Die Sonne stieg am diesig blauen Himmel höher und höher, und sie schickte sengende Strahlen schon fast senkrecht zur Erde. Die Straße flimmerte in der Hitze. Staub umfing die Autos, die dort fuhren. Und es wurden immer mehr. Ganz Amerika schien zu einer wahren Völkerwanderung unterwegs zu sein.
Das Ziel war Kap Canaveral, die amerikanische Raketenstartbasis. Der Start der „Columbia“ war angesagt. Zu diesem Ereignis waren wir von Freunden aus Kalifornien eingeladen und über den „Großen Teich“ geflogen. Dass ein bevorstehender Raketenstart so viele Menschen aus allen Staaten Amerikas mobilisierte, hatten wir uns in unseren kühnsten Gedanken nicht träumen lassen. Ein überdimensionaler Wohnwagen mit einem ältlichen Ehepaar war der Straßenschreck, weil sie sehr behutsam und viel zu langsam fuhren. Am Heck ihres stolzen Gefährts prangte ein großes Schild „Wir verprassen das Erbe unserer Enkel“. Nun, letztendlich hatten sie die Lacher auf ihrer Seite. Die Sonne lachte dazu!
Gelotst durch unsere amerikanischen Freunde kamen wir – das waren Hans und ich sowie unsere beiden Töchter Anja und Uta – schon sehr früh im Weltraumbahnhof an. Das heißt natürlich im Gelände, das für Besucher freigegeben war. Ein riesiger Holzturm war am Rande der Absperrung errichtet worden. Ein Monstrum, weiß angestrichen, ragte in die Höhe. Wenn es nicht so riesig gewesen wäre, hätte man denken können, es sei eine Einrichtung im europäischen Bäderstil. Aber nun harrte der Turm auf den Ansturm der Menschen, die an diesem Ereignis teilhaben wollten. Ein so großes nationales Interesse würde es sicher in Old-Germany nicht geben. Bei allen Katastrophen, die es so in der Welt gibt, bezweifelte ich das „Durchstehvermögen“ des Turmes.
Es war gut, dass wir in aller Herrgottsfrühe schon das Weltraum-Museum besucht und uns mit Wasser eingedeckt hatten. Die Hitze nahm zu, wie der Menschenstrom auch. Die obersten Etagen des Holzturms waren schon besetzt. Wir beeilten uns, um am Geländer unseren Warteplatz einzunehmen. Bis zum Start dauerte es noch Stunden, und den etwa 8jährigen Mädchen wurde es langsam langweilig. Wie aufgescheuchte Küken rannten sie hin und her. Was sollte das noch werden! Einen Sack Flöhe zu hüten, wäre leichter gewesen. Aber die Menschen um uns waren geduldig und sprachen begütigend auf die jungen Damen ein. Bis ein kleiner Hund ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm.
Schließlich war es 13 Uhr. In einer Stunde sollte die „Columbia“ gestartet werden. Eine Frau neben mir hatte mich in ein Gespräch verwickelt – im amerikanischen Englisch natürlich. Wir gestikulierten mit Händen und Füßen. Plötzlich ein Aufschrei! Der kleine Hund und die beiden Mädchen waren verschwunden! Unsere ganze Etage des Holzturms war in Aufregung. Mir schien, dass der ganze Turm bebte. Ich arbeitete mich durch die Menschentrauben. „Sorry“ nach links und rechts. Waren sie mit dem Hund nach unten gerannt? Und 14 Uhr sollte der Raketenstart sein! Wenn sie, was heißt sie, wenn wir das verpassen sollten!
Nach ellenlangem Suchen stieß ich doch tatsächlich am Aus- und Aufgang des Holzturms auf die beiden Ausreißer. Sie kicherten und lachten und hielten den kleinen Hund im Arm. Ich schrie sie immer noch in meiner Angst an: „Wo seid ihr denn gewesen?“ Kleinlaut kam die Aufklärung, dass sie sich zur Erinnerung fotografieren lassen hatten. Und tatsächlich war am Fuße des Aussichtsturmes eine Fotoeinrichtung ähnlich der, die wir auch beispielsweise in Bahnhofshallen finden konnten. Mit der Bedienung hatte es gehapert, und das hatte eben gedauert. Alle Strafpredigten hatten zu warten, da wir schnellstens unsere Position wieder beziehen mussten.
14 Uhr – die harrenden Menschen hielten den Atem an. Alle blickten fasziniert in den tiefblauen Himmel, in gleißende Sonnenglut. Selbst der kleine Hund hielt in seiner Wiedersehens-Zeremonie inne. Dann in weiter Ferne eine Feuererscheinung! Die Rakete erkannten wir in handbreiter Größe – und dann war sie auch schon entschwunden! Frenetischer Beifall all der Besucher ließ den Turm erschüttern. Die „Columbia“ war gestartet! Eine neue Reise zu den Sternen hatte begonnen! Ganz langsam leerte sich der Besucherturm. Die Mädchen zeigten ihre Fotos. Und alle ringsum waren wieder zufrieden.
In beispielhafter Disziplin ordneten sich die Autos ein. Staubig, verschwitzt, aber beseelt löste sich die Menschentraube auf – jeder fuhr in seine Himmelsrichtung davon. Die „Columbia“ war auf dem Weg in den Orbit, und wir waren dabei gewesen. Die Suche nach den Mädchen hatte zwar für große Aufregung gesorgt, konnte aber zur richtigen Zeit erfolgreich beendet werden. Der Planet Erde platzte förmlich aus allen Nähten!
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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 27.01.2011.
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