Hermann Weigl

Die Drachenreiter von Arctera (Teil 1)

Prinzessin Elisabietha lenkte ihr Pferd immer weiter den Hügel hinauf, in nördlicher Richtung. Innerlich lachte sie, denn es war ihr wieder einmal gelungen, ihre Begleiter auszutricksen. Ihr Vater mahnte sie immer zur Vorsicht. Sie war sein einziges Kind, sein wertvollster Schatz, und er liebte sie über alles.
Aber was sollte ihr hier schon passieren? Einzig und allein die Bären konnten eine Gefahr darstellen. Sie mieden zwar die Menschen, aber ein Pferd stellte eine willkommene Beute dar. Doch davor hatte die junge Frau keine Angst. Ihr Pferd konnte viel schneller laufen als das wilde Tier.
Endlich wichen die letzten Bäume zurück, und sie erreichte das uralte Ruinenfeld. Vom Zahn der Zeit geschwärzte Steine, die noch die Spuren menschlicher Bearbeitung zeigten, lagen wie wahllos verstreut über die weite Fläche verteilt.
Niemand wusste noch, welche Bauten hier einst gestanden hatten. Ein Dorf vielleicht oder eine Stadt, vermutete die Prinzessin. Sie ließ ihren Blick über das weite Areal schweifen. Es grenzte sich deutlich gegen den weiter unten liegenden Wald ab. Hier wuchsen nur kümmerliche Sträucher, niedrige Büsche und langes Gras, als würde eine unbekannte Macht den Wald davon abhalten, die alten Steine zu überwuchern.
Dennoch liebte sie diesen Ort. Ein Hauch von Melancholie lag über den uralten Ruinen.
Die Prinzessin lenkte ihr Pferd auf einen der Wege, die zwischen den mit Flechten bewachsenen Trümmern hindurchführten bis zum einzigen Fragment eines Bauwerkes, das noch erhalten war. Hier an der höchsten Stelle standen die Reste eines einst wohl mächtigen Turmes. Mahnend wie ein abgebrochener Finger ragte er in den Himmel auf.
Aber wozu einen Turm? Niemand baute in einem Dorf ein solches Bauwerk. Hatte es vielleicht hier eine Burg gegeben?
Von hier aus reichte der Blick weit ins Land hinein. Östlich des Niemandlandes lag Iskandar, das Reich ihres Vaters. Im Westen konnte sie Agostina, das Gebiet des verfeindeten Königs erkennen. Nach Norden hin fiel das Gelände sanft ab, und weit unten wand sich träge der breite Strom des Flusses Tiuf dahin, über dem sie undeutlich ein paar große Vögel ausmachen konnte. Dahinter begannen die undurchdringlichen Sümpfe. Nur wenige Menschen wagten sich dort hin, um zu jagen oder Fallen aufzustellen. Sie berichteten von den sonderbarsten Kreaturen, die dort hausten. Die meisten lachten über diese Geschichten, aber einige nahmen sie dennoch ernst, und ihre Gesichter verfinsterten sich, wenn sie davon hörten. Noch weiter im Norden begannen die Zahnberge, deren Gipfel mit ewigem Eis bedeckte waren.
Und im Süden sah sie die schwarz verbrannten Schlachtfelder, auf denen sich die Armeen der beiden Länder in sinnlosen Schlachten verausgabten. Schon so lange sie zurückdenken konnte, herrschte Krieg. Auch ihr Vater und die ältesten Bewohner der Burg hatten nie den Frieden erlebt. Niemand wusste mehr, wie es zu den Auseinandersetzungen gekommen war, und einige behaupteten, dass schon immer Krieg zwischen Agostina und Iskandar geherrscht habe.
Die Prinzessin wandte den Blick ab, und sah kurz zum Himmel. Es war noch ausreichend Zeit, um in Ruhe den Rückweg anzutreten.
Sie zog ihr Pferd an den Zügeln herum und lenkte es im Schritt zwischen den Ruinen hindurch in Richtung der väterlichen Burg. Sicher würden ihre Begleiter wieder ungehalten reagieren, aber manchmal verspürte sie den Drang mit sich und ihren Gedanken alleine zu sein.
In wenigen Wochen wird ihr achtzehnter Geburtstag sein, und dann sollte sie vermählt werden. Sie mochte den Mann nicht, den ihre Eltern für sie vorgesehen hatten. Am liebsten hätte sie gar nicht geheiratet, aber ihr Vater ließ sich nicht von seinen Plänen abbringen.
Ganz in Gedanken versunken hatte sie wenig auf ihre Umgebung geachtet. Das Gebrüll eines Tieres ließ sie aufschrecken. Es war einer der gefährlichen Braunbären, erkannte sie voller Entsetzen. Das Tier hatte sich auf die Hinterbeine gestellt und eine seiner riesigen Tatzen mit den mörderischen Krallen zum Hieb ausgeholt. Ihr Pferd wieherte in panischem Erschrecken, scheute, und begann am ganzen Leib zu zittern. Die Prinzessin zog die Zügel straff an, aber das Reittier war wie von Sinnen. Es stellte sich auf die Hinterhand, und die Frau verlor den Halt. Sie rutschte aus dem Sattel, und fiel unsanft auf den Boden.
Sie sah noch, wie das Tier in heller Panik floh. Grasnarben flogen durch die Luft.
Wie ein Fels ragte wenige Schritte vor ihr der Bär auf. Brüllend riss er das Maul mit dem riesigen Gebiss  so weit auf, dass Elisabietha die scharfen Fangzähne deutlich sehen konnte. Geifer tropfte von den Lefzen des Tieres.
In diesem Augenblick hatte die Prinzessin mit ihrem Leben abgeschlossen. Hätte sie doch nur auf die Warnungen ihres Vaters gehört, und wäre sie im Schutz ihrer Begleiter geblieben.
Plötzlich fiel ein Schatten über sie. Gewaltige Schwingen rauschten, und eine Ausgeburt der Hölle kam vom Himmel herab auf sie zu. Ein langer Hals mit stachelbewehrtem Schädel streckte sich über sie hinweg, holte tief Luft, und brüllte den Bären an.
Sie hob einen Arm zum Schutz über den Kopf, der Boden schien zu wanken. Sie verdrehte die Augen und verlor die Besinnung.

(C) 2011 Hermann Weigl

Fortsetzung folgt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 22.01.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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