Rosemarie Palm-Krein

Spaziergang mit Hund


 

 

Langsam ließ sie den warmen glitzernden Sand von einer Hand in die andere rieseln.

Die Zehen im Sand vergraben, den Kopf auf die angezogenen Knie gestützt wirkte sie mehr wie ein Kind als die erwachsene Frau,

wie sie so versunken da saß und den Sand streichelte.Das Meer weckte immer ihre verspielte, kindliche Seite.

Die Vorfreude auf die Tage am Strand hatte sie schon wochenlang erfüllt.

Allein die Fahrt! Das Meer kündigte sich an lange bevor man es sah.

Man konnte es riechen und auf der Zunge schmecken bereits Kilometer vor der Küste.

Immer fragte sie sich aufgeregt, mit welchem Blau sie dieses Mal überrascht werden würde.

Azur? Türkis ? Bleigrau?

Sie wusste was er sah: „Wasser“

Während eine gläsern glänzende Wand sich in eine Kaskade glitzernder Edelstein auflöste und schäumend auf den Strand zu rollte

um sich dann sanft im Sand aufzulösen sah er nur Wasser.

An keinem Tag war das Meer sich gleich. Es roch oder schmeckte anders, alle Blau,Grau, Grün oder Schwarztöne konnten vorhanden sein
.
Oder es dominiert ein besonderes Blau in dem sich die Sonne ganz anders spiegelte als in den dunklen Tönen.

Jeden Tag anders. Jeden Tag eine neue Sonne

Ein neues Meer....
 

Sie erinnerte sich an ihre erste Begegnung mit dem Meer.

In einer dreitägigen Busfahrt ging es in Richtung Spanien. 3 Tage Langeweile.

Dann dieser Geruch der immer intensiver wurde, der Bus kroch ratternd eine Anhöhe hinauf und dahinter: Knallblau und spiegelblank völlig ruhig :

Das Mittelmeer.

Diesen ersten Anblick vergaß sie nie wieder- Wann immer sie sich in den Jahren danach diesen Augenblick vergegenwärtigte erfasste sie immer

wieder die gleiche Aufregung, dieselbe Begeisterung wie damals als 18jährige.

Die Freude auf das Meer war ihr geblieben. Gleichgültig ob Mittelmeer, Ostsee oder Pazifik. Jedes mal war es ihr als käme sie nach Hause.
 

Die Zehen tiefer in den Sand eingrabend betrachtete sie ruhig die Linie an der Himmel und Meer zum Horizont wurde.

Dort hörte die Zeit auf. Oder begann sie dort?

Diese Frage stellte sie sich immer, egal an welchem Meer sie saß. Die Ostsee hatte eine anderen Horizont als das Mittelmeer.

Hier musste sie grinsen.

Ein anderer Horizont, so ein Quatsch hatte er ihr damals geantwortet mit diesem bestimmten Unterton der sie als naiv abstempelte.

Diesen Ton kannte sie nur zu gut. Er neigte dann dazu sie wie ein Kind zu behandeln und zu belehren.

Aber im Grunde war es ihm ein bisschen unheimlich ihr nicht folgen zu können. Von ganz weit weg hatte er eine Ahnung das ihm etwas wesentliches entging,

es aber einfach nicht fassen konnte was sie meinte wenn sie so sprach.....

„Der Horizont ist eine Linie, die in Wirklichkeit nicht existiert, an der der scheinbar gewölbte Himmel über uns die Erdoberfläche berührt.

Der Horizont begrenzt den Gesichtskreis eines Beobachters. Er ist eine Sichtgrenze, die Grenze zwischen Himmel und Erde.“

Er belehrte sie von oben herab, das tat er gerne wenn es sich um Dinge handelte die nichts mit der Ratio zu tun hatten.

Empfindungen, Vorstellungen, sich mit  etwas in Beziehung setzen, das war nicht seine Sache.

Sie nannte das „die Dinge zwischen Himmel und Erde“ und dann wurde das Gespräch unangenehm für ihn und er wurde auch unangenehm zu ihr.

Sprach ihr Intelligenz und Logik ab und begann manchmal auch sie zu beschimpfen. Wegen irgendwelcher Dinge, die gar nichts mit dem ursprünglichen Thema zu tun hatten.

So als wolle er sie bestrafen. Als hätte er ein Recht dazu sie zu bestrafen für etwas das er nicht verstehen konnte.

Sie hatte gelernt den Mund zu halten, aber manchmal tat es ihr leid nicht darüber mit ihm sprechen zu können, was Herz und Gemüt zu erzählen hatten.

