Hermann Weigl

Die Drachenreiter von Arctera (Teil 4)

Jeden Tag schlich sich Elisabietha aus der Burg, um zu der Drachin zu gelangen.
Sie lernte, ihre Kopfstimme zu benutzen und unter Kontrolle zu halten. Es war schwer und einmal schlief sie vor Erschöpfung ein.
Die Drachin lehrte sie auch viel über ihr Volk und das uralte Bündnis zwischen Drachen und Menschen. Diese mächtigen Wesen erhielten von ihnen die Früchte des Mandelbaumes, welche die Drachen selbst nicht ernten oder sammeln konnten. Im Sumpfland, wo die geflügelten Wesen früher lebten, wuchsen diese Bäume nicht, weil sie für ihre Wurzeln festen Untergrund brauchten. Ihre Hauptnahrung stellten die Tiere dar, die sie im Sumpfland oder den Tälern des Nebelgebirges erbeuteten. Aber sie verschmähten auch andere Früchte nicht, welche sie als Delikatessen ansahen.
Aber am wichtigsten waren die Mandelfrüchte, die ihren Jungen halfen, die kalte Jahreszeit besser zu überstehen.
Im Gegenzug gingen einige Drachen mit den wenigen Menschen, welche die Kopfstimme hatten, ein Bündnis ein, und machten sie zu Drachenreitern. Diese Auserwählten genossen hohes Ansehen, und führten die unterschiedlichsten Aufgaben aus, wovon die Grenzüberwachung und Botenflüge die wichtigsten waren.
Die Drachin verriet der Prinzessin auch, dass die Menschen wegen ihrer geringen Größe auf sie wie Kinder wirken, und deswegen ihren Bemutterungsinstinkt wecken.

Der König wurde sehr wütend an diesem Abend, weil Elisabietha trotz seines Verbotes erneut die Burg verlassen hatte, und drohte damit, sie in ihr Zimmer sperren zu lassen, wenn sie weiterhin ihre Ausflüge unternahm.
Dennoch wollte sie es noch einmal wagen.
Elisabietha hatte einer Magd für ein paar Geldstücke ihre Kleidung abgekauft, und einem Stallburschen den Auftrag gegeben, mit einem gesattelten Pferd an der Nordpforte auf sie zu warten. Ein Silberstück würde dafür sorgen, dass der Junge schwieg.
Sie schwang sich in den Sattel und lenkte das Ross in Richtung der alten Ruinen.

Die Drachin war noch nicht da, als die Prinzessin ihr Ziel erreichte. Sie stieg aus dem Sattel, führte das Pferd in den Schatten unter einem großen Baum, und band die Zügel an einem Ast fest. Dann trat sie wieder ins Sonnenlicht und suchte den Himmel ab.
Was, wenn nun Unari ausgerechnet heute nicht erscheinen würde? Womöglich hatte auch sie einen strengen Vater, der nicht duldete, dass sie sich hier herumtrieb.
Sie vermeinte ein Geräusch vernommen zu haben, das nicht hierher gehörte.
Ein Schatten fiel über sie und die goldene Drachin ging mit gewaltigen Flügelschlägen nieder. Zuerst setzte sie in einer eleganten Bewegung das hintere Beinpaar auf, dann das vordere, und faltete zuletzt die riesigen Schwingen auf dem Rücken zusammen.
Die Prinzessin lief zu ihr hinüber, versuchte ihren Kopf zu umarmen, um aber feststellen zu müssen, dass dies einfach nicht möglich war, und klammerte sich schließlich an ihrem Hals fest.
Und erneut hörte sie die fremde Stimme in ihrem Kopf.
„Es freut mich, dass du mich gern hast, Elisabietha. Und auch ich kann dieses Gefühl erwidern.“
Mit Tränen in den Augen erzählte die Prinzessin vom Verbot ihres Vaters.
„Dann ist es wohl nun an der Zeit, dass ich meine Botschaft überbringe“, antwortete Unari. „Und zu diesem Zweck werden wir gemeinsam zur Burg fliegen.“
Elisabietha nahm dem Pferd das Zaumzeug ab, und verstaute es in den Satteltaschen. Dann gab sie dem Tier einen Klaps und beobachtete, wie es in Richtung der Burg davonlief.
„Siehst du die beiden Fortsätze auf meinem Hals, kurz vor den Flügeln?“, sagte die Drachin. „Dazwischen ist eine Stelle, die beinahe wie ein Sitz geformt ist. Früher haben dort die Drachenreiter gesessen.“
„Ja. Ich sehe es.“
„Dann steig auf.“

