Nicolai Rosemann

Verraten und verkauft

Brandenburg 1998
„Izzy, du bist der Nächste. Viel Glück“, verabschiedete sich Frank Fennig von seinem Söldner und öffnete die Tür. Izzy seufzte und schritt dann durch die Tür, die Frank hinter ihm schloss.
Am Ende des langen Saals, vor der Anklagebank, saß das Tribunal auf einem Podest und musterte den Angeklagten.
„Isidor Torrez vom Clan der Brujah. Treten Sie vor zur Verlesung der Anklage“, forderte der Vorsitzende des Tribunals. Izzy schritt langsam und andächtig vor und blieb an der Anklagebank stehen. Erst auf ein Nicken des Vorsitzenden hin setzte er sich.
„Isidor Torrez, die Anklage lautet auf Gefährdung der Maskerade. Zwei Mitglieder der heiligen Inquisition sind tot. Der Vorfall hat unangenehme Aufmerksamkeit auf die Gemeinde hier gelenkt. Rom ist alarmiert.“
„Ich handelte, falls Ihr euch erinnert, werter Vorsitzender, unter dem Schutz einer Epistel, die dieses Tribunal für Frank Fennig, meinen Auftraggeber, aufgestellt hatte. Die Beschaffung der Ware erwies sich leider als schwieriger als erwartet. Bei der Übergabe platzten dann die beiden Inquisitoren herein und begannen mit Silbermunition um sich zu feuern. Der Lieferant und sein Leibwächter vom Clan der Ravnos wurden getötet. Ich habe alles zu Protokoll gegeben und nichts weiter zu sagen“, verteidigte Izzy sich.
„Sie beziehen sich auf diese Epistel, Isidor Torrez?“ fragte der linke Beisitzer des Tribunals und zeigte eine Schriftrolle. Izzy erkannte das Siegel und nickte.
„Diese Epistel ist leider eine Fälschung aus sehr geschickter Hand. Ihr, mit eurer Erfahrung, hättet es bemerken müssen!“
„Ich führe Befehle aus. Wenn ich eine Epistel vom Tribunal und einen Auftrag erhalte, schließe ich daraus, dass jemand die Angelegenheit geprüft hat. Ich bin ein Mann der Tat. Sie alle drei wissen das zu gut!“ rief Izzy scharf.
„Mäßigen Sie sich, Isidor Torrez. Das Strafmaß wird sonst steigen.“
„Zur Hölle mit euch! Seit dreihundert Jahren spielt ihr euch zu den Herren auf und sprecht euer Recht. Ich frage mich nur was mit euch geschehen wird, wenn die wahren Herren unserer Gesellschaft aus dem Schatten zurückkehren! In Flammen werden sie euch aufgehen lassen für die Anmaßung, die ihr hier betreibt!“
Die Epistel fing in der Hand des Besitzers Feuer und brannte innerhalb von Sekunden lichterloh. Gelangweilt ließ der Beisitzer das Schriftstück in einen Aschenbecher fallen und wartete bis nur noch Reste übrig war.
„Verkündet das Urteil, Vorsitzender“, verlangte der andere Beisitzer.
„Isidor Torrez, erheben Sie sich für das Urteil des Tribunals.“ Izzy befolgte den Befehl, doch er bebte am ganzen Körper. Die Wachen, die stumm hinten im Raum gestanden hatten, spannten sich ebenfalls und griffen zu ihren Schwertern, sollte Izzy versuchen ein Mitglied des Tribunals anzugreifen.
„Isidor Torrez, wegen Gefährdung der Maskerade und der Gemeinschaft verurteilen wir Sie zu zehn Jahren in Isolation. Sie werden für die Dauer der Strafe aus dem Clan ausgeschlossen und der Zugang zum Elysium in jeder Gemeinschaft sei verwehrt. Wir raten das Urteil zu akzeptieren und sich sofort beim Sargmeister in der Krypta zu melden. So Kain will, werden Sie in zehn Jahren wieder vor dieses Tribunal treten und Ihre vollen Bürgerrechte zurückerhalten. Sollten Sie sich entscheiden die Strafe in Freiheit verbringen zu wollen, seien Sie sich bewusst, dass jeder Vampir in jeder Gemeinschaft auf der Welt sich selbst strafbar macht, gewähre er Euch Unterschlupf, Nahrung oder sonstige Hilfe. So lautet das Urteil des Tribunals in Kains Namen.“
 
Izzy verließ den Saal, vor dem bereits der nächste Angeklagte wartete. An seiner Seite waren zwei Großfürsten aus dem Clan der Toreador. Ein Freispruch war wohl zu erwarten in diesem Fall.
Frank wartete ebenfalls auf ihn. „Und?“
„Zehn Jahre Isolation. Begleite mich auf dem Weg nach unten, mein Freund“, bat Izzy. Langsam schritten sie zum Ausgang. Vor dem Hauptausgang führte eine kleine, beinahe unauffällige Holztür hinunter in die Krypta. Hier unten waren die Mischung aus Menschen und Vampiren beinahe gleich. Ein normaler Gerichtstag.
„Zehn Jahre sind ein Atemzug. Ich werde Nachforschungen anstellen. Vielleicht finde ich heraus wer uns an die Inquisition verraten hat“, erklärte Frank.
„Tu dir keinen Zwang an, Amigo. Selbst wenn ein Täter gefunden wird, meine Strafe werde ich bis zum letzten Tag absitzen müssen. So oder so.“
„Ich schulde dir das, Izzy. Du bist mein Freund, und bester Kopfjäger. Wenn ich eine Ware nicht bekomme, treibst du sie auf. Meine Geschäfte werden durch deine Abwesenheit bestimmt leiden.“
Izzy lächelte bekümmert. „Du machst mir den Aufgang schwer.“ Sie erreichten das gusseiserne Tor, das die Krypta vom Rest des Kellers abtrennte. Eine Wache und der Verwalter, der sogenannte Sargmeister, erwarteten sie.
„Machen wir es schnell und schmerzlos. Zehn Jahre sind nicht so lang. Hier unten liegen Vampire, die ein Millenium aufgebrummt bekommen haben“, erzählte der fette Vampir, der den Rang des Sargmeisters bekleidete. Frank drückte seinen Freund noch einmal und verschwand dann. Nichtverurteilten war es nicht gestattet die Krypta zu betreten.
Der Sargmeister führte Izzy nach hinten, wo bereits ein Sarg auf einem Podest aufgestellt war.
„Überprüfen Sie die Angaben noch einmal. Nicht dass Sie uns verloren gehen“, grinste der Sargmeister und zeigte auf den Grabstein am Fuße des Sargs. Izzys Name, Clan und Rang war angegeben.
„Alles in Ordnung, alter Mann“, bestätigte Izzy schweren Herzens und stieg in die Kiste. Der Sargmeister nahm acht Nägel in dem Mund und hob den Deckel an.
„Gute Nacht“, sagte er, obwohl die Nägel im Mund ihm das Reden erschwerten. Er wuchtete den Deckel auf den Sarg und schlug die Nägel ein. Izzy lag im Dunkeln und atmete ruhig. Dann schloss er die Augen und versuchte zu schlafen.
 
