Renate Ivanisevic

Kinderwelt

Eine Kindheit in Kroatien
Neblig feuchte Luft, Geräusche gackernder Hühner, Stimmengewirr, das vom Hof herzukommen scheint- Menschen, die sich etwas zurufen.
Blick ins Licht der Lampe- mit zusammengekniffenen Augen, Strahlen strömen von der Lichtquelle, brechen sich, verwinkeln sich und bilden Kränze. Anders geblinzelt, andere Kränze. Ein Feuerchen prasselt lustig im Ofen neben dem Bett. Ein hoher, dunkler Schrank.
Ein Griff in die Schublade bringt eine Streichholzschachtel hervor; schnell in den Ofen damit. Die Schachtel lodert auf, hunderte von kleinen Lichtern vereinen sich in einer Flamme. Ofen zu.
Am Fussende des Bettes steht eine Gestalt aus Licht und Lieblichkeit. Sie scheint etwas sagen zu wollen, etwas von Liebe und von Freude.
In der dunklen Küche steht auf dem Treppenabsatz eine Kartonkiste. An der Kiste ist eine Glühbirne montiert, die Licht und Wärme in die Kiste strömen lässt. Gezirpe und Piepsen. In der Kiste Küken, die auseinanderstieben, wenn eine Hand sich nähert. Nebelschwaden in der Luft. Eine alte Frau in schwarzen langen Kleidern hat Teig auf dem Tisch ausgebreitet-. glänzend und dünn wie eine Haut klebt der Teig am Tisch, wie ein Tuch hängen die Enden des Teiges herunter. Das Feuer im Holzofen ist ausser der Kükenkiste die einzige Lichtquelle im Haus.
Aus der Ferne der würzige Geruch von brennendem Laub.
Im Garten der Hühnerstall. Gemächlich scharrende, spazierende Hühner. Sie scheinen miteinander zu sprechen in langen gelangweilten Tönen. Eine scharrt, die andere eilt sofort herbei um sich den vermeintlichen Fund der anderen Henne zu nehmen. Ein Huhn läuft davon, im Schnabel einen Wurm. Während sie rennt verliert sie den Wurm. Die hinterherlaufenden Hühner streiten sich um den Wurm, schliesslich frisst ihn diejenige, welche scheinbar gelangweilt daneben gestanden hatte.
Im Haus sind viele Menschen, lautes Lachen. Gläser klirren, man prostet sich zu, rote, lachende Gesichter. Kinder bilden Reigen entdecken den Spiegel, heben mich hoch- ich erblicke ein kleines Gesicht mit blonden kurzen Haaren im Spiegel gegenüber. Bin das ich? Kenne die Person gegenüber nicht.
Grosse Kinder nehmen mich mit. Wir gehen auf einem Pfad - links und rechts hohes gras. Die Luft ist flirrend und von Birnengeruch gesättigt. Dann ein Silo. Wir steigen die Holztreppe hinauf. Im Silo viele Tauben. Ein grosses Mädchen gibt mir eine Taube in die Hand. Ich betrachte die Taube - sie fliegt fort Ihre Schwingen verursachen ein pfeifendes Geräusch und wirbeln Partikel hoch. Das Mädchen ist wütend, sie schimpft mit mir, weil ich die Taube freigelassen habe.
Wir sitzen in der Küche. Die Wände sind mit glitzernd bemalten Plüschkalendern behangen und ein Wandteppich mit einem röhrenden Hirsch hängt daneben. Aus dem Radio erklingt Musik. Die Zimmerdecken sind niedrig. Wir essen Spiegeleier und öffnen den Mund um einander das zerkaute zu zeigen. Das grosse Mädchen lacht.
Ich laufe in den garten hinaus, nahe der hohen, rötlichen Ziegelsteinmauer hinter welcher sich der Schweinestall des Nachbarn befindet, vernehme lautes grunzen und unzufriedenes Quieken, kreischen, wie bei einer Motorsäge. "Die Schweine sind hungrig" sagt mein Onkel. Dann sehe ich im Gras ein Gesicht, zwei grosse gelb gesprenkelte Augen, die mich ausdruckslos anstarren. Das braune Wesen ist mir sympathisch. Ich hebe es hoch und trage es in mein Bett. Grossmutter stürmt auf mich zu: "Du hast eine Kröte in dein Bett gelegt!" sagt sie ist wütend. Ich laufe weg, spiele mit den Steinchen am Ende der Treppe. Die Sonne ergiesst sich über die Mosaiktreppe und hinterlässt einen Schleier, einen Traum. Im Hintergrund spielt ein griechisches Sonnenlied aus dem Radio. Die Stunden ruhen. . Ein Holzbottich wird im Hof aufgestellt, mit Wasser gefüllt das sich in der Sonne erwärmt. Ein riesiges quadratisches Stück Seife und eine Scheuerbürste - die Kinder springen hoch, zappelnd und ungeduldig, alle wollen in den Bottich.
Als die Hände ganz zerknauselt sind, vom Wasser, wetteifern sie noch im Weitspucken. Der Junge mit den an stärksten Zerknautschten Händen hat gewonnen.
Sie steigen aus dem Bottich, werden von starken Händen mit Baumwolltuch abgeschrubbt und verschwinden zappelnd und johlend im Haus. Der Junge und ich sind krank. Wir liegen in der grossen Küche auf den Ottomanen und sind bis zum Kinn zugedeckt. Der junge bekommt einen weissen Sirup den ich nicht haben darf. "Das ist Antibiotika" sagen die erwachsenen und die Flasche mit dem köstlichen, geheimnisvollen Inhalt verschwindet im hohen Küchenschrank.
Der Junge zeichnet eine Katze. Ich spiele mit Magneten, die ich über ein Blatt Papier ziehe, auf der anderen Seite ist Eisenstaub, der dem Magnet folgt und dabei harmonische Formen bildet.
Die Grossmutter setzt uns Milchkaffee vor und murmelt unverständliche ärgerlich klingende Worte. Dann zieht sie mich an, Lackschuhe, ein kurzes Kleidchen, und wir treten aus dem haus. Vorbei am Gartentor, über den Strassengraben, der Strasse entlang, an welcher sich kleine Häuschen reihen, junge Bäume, in Richtung Dorfkern. Einige der Häuser tragen schwere, graue Vorhänge, Mauern, die viele Schichten leuchtender Farben trugen, blättern vor sich hin, jedes Haus hat ein hohes Tor aus Metall oder Brettern, durch welches man in den Innenhof gelangt, wo Gänse grölen, Truthähne sich aufblasend zischen und Geräusche machen, als würde ein Kind mit der Zunge schnalzen und lallen. Feiste Bäuerinnen schreien laut nach ihren im Dreck spielenden Kindern, schimpfen und entkernen mit ihren kräftigen Händen Maiskolben. Die harten, goldenen Kerne fallen raschelnd in einen Bottich. Wir ziehen die Strasse hinauf, hinein in einen kleinen Laden. Dort kämmt Grossmutter mich und setzt mich auf einen hoch gedrehten Drehstuhl. "Da gibt ein schönes Bild für deine Mutter" sagt Grossmutter, während ich den Fotografen bitte, mich noch einmal im Kreis zu drehen. Die ganze Welt gerät in Bewegung - selbst als ich anhalte dreht die Welt sich noch bedrohlich um mich.
Wir verlassen den Laden und ich springe auf die Strasse- in das gleissende Sonnenlicht.

