Flo Born

Der Jäger

Der Jäger

 
Ich sprintete über die Wiese des Parks, den ich seit meiner frühesten Kindheit kannte und an den ich nichts als gute und glückliche Erinnerungen hatte. Doch im Moment glaubte ich nicht wirklich, dass ich noch einmal so an diesen Ort zurückdenken konnte. Wahrscheinlich würde mir nur immer wieder diese Situation einfallen: Ich sprintete zwischen den Bäumen hindurch, während der Jäger nur auf eine Möglichkeit wartete, mich auszuschalten.
Ich wusste, dass ich dieses Tempo nicht mehr lange durchhalten würde und so versuchte ich ein Versteck zu finden, in dem ich mich ein wenig ausruhen konnte. Nach kurzer Zeit sah ich den Geräteschuppen des Gärtners und beschloss mich dahinter zu verschanzen. Ohne langsamer zu werden, lief ich hinter den Schuppen und drückte mich an die Bretter.
Still hoffte ich, dass der Jäger mich aus den Augen verloren hatte und sich bereits einem anderen Ziel zu wandte. Natürlich wollte ich, dass auch die anderen ihm entwischten. Aber mir war lieber, dass er sie erwischte und nicht mich. Wie heißt es doch so schön? Jeder ist sich selbst der Nächste.
Außerdem hielt sich meine Hoffnung für sie in Grenzen. Immerhin hatte der Jäger schon drei seiner Ziele erwischt und so glaubte ich nicht, dass er uns Übriggebliebene verschonen würde. Auf einmal kam eine Gestalt um die Ecke gesprintet und drückte sich neben mir an die Bretterwand und holte mich so aus meinen Gedanken.
Aber zum Glück war es nicht der Jäger, der mein eben erst beruhigtes Herz  zum wilden Pumpen anregte, sondern mein Freund Markus. „Er hat Thomas erwischt“, stieß er schwer atmend hervor.
„Weiß er, wo wir sind?“, fragte ich meinen keuchenden Freund.
„Nein“, antwortete Markus nachdem ich die Frage noch einmal wiederholt hatte, „Thomas ist in die andere Richtung gelaufen.“
„Gut“, erwiderte ich, „Aber lange werden wir ihm nicht mehr ausweichen können. Vor allem wenn wir zusammen bleiben.“
Markus bestätigte meine Vermutungen mit einem Nicken. Wir beschlossen stumm, dass es am besten wäre, wenn wir in verschiedene Richtungen gehen würden. So würde uns der Jäger zumindest nicht beide auf einmal erwischen. Wir nickten einander noch einmal aufmunternd zu und schlichen dann an den Rand des Schuppens. Wir lugten beide vorsichtig um die Ecke und huschten dann, nachdem wir uns vergewissert hatten, dass der Jäger nicht in der Nähe war, aus unserem Versteck in verschiedene Richtungen davon.
Ich orientierte mich kurz und lief dann auf eine kleine Baumgruppe zu. Dort hoffte ich, Deckung zu finden. Kurz bevor ich mein geplantes Versteck erreichte, hörte ich hinter mir ein Rascheln, als würde das gefallene Herbstlaub durch Schritte hochgewirbelt. Schnell riskierte ich einen Blick über meine Schulter und sah meine Befürchtungen bestätigt. Der Jäger hatte mich zu seinem nächsten Ziel auserkoren.
Fluchend beschleunigte ich meine Schritte. Ich hielt weiter auf die Bäume zu. Ich wollte versuchen, ihn dort abzuschütteln. Immer schneller lief ich auf die Baumgruppe zu. Ich erreichte den ersten Baum und lief links daran vorbei. Dem nächsten wich ich auf der rechten Seite aus und dem darauf folgenden wieder links. So sprintete ich hakenschlagend zwischen den Bäumen hindurch und hoffte, dass der Jäger zwischen den Stämmen zurückfallen würde.
Keuchend passierte ich den letzten der Bäume und riskierte erneut einen Blick über die Schulter. Der Jäger saß mir immer noch im Nacken! Immerhin hatte ich ein paar Meter gewonnen. Doch ich wusste, er würde bald wieder aufholen. Verzweifelt versuchte ich, schneller zu werden. Ich spürte wie der Schlamm an meinen Beinen hochspritzte. Ich hörte die Blätter, die unter meinen Schuhen zerbröselten, hörte die Schritte des Jägers die immer lauter wurden.
Auf einmal merkte ich, wie ich immer langsamer wurde. Ich spürte, wie ich mit dem Fuß an einer Wurzel hängen blieb und wie ich am Boden aufschlug. Ich drehte mich auf den Rücken. Um aufzustehen, fehlte mir die Kraft. Über mir erkannte ich den Jäger. Er sah mir mit einem Grinsen ins Gesicht, das sagte: „Du hast verloren!“
Der Jäger kam näher und stellte seinen Fuß auf meine Brust und zwang mich nieder. Er beugte seinen Kopf und sah mir in die Augen. „Du bist der Letzte“, sagte er mit einem Grinsen.
„Was ist mit Markus?“, fragte ich ihn keuchend.
„Der ist mir in die Arme gelaufen“, erwiderte er, „Und jetzt bist du dran.“
„Tu, was du tun musst“, sagte ich. Ich hatte keine Energie mehr, um gegen ihn anzukämpfen.
Mein Herzschlag ging rasend als er sich zu mir herunterbeugte. Ich schloss meine Augen und spürte wie seine Hand meine Schulter umschloss. „Du bist tot“, flüsterte er und zog meinen Oberkörper hoch.
Als ich aufrecht saß, öffnete ich meine Augen. Ich packte die Hand meines Bruders Jakob und ließ mir von ihm aufhelfen. Als ich stand wischte ich mir den gröbsten Dreck von der Kleidung und sah ihn an. „Wer ist jetzt dran?“, fragte ich ihn.
„Sabrina“, erwiderte er und zusammen liefen wir zu unseren Freunden zurück, die unter dem großen Baum mitten im Park auf uns warteten.
Schließlich… war es auch nur ein Spiel.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 04.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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