Bayern, 2008
Der Sarg wurde aufgebrochen und zwei kräftige Hände packten Izzy an den mageren Schultern. Verschlafen versuchte er etwas zu erkennen, doch irgendwelche sehr starken Leuchten waren direkt auf sein Bett gerichtet.
„Der sieht aber übel aus. War wohl ein paar Jährchen da drin“, sagte jemand. Etwas wurde aufgerissen und Izzy witterte Blut. Gierig knurrte er.
„Ganz ruhig, mein Freund. Du bekommst schon dein Essen. Jetzt setzten wir dich aber erst mal hin und du orientierst dich. Alles klar?“ Izzy wurde auf kalten Stein gesetzt. Sein Blick war inzwischen klarer geworden und er nahm drei Personen wahr. Eine reichte ihm die Blutkonserve, auf der er sofort gierig trank.
„Ich glaube es geht ihm gut. Danke, Jungs. Ihr könnt gehen.“ Eine bekannte Stimme, Frank Fennig. Izzy entspannte sich etwas. Auf jeden Fall war er unter Freunden, es war kein perfides Spiel von irgendwelchen Inquisitoren, die die Krypta entdeckt hatten und sich jetzt einen Spaß daraus machten Vampire wieder auf die Beine zu bringen um sie dann sofort wieder zu verwunden oder zu töten.
„Ist die Zeit schon um?“ stöhnte Izzy mit trockener Stimme.
„Schon, aber wir mussten einmal umziehen. Wir sind jetzt in Bayern“, antwortete Frank Fennig geduldig. „Geht es wieder?“
„Etwas frisches Blut und ich bin wieder der Alte“, meinte Izzy und streckte seine steifen Glieder. Dann musterte er seine Kleidung. „Das ist nicht was ich anhatte.“
„Ich habe mir erlaubt dir die aktuelle Mode zu verpassen. Mit deinen Sachen aus den Neuzigern wärst du nur aufgefallen.“
„Als ob sich in zehn Jahren soviel ändern würde“, meinte Izzy sarkastisch.
„Du wirst die Welt schon wiederkennen. Aber sie wird dir nicht gefallen. Junge Vampire schaffen fast täglich neue Vampire, wie es ihnen gerade passt. Und diese dann wieder Neue. Es ist ein einziger Kindergarten. Die Alten verstecken sich in ihren Anwesen und sinnieren über die gute alte Zeit. Pures Chaos.“
„Ich habe vor dieser Entwicklung schon vor hundert Jahren gewarnt. Damals hat man mich gelächelt. Jetzt haben wir den Salat.“
„Die Inquisition jagt uns auch nicht mehr. Zumindest nicht mehr wie früher. Wegen der ganzen jugendlichen Banden von grünen Vampiren da draußen sind sie so beschäftigt, dass sie uns alte Hasen ganz vernachlässigen. Einige von uns arbeiten angeblich sogar mit der Inquisition zusammen und machen Jagd auf diesen Abschaum.“
„Ist da was dran?“
„Bestimmt. Immerhin bekomme ich Geld von Rom um Waffen und Ausrüstung zu stellen.“
„Dann laufen die Geschäfte gut?“
„Vergiss es. Ich muss Geschäfte mit Banshees, Lykanern und weiß der Teufel noch was allen machen um gut über die Runden zu kommen. Die Auftragszahlen sind gut, aber es geht meistens um Kinderkram. Selten muss ich noch ein Artefakt oder Magiebedarf ausliefern.“
„Dann sind die…?“
„Ja, die sitzen noch immer in ihren Archiven und Bibliotheken und Verstecken und was weiß ich noch alles, schauen zu und lachen sich wahrscheinlich noch ins Fäustchen über unsere Versuche mit dieser Brut von neuen Vampiren fertig zu werden. Ich sage dir eins, Izzy, wir vom alten Eisen sind bald Geschichte.“
„Unternimmt das Tribunal nichts dagegen?“
„Das Tribunal wurde aufgelöst. Der Vorsitzende bekleidet nun den Rang des Vorsitzenden der Großversammlung der Clans. Die Beisitzer wurden aus dem Weg geräumt.“
„Nette Welt, in die ich aufgewacht bin.“
„Aber es wird die freuen zu hören, dass ich einen Namen habe. Ich weiß, wer den Deal von zehn Jahren verraten hat und schuld dran ist, dass du hier gelandet bist. Und es wird dich noch mehr freuen, dass dieser Vampir einer der ersten Jungen war, der angefangen hat zu wildern und ohne Genehmigung Vampire zu erschaffen. Sein Name steht ganz oben auf der Liste.“
„Welcher Liste?“
„Nun ja. Ich dachte mir nach zehn Jahren in einem Sarg sehnst du dich nach ein bisschen Abwechslung. Deshalb habe ich den Auftrag angenommen eine Gruppe von alten Vampiren auszurüsten, die diese Banden jagen und ausmerzen. Also die alte Ordnung wieder einigermaßen herstellen. Die Großversammlung hat sie ja als unfähig erwiesen etwas dagegen zu unternehmen.“
Izzy grinste breit und fletschte seine Zähne. „Das sind mal gute Nachrichten. Wann geht es los?“
 

Jemand hat mich gefragt, warum Isidor aus der Geschichte "Grabrede" andere Vampire jagt. In Folge dessen habe ich eine ganze Serie um den Vampir verfasst. Dies ist die Einleitung dazu, wobei Isidor später zur Seite tritt und für Frank Fennig Platz machtNicolai Rosemann, Anmerkung zur Geschichte

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 21.01.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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