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Renate Ivanisevic).
Der Beitrag wurde von Renate Ivanisevic auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 28.01.2003. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Renate Ivanisevic als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Gottes Zelt: Glaubens- und Liebesgedichte von Patrick Rabe



Die Glaubens-und Liebesgedichte von Patrick Rabe sind mutig, innig, streitbar, vertrauens- und humorvoll, sie klammern auch Zweifel, Anfechtungen und Prüfungen nicht aus, stellen manchmal gewohnte Glaubensmuster auf den Kopf und eröffnen dem Leser den weiten Raum Gottes. Tief und kathartisch sind seine Gedichte von Tod und seelischer Wiederauferstehung, es finden sich Poeme der Suche, des Trostes, der Klage und der Freude. Abgerundet wird das Buch von einigen ungewöhnlichen theologischen Betrachtungen. Kein Happy-Clappy-Lobpreis, sondern ein Buch mit Ecken und Kanten, das einen Blick aufs Christentum eröffnet, der fern konservativer Traditionen liegt.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (1)

Alle Kommentare anzeigen

Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Wahre Geschichten" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Renate Ivanisevic

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Eine Liebe zu Basel von Renate Ivanisevic (Wie das Leben so spielt)
Wie ein frisches Brötchen Freude machen kann. von Christine Wolny (Wahre Geschichten)
Die Zeit von Norbert Wittke (Gedanken)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen