe ließen und magisch anzogen.

Es half nichts. Ich ärgerte mich, und noch weniger als zum Lesen hatte ich Lust mich zu ärgern.
Es war Zeit für Kafka. Also stapfte ich trotzig in die städtische Bücherei und holte mir alles,
was sie gerade von Kafka im Regal stehen hatten. Ich brauchte nicht viel zu lesen, um ihn
sofort abgrundtief zu lieben und um zu wissen, was in ihm mich da berührt hatte. Ich erfühlte
diesen Menschen und fand ihn in mir. Ich verstand es nicht so genau, aber mein Herz war seins.  

Als ich viele Jahre später in Géza von Cziffras wunderbarem Anekdotenbuch las, was Milena -
jene Milena, an die Kafka die berühmten Liebesbriefe schrieb - über ihren geliebten Kafka
nach seinem Ableben schrieb, da war es, als läse ich meine eigenen nie gedachten, nie
geschriebenen, aber tief gefühlten Worte über ihn...


Meine Bilder zur Geschichte:

http://amvita.wordpress.com/2010/12/21/milena-und-kafka/



© Ute Abele


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