Helmut Wurm

Sokrates und seine Reflexionen bei einer Lehrerkonferenz

 

 

Sokrates nimmt an einer Lehrerkonferenz teil. Es wird hier aus Datenschutzgründen nicht mitgeteilt, wo und an welcher Schule diese Konferenz stattfindet, welches Thema sie hat und welche Lehrer im Einzelnen Beiträge liefern. Das ist auch insofern nicht nötig, weil sich diese Art von Konferenzen bereits mehrfach abgespielt haben und sich leider vermutlich auch künftig mehrfach weiter abspielen werden.

 

Die Konferenz ist ab 14.15 Uhr angesetzt, also nach der Mittagspause. Die Lehrer haben damit eine volle Stunde Mittagspause. Der Schulleiter hat in seiner Einladung mitgeteilt, dass diese Konferenz vermutlich etwas länger dauern werde und er deswegen pünktlich um 14.15 Uhr beginnen möchte.

 

Es hat aber schon im Vorfeld Diskussionen darüber gegeben, den Konferenzbeginn auf 15 Uhr hinauszuschieben, denn ein Lehrer, so meinte die Mehrheit, müsse nach dem anstrengenden Unterricht morgens mindestens 2 Stunden Pause haben, um ordentlich essen zu können, am besten in einem anerkannten Gasthaus oder in einer Pizzeria oder einem Chinarestaurant. Ein Mittagessen in der Schulküche zusammen mit Schülern sei besser zu vermeiden, weil unter der Lehrerwürde, und außerdem sei das Essen, man müsse bekanntlich ja sparen, auch nicht sehr schmackhaft. Gänzlich unzumutbar war für viele Lehrer ein „Nur-Brot-Mittagessen“ aus der Hand im Lehrerzimmer. Das sei man nicht gewohnt und sei auch ungesund. Mittags müsse man warm essen. Man sei ja schließlich kein Pfadfinder oder Migrant, der mit einfachen Mahl-zeiten auszukommen gelernt habe. Und nur nach einem kräftigen Essen sei man auch in der Lage, an dieser sicher längeren und anstrengenden Konferenz aufmerksam und aktiv teilzu-nehmen.

 

Einige Lehrer haben schon durchblicken lassen, dass sie später kommen werden, weil das gewählte Restaurant etwas weiter von der Schule entfernt sei, weil es Verkehrsstau geben könne und weil die Bedienung auch nur aus Menschen bestünde, die bei vielen Gästen nicht  zaubern könnten.

 

Nur wenige Lehrer sind im Lehrerzimmer sitzen geblieben, haben ihre mitgebrachten belegten Brote ausgepackt und sich dazu in der Schulküche einen Kaffee gemacht bzw. bestellt. Einige Lehrer haben sich auch zusammen mit Schülern in die Schulküche gesetzt und dort gegessen.

 

Um 14.30 Uhr sitzt tatsächlich nur ein Teil der Lehrer pünktlich im Lehrerzimmer. Ein Drittel fehlt noch. Der Schulleiter kann die Konferenz also nicht pünktliche eröffnen und wartet. Mit unterschiedler Verspätung kommen allmählich die Restlichen ins Lehrerzimmer. Sie führen als Gründe Verkehrsstau und längere Wartezeiten auf das Essen im Restaurant an.

 

Der ärgerliche Schulleiter eröffnet schließlich um 15 Uhr die Konferenz.

 

Sokrates (sinniert vor sich hin): Da fällt mir aber einiges zu diesem Verhalten der Lehrer ein.

 

 - Die meisten Menschen, die arbeiten, haben nicht fast zwei Stunden Mittagspause, nicht einmal eine ganze Stunde. Die Lehrer haben keinen Anspruch auf eine überdurchschnittlich lange Mittagspause. Eine einstündige Mittagspause, in Ruhe im Lehrerzimmer verbracht, genügt normalerweise für eine ausreichende Erholung für eine nachfolgende Konferenz, zumal Konferenzen meistens weniger anstrengend als Unterricht sind.

 

 - Man muss nicht unbedingt eine warme Mahlzeit zu sich nehmen, wenn man nachmittags weiter arbeiten soll. Es gibt auch kräftigende belegte Brote mit einem Ei, einem Stück Käse oder mit Schinken und dazu ein warmes Getränk. Was machen denn die vielen Arbeiter in den Betrieben? Die haben oft nur eine halbe oder dreiviertel Stunde Mittagspause und müssen teilweise schwer weiter arbeiten. Die hier geäußerten Ansprüche stammen offensichtlich aus Lehrer-Dünkel oder Lehrer-Verwöhntheit.

 

 - Und wenn die Schulküche Essen für Schuler bereitstellt, können diese Gerichte ebenfalls den Lehrern zugemutet werden. Es gibt keinen Anspruch für Lehrer auf ein schmackhafteres Essen als für Schüler in den Mittagspausen und vor Konferenzen.

 

 - Ich habe erfahren, dass sich eine Reihe von Lehrern dieser Schule bei Ganztagsunterricht gegen eine Verlängerung der Schüler-Mittagspause auf zwei Stunden ausgesprochen haben, weil das dann den Unterricht zu weit in den Nachmittag hinein schieben würde und man dadurch zu spät nach Hause käme. Bei sich selber wollen sie diesen Anspruch aber nicht gelten lassen.

 

 - Und ich weiß, dass einige dieser Lehrer wiederholt Schüler getadelt haben, wenn diese zu spät nach der Mittagspause in den Unterricht/zu den Kursen gekommen sind. Als Begründung

wurde angegeben, dass die Schulküche für die Schüler ein Essen bereit stelle und die Schüler deswegen nicht in die Stadt zu McDonald usw. gehen müssten. Dieses Schulessen sei zwar einfach, aber zur Kräftigung ausreichend.

 

Viele Lehrer messen bei den Schülern und bei sich nicht nach demselben Maß.

 

Der Schulleiter eröffnet die Konferenz und bittet um aufmerksame Mitarbeit, damit man zügig vorankomme, und um eine sachliche Diskussion, denn bei diesem heutigen Thema gäbe es verschiedene Ansichten und Erfahrungen. Man müsse sich aber auf ein gemeinsames Vorgehen einigen.

 

Aber es zeigt sich, dass viele Lehrer noch nicht in der Lage oder bereit sind, um aufmerksam

in der beginnenden Konferenz zuzuhören. Sie möchten noch den Nachbarn erzählen, was sie gegessen haben bzw. möchten erfahren, was die anderen gegessen haben, sie möchten noch ein paar lustige Bemerkungen mit den Nachbarn austauschen... Deshalb gibt es einige kleine Gruppen, die leise reden oder tuscheln.

 

Es gibt weiterhin Lehrer, die das Ganze nicht interessiert und die deshalb leere Schreibblätter vor sich liegen haben und gelangweilt etwas zeichnen oder schreiben. Andere betrachten diese

Konferenz als Zeitverlust, die sie von ihren Korrekturen am Nachmittag abhält, und haben Korrekturen aus den Taschen geholt, diese etwas verdeckt vor sich hingelegt und korrigieren.

 

Der Schulleiter bemerkt das zwar und versucht, mit etwas erhobener Stimme und Sprechen in Richtung dieser tuschelnden oder mit anderen Dingen beschäftigten Lehrer diese zum Zuhören zu bringen, aber die Betreffenden tuscheln nur etwas leiser oder zeichnen bzw. korrigieren etwas unauffälliger weiter. Schließlich muss der Schulleiter bitten, dass alle doch zuhören. Ein Lehrer fragt, ob man bald mal eine kleine Pause machen könne, länger als 45 Minuten könne doch niemand konzentriert zuhören. Der Schulleiter stellt das in Aussicht und bittet nochmals, bis dahin aufmerksam zuzuhören, er müsse die rechtlichen Rahmenbedingungen des heutigen Themas genauer darstellen, damit man nachher eine richtige Konferenz-Entscheidung treffen könne.

 

Sokrates (sinniert vor sich hin): Das sind nun dieselben Lehrer, die morgens im Unterricht ihre Schüler ermahnen aufzupassen, die ärgerlich auf Getuschel der Schüler im Unterricht reagieren, die Tadel aussprechen, wenn sie Schüler erwischen, die heimlich Hausaufgaben für andere Fächer machen...

 

Gut, dass Schüler diese Lehrer nicht in dieser Konferenz beobachten können und erleben, wie diese sich kein bisschen besser verhalten als sie... Ob man öfter Schülervertreter zu solchen Konferenzen einladen sollte? Vielleicht würde dann mancher morgens strenge Lehrer bloß gestellt und müsste sich in Konferenzen mehr zusammen nehmen.

 

Endlich kommt die versprochene Pause.

 

Nachdem der Schulleiter den rechtlichen Rahmen umrissen hat, beginnt die Diskussion über eine schulspezifische Umsetzung des Themas in dieser Schule. Der Schulleiter bittet um Wortmeldungen. Er hat eine Sprecher-Liste vor sich liegen und versucht, die darauf notierte Reihenfolge der Wortmeldungen abzuarbeiten. Aber einigen Lehrern geht es zu langsam, bis sie an der Reihe sind, oder sie möchten sofort auf Beiträge anderer antworten. Sie beginnen erst vereinzelt, dann immer häufiger, einfach dazwischen zu reden. Der langsam unruhig werdende Schulleiter muss zunehmend auf die Reihenfolge der Wortmeldungen hinweisen und bitten, nicht dazwischen zu rufen. Aber jeweils nur für kurze Zeit kann er diese demokratische Unhöflichkeit stoppen, dann beginnt sie wieder um sich zu greifen.

