Eric Julius Bohli

Variationen: Der Alte


 

 

Der alte Mann sass versunken auf der Parkbank, der Mantel hatte schon bessere Jahre gesehen und war eigentlich für die Jahreszeit zu dünn. Trotzdem schien er den frischen Wind, der ihm um den geröteten Kopf blies, zu geniessen. Mitten in der Stadt ganz für sich allein, eins geworden mit der Natur, war er weit weg. Auf dem ganzen Platz alle andern Bänke leer. Wem würde es auch einfallen, sich diesen Temperaturen auszusetzen. Passanten gingen ihren Geschäften nach, beachteten ihn nicht.

 

Was mochte ihm durch den Kopf gehen? Hatte er Familie? Freunde? Wie wohnte er? Kam er mit seiner Rente klar? Oder bezog er Sozialhilfe? Sollte ich mich zu ihm setzen und ein Gespräch beginnen?

 

Aber was, wenn ich ihn dann, aus Mitleid oder Sympathie, gleich zum Mittagessen mitnehmen würde? Ein Glas Roten würde er sicher nicht abschlagen. Und nachher eine Zigarre. Und was, wenn wir ihn dann nicht mehr los werden? Er immer wieder vor unserer Haustüre stehen würde? Obdachlos.

 

Also lasse ich es bleiben.

 

 

 

Der Alte

 

Versunken sass er da

wurde nicht beachtet

seine Seele weit weg

Erinnerungen trotzen auch dem kältesten Wind

 

Ich seh ihn bei uns

am blütenweiss gedeckten Tisch

glänzende Äuglein

rote Bäcklein unter dem wirren Bart

 

Um 5 geht er, wankenden Schrittes,

nach Hause sagt er, aber nicht wo.

Danke, es war schön, sehr schön.

Sehe ich feuchte Augen?

 

Am nächsten Morgen

schleicht er ums Haus

winke ihn herein

zum heissen Kaffee

 

Wir gewöhnen uns daran

langsam taut er auf

wir erfahren mehr

bis er nie mehr kommt.

 

 

Der Alte

 

Darf ich mich zu ihnen setzen?

Nickt kurz und knapp, nicht erfreut,

Schweigen.

Frisch, nicht?

Schweigen, Blick geradeaus.

 

Schon wieder ein Jahr vorbei

Hmm

Ging verdammt schnell

Schweigen.

Wirklich stramme Bise,

morgen wohl Schnee?

Schweigen.

 

Ich brauche etwas Warmes,

dort im Café,

kommen Sie mit?

Ich lade sie ein.

Befremdeter Blick,

Kopfschütteln,

Schweigen.

 

Ich erhebe mich

gehe weiter

er scheint erleichtert

endlich geht der Schwätzer.

 

 

1.1.2011

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