Unari legte sich flach auf die Erde. Die Prinzessin kletterte auf ihren Hals, und ließ sich an der angegebenen Stelle nieder.
„Halt dich gut fest“, wies Unari die junge Frau an.
Elisabietha hätte niemals gedacht, dass sich die riesige Drachin mit so viel Kraft in die Luft erheben kann. Sie spürte förmlich wie sie die mächtigen Flügelschläge aufwärts bewegten und auf ihre Sitzfläche pressten, während sie sich mit beiden Händen an den Fortsätzen festklammerte. Schon waren sie höher als die umgebenden Bäume. Ihr Blick ging in die Ebene hinab, und weiter bis zu den Bergen, deren Spitzen die untergehende Sonne schon rot färbte.
Unari folgte dem Weg, den sie jeden Tag mit ihrem Pferd nahm, und schon bald überholten sie das Reittier, das sie hatte laufen lassen. Klein wie eine Katze sah es von hier oben aus.
Der Wind rauschte Elisabietha um die Ohren, und zerzauste ihr Haar, das sich schon gänzlich aus dem Knoten gelöst hatte.
Die Prinzessin jauchzte von Freude.
„Es scheint dir zu gefallen“, sagte die Drachin mit ihrer Gedankenstimme.
„ Ich habe noch nie etwas so Wundervolles erlebt.“
Ein Reiter jagte in gestreckten Galopp in Richtung der Burg. An der Kleidung erkannte die Prinzessin, dass es ein Bote war. Aber schon hatte der Drache den Mann hinter sich gelassen, und als sich die Prinzessin umwandte, konnte sie den Reiter nur noch als kleinen Punkt hinter sich erkennen. Und dabei machte Unari nicht den Eindruck, als ob sie sich anstrengen müsse.
Wie schnell mochte sie wohl fliegen können, wenn sie ihre ganze Kraft einsetzte?
Fasziniert beobachtete Elisabietha den langen Schwanz der Drachin, der sich wie eine Schlange hinter ihr herbewegte. Das Ende war abgeflacht und in der Mitte geteilt.
Unari drehte nun ein paar Schleifen und stieg dabei immer höher. Auf einem Feld arbeiteten Menschen, die klein wie Ameisen aussahen. Das silberne Band eines Flusses überquerten sie, dann sah die Prinzessin in der Ferne schon die hohen Türme des elterlichen Schlosses.
Viel zu kurz währte der der erste Flug.
„Wir können noch viele Orte miteinander besuchen, Prinzessin“, beruhigte sie die Drachin.
Schon war die Burg erreicht. Unari schlug nicht mehr mit den Flügeln, sondern glitt in vielen Kreisen immer tiefer. Die Burg und das angrenzende Dorf sahen von hier oben aus wie kleine Holzklötze, mit denen Kinder spielen.
Nun fiel der Prinzessin ein, dass der Burghof eigentlich viel zu klein für die Landung war. Außerdem würden dann all die Menschen in Schrecken versetzt werden. Das wollte die Prinzessin auf keinen Fall haben. Die Leute sollten von der Gutmütigkeit ihrer neuen Freundin überzeugt werden.
Um die Burg herum führte ein tiefer Graben, der nur an zwei Stellen auf Zugbrücken überquert werden konnte.
„Unari, kannst du auf der Wiese neben dem Weg, der zur Burg führt, landen?“
„Aber gerne.“

Die Drachin ging noch tiefer, und flog an der Burg vorbei, über den Landeplatz hinweg.
Elisabietha sah die Menschen auf den Zinnen und ihre erstaunten Gesichter. Sie winkte ihnen zu und bemerkte, wie sie in ihre Richtung deuteten.
Unari drehte eine letzte Schleife und landete in einer eleganten Bewegung auf der grünen Wiese.
Von der Burg her ertönten die ersten Fanfarenstösse - das Signal, dass Gefahr droht.
Die Prinzessin machte sich nun die größten Sorgen - nicht um sie selbst, sondern um die Drachin, die wohl nun als Bedrohung angesehen wurde.
„Unari, ich werde ganz in deiner Nähe bleiben.“
„Du hast Angst um mich?“
„Ja. Das habe ich.“
„Du braucht dich nicht zu sorgen. Im schlimmsten Fall werde ich einfach wieder wegfliegen.“
„Aber...“
„Dann kannst du den Menschen berichten. Und sie werden deinen Worten Glauben schenken, weil sie dich zusammen mit mir gesehen haben.“

Nun kamen die ersten Soldaten über die Zugbrücke gelaufen. Sie trugen Hellebarden mit sich, und eilten in Richtung der Drachin. Bald darauf erschienen Berittene, die an den Fußsoldaten vorbei auf die Prinzessin zukamen.
In weitem Halbkreis stellten sich die Soldaten um die Drachin auf, hoben drohend Schwerter, Hellebarden und Speere, und redeten alle durcheinander.
„Senkt eure Waffen“, rief die Prinzessin so laut sie konnte. „Ich befehle es auch. Senkt die Waffen.“
Einige kamen ihrer Aufforderung nach, andere zögerten, und die meisten hörten nicht auf sie.
Ein Ritter löste sich aus der Menge und kam mit der Lanze im Anschlag auf Unari zu. Die Prinzessin glitt vom Hals der Drachin, lief nach vorne, und stellte sich schützend mit ausgebreiteten Armen vor sie hin. „Ritter Gregor. Ich befehle Euch! Senkt Eure Waffen!“
„Prinzessin! Geht da weg. Ich werde das Untier erlegen.“


(C) 2011 Hermann Weigl

Fortsetzung folgt.

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 07.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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