 

Einige Lehrer begründen ihre Zwischenrufe damit, dass man direkt auf eine geäußerte Meinung antworten, diese ergänzen oder diese zurecht rücken müsse. Das sei notwendig, denn man könne doch Fehler nicht tolerieren und viele Kollegen hätten sonst vergessen, was vorher für Irrtümer oder nur Teilwahrheiten gesagt worden seien. Eine Sprecherliste sei zwar demo-kratisch, aber oft zu starr. Man benötige oft lebhafte Diskussionen. Die Politiker im Fernsehen würden ja bei ihren Talkshows auch ständig und wenig vorbildhaft dazwischen reden

 

Schließlich schaltet der immer unsicher werdende Schulleiter eine weitere Pause ein, um die Gemüter zu beruhigen.

 

Sokrates (sinniert vor sich hin): Das sind nun dieselben Lehrer, die vormittags den Schülern bei Gesprächsrunden beibringen wollen, sich in der Reihenfolge der Wortmeldungen zu äußern,

die Dazwischenrufen kritisieren und die permanente Zwischenrufer für eine Zeit auch einfach vor die Tür weisen. In der Pädagogik nennt man das, den Schülern eine „Gesprächskultur“ für eine funktionierende Demokratie beibringen... Manche Lehrer haben aber selber keine solche Gesprächskultur, oft gerade diejenigen, die im Unterricht regelmäßig das Wort Demokratie und Gesprächskultur im Munde führen.

 

Nach der Pause beginnt die Diskussion von neuem. Endziel soll ein gemeinsamer Konferenz-beschluss zur Umsetzung der allgemeinen Vorgabe vor Ort sein. Aber die Diskussion wird nicht ruhiger, sondern noch heftiger geführt. Hatte man bisher nur dazwischen gerufen, so beginnen jetzt einige Lehrer, andere Kollegen mit ihnen nicht genehmen Meinungen persönlich heftig anzugreifen. Diese Angriffe werden langsam beleidigend und nehmen schließlich ein Niveau unterhalb der Gürtellinie an.

 

Besonders tun sich dabei 2 ehemalige Aktive der Studentenrevolution von 1968/69 hervor, mittlerweile zwar selber ältere gestandene Lehrer, aber die Taktik, die sie damals gelernt haben, praktizieren sie immer noch. Sie machen ihnen missliebige Kollegen vor Schülern und Eltern und eben auch in Konferenzen schlecht und greifen sie aggressiv an. Ihr Ziel ist, anders denkende Kollegen zumindest zu verunsichern, möglichst aber mundtot zu machen. Dafür sind ihnen viele Mittel recht, die ein echter Demokrat meiden würde. Ihr ausgeprägtes Selbstbe-wusstsein unterstützt dabei noch ihr Verhalten, in ihrer Umgebung Andersdenkende und andere Ziele als die ihren zu bekämpfen... Die Diskussion wird immer heftiger, die wirklich demokratisch und damit meinungstolerant eingestellten Kollegen beginnen sich zu wehren...

 

Schließlich greift der Schulleiter zur Notbremse und verkündet eine Pause, um die Diskussion hoffentlich zu versachlichen. Er wirkt sehr verunsichert.

 

Sokrates (sinniert vor sich hin): Diese 1968/69 revoltierenden Studenten, die dann Lehrer geworden sind, um die künftigen Generationen in ihrem Sinne zu beeinflussen, führen das Wort Demokratie zwar ständig im Mund, aber Demokratie ist für sie hauptsächlich nur eine Staatsform, um ihre eigenen Ideen und Ziele durchzusetzen. Von ihnen lernen die Schüler kaum, gute Demokraten zu werden, sondern nur anders Denkende zu bekämpfen. Ein Schul-leiter, der solche Kollegen in seiner Schule hat, muss ein führungsstarker, ebenfalls selbstbe-wusster und energischer Schulleiter sein, der sich gegenüber solchen Personen, die dominieren wollen, durchsetzen kann. Dieser Schulleier hier kann sich offensichtlich in seinem Kollegium prinzipiell nicht durchsetzen. Das hier ist nicht mein Gesprächs- und Diskussionsstil...

 

Damit steht er auf und geht leise aus dem Konferenzraum. Wie diese Konferenz ausgegangen und welcher Beschluss gefasst worden ist, kann deswegen nicht mitgeteilt werden.  

 

(Verfasst von discipulus socratis, der vor der Tür wartete und alles erzählt bekam)

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.01.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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"Schmetterlinge im Kopf und Bauch" ist mein holpriger lyrischer Erstversuch. Mit Sicherheit merkt man, dass es keine Lektorin gab, wie übrigens auch bei den anderen beiden Büchern nicht. Ungeordnet sind viele Gedichte, Gedankenansätze, Kurzgeschichten chaotisch vermengt veröffentlicht worden. Ich würde heute selbstkritisch sagen, ein Poet im Aufbruch. Im Selbstverlag gedruckt lagern noch einige Exemplare bei mir. Oft schau in ein wenig schmunzelnd in dieses Buch. Welche Lust am Schreiben von spontanen Gedanken ist zu spüren. Ich würde sagen, ein Chaot lässt grüßen.

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