Ute Abele

Mit neuen Augen

 

 

Sie sahen sich in die Augen und sahen etwas Neues. Und spürten etwas Neues. Sie spürte die Kraft, die von ihm ausging. Er spürte die Kraft, die von ihr ausging. Jeder spürte auch - er mehr, sie noch etwas weniger - die Kraft, die von ihnen selbst ausging. Er fragte sie, ob sie denn nicht wisse, welche starke Kraft aus ihr strahle, während sie noch so sehr damit beschäftigt war, seine Kraft zu spüren... von der sie immer gewusst hatte, dass sie da war, die aber immer nur hervorgeblitzt war. Wie sie es liebte, wenn er in dieser Kraft stand und sprach, denn dann waren seine Worte unglaublich intensiv und fanden ihr Ziel auf geradem Wege. Das machte sie manchmal stumm, während sie lächelte, weil sie es einfach genoss, wie sehr er dann er selber war.

Doch es waren immer nur Momente gewesen. Momente, die manches mal von anderen ausgelöst wurden. Es war manchmal so in Gegenwart der Vaishnavas, und es war jedes Mal so in Gegenwart des brüllenden Löwen. Dessen Aura öffnete immer wieder bestimmte Kanäle bei den ihn umgebenden Menschen, so auch bei ihm. Dann sprach er weise, und mit vollkommener Überzeugung. Doch nun war niemand da, nun war es soweit, dass er seine Kraft selbst öffnen konnte. Dies geschieht, wie sie wusste, wenn man sich selber mehr und mehr erkennt. Wenn man mehr und mehr der Masken ablegt, die man einmal trug - vielleicht auch immer noch manchmal tragen würde, jedoch in vollem Bewusstsein - und nach und nach alle Wunden dem Licht und der Luft preisgibt, denn im Verborgenen können sie nicht heilen. Dann sieht man, dass aus den heilenden Wunden die Kraft strömt.

Während sie all dies an ihm voller Freude und Bewunderung beobachtete hatte sie weniger auf sich selbst geschaut. Und nun sagte er ihr, sie solle ihre Kraft zeigen und verwenden und sie nicht mehr zurückhalten. Jeder könne sie ja sehen. Es wäre ihr so vieles möglich. Sie wusste, dass er recht hatte. Sie erinnerte sich an jenen Mann, den sie nach langen emails einmal getroffen hatte... und wie er ihr sagte, dass ihre Erscheinung ihn - wenn es denn möglich gewesen wäre, denn er saß im Rollstuhl - fast umgehauen hätte. In ihren Zeilen habe er immer so eine Verhaltenheit wahrgenommen, die ihn jemand ganz anderen erwarten ließ. Und jetzt sehe er jemand derartig Strahlenden. Sie war verdutzt.

Dann das Silvestertreffen mit dem brüllenden Löwen, auf dem er aber nicht erschien. Die jungen Aspiranten - schöne junge Männer, die mit großer Kraft und Aufrichtigkeit den geistigen Weg gingen - sagten ihr am Ende, als alle schon zum Gehen bereit waren, dass zu Anfang, als sie den Raum betreten habe, sie ihre enorme Größe wahrgenommen hätten. Sie war wie vom Donner gerührt über diese Worte, wusste jedoch, dass sie stimmten. Jedoch sah sie immer nur die Größe der anderen. Gerade die Größe dessen, der dieses zu ihr sagte, aber auch derer, die neben ihm standen und zustimmend genickt hatten. Sie bewunderte, wie wenig verstrickt in Ego-Geschichten diese jungen Männer waren. Wunderschön waren sie. In all ihrer Bewunderung hatte sie sich selbst nicht oder nur wenig wahrgenommen.

Doch nun sah sie ihrem Gefährten in die Augen. Und es war fast dieselbe Situation. Er sagte ihr ebenfalls, wie groß er sie sah. Sie spürte, dass sie anscheinend - wenn sie bewunderte - ihr Sein immer in den Bewunderten legte, anstatt ihr Sein in ihrem eigenen Kern zu belassen und den anderen nur mit ihrer Aura zu umhüllen und sich mit ihm auf diese Weise zu vereinigen, bei sich bleibend und mit dem anderen zusammen in der Schnittmenge ihrer Kräfte etwas Neues erschaffend. Nun gab es nichts mehr vorzutäuschen und nichts mehr gerade zu rücken. Denn jetzt war alles offensichtlich geworden. Sie setzten den Weg fort.


 

© Ute Abele

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Veröffentlicht auf e-Stories.de am 10.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

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