Später begriff sie dann, das er Angst davor hatte.
 

Langsam wanderte sie durch das seichte Wasser und drehte sich ab und zu um um zu sehen wie die Wellen ihre Fußabdrücke verwischten.

Aufmerksam beobachtete sie der Hund, umkreiste sie, sprang vor ihren Füßen herum und freute sich ganz offensichtlich das sie mit ihm am Strand entlang lief.

Der Strand war fast menschenleer, hierher in dieses kleine Dörfchen verirrten sich selten Touristen, zu wenig Komfort, zu viel Alltag.

„Na los“ fordert sie den Hund auf und begann zu laufen. Kläffend und aufgeregt tanzte der Hund um sie herum.

Wie ein Kind rannte sie eine Strecke blieb dann aber atemlos stehen.

„Oh Mann“ japste sie in Richtung Hund „ ich bin auch keine 30 mehr“ Der Streuner schüttelte das Meer aus seinem blonden struppigen Fell und belohnte sie mit einem Sprühregen.

Grinsend ließ sie sich in den Sand fallen und zog den Hundekopf liebevoll zwischen die Knie.

„Am Meer verschwimmt die Zeit“ teilte sie ihm mit. Die Hundenase kuschelte sich in ihre Hände. Seine Bernsteinaugen hingen an ihrem Gesicht.

„Nö“ grinste sie ihn an, „ auf keinen Fall wollte ich noch mal 30 sein. Aber verrate bloß keinem dass ich schon 20 Jahre mehr auf dem Buckel habe.“

Wie Narziss beugte sie sich über ihr Spiegelbild im seichten Wasser. „Ich bin nämlich eitel“ sagte sie ins Wasser. Der Hund tapste durch ihr Bildnis und sie lachte auf.

Ich bin immer noch ein Kalb, dachte sie, Bocksprünge möchte ich hier am Strand machen .

Sie wusste, sie war über die Jahre hinweg sich selbst treu geblieben. Sogar immer mehr sie selbst geworden, hatte mit dem Leben Schritt gehalten.

Nie wusste sie das so sicher wie hier am Strand. Das Meer spülte nicht nur die Freude am Leben, am Dasein überhaupt, sondern auch die Lebenslust aus ihrem Inneren an die Oberfläche.

Das war kein Urlaubsgefühl, es war das Lebensgefühl pur, das sie nur so intensiv am Strand empfand.

„Das Meer erdet mich immer“ erklärte sie dem Hund und lachte über ihr Wortspiel.

Wie die Wellen den Strand erreichten und sich wieder zurückzogen kamen und gingen ihre Gedanken. Sie ließ es zu, ohne größere Überlegungen, überließ sich dem Kommen und Gehen

ihrer Gedanken und blieb in der Gegenwart. Am Strand. Am Meer. In der warmen Sonne.

 

Hier konnte sie auch die Seiten ihres Lebens zu lassen, die sie sonst eher vermied. Ohne Bedrückung oder Sentimentalität. Es gab keine Ablenkung durch Alltäglichkeiten,

der Fluss der ewige gleiche Ablauf war unterbrochen. Sie konnte sich dem Leben stellen.

Noch einmal drehte sie sich um und sah zurück. Rauchend sah auch ihr Mann aufs Meer.

Sie wusste, sie lebten in zwei verschiedenen Welten.
 

Eigentlich hätte das eine ständige Anregung ihrer Beziehung sein können, Anlass zu lebendigem Austausch.

Aber sie sprachen nicht die gleiche Sprache.

Obwohl sie beide oft derselben Meinung waren, kam es zum Streit. Immer wieder fiel ihr auf, das er nicht zuhörte sondern nur darauf wartete seinen Standpunkt klar und deutlich zu machen.

Es interessierte ihn nicht, was sie zu sagen hatte.

„Akzeptiere ich ihn?“ fragte sie sich ernst, „hadere ich mit seiner Schweigsamkeit, nehme ich ihm übel das er so anders ist ?“

„Ich nehme ihm übel das er sich nicht für mich interessiert, nicht mal den Versuch unternimmt“.

Ich habe mich verändert, dachte sie und ein bitteres Gefühl trübte für einen Augenblick ihre entspannte Strandstimmung. Sie wusste wo diese Bitterkeit herkam.

Im Laufe der Jahre hatte er sich ein bestimmtes Bild von ihr gemacht und er konnte oder wollte es nicht mehr ändern.

Er war nicht bereit ihre Veränderungen zu sehen. Er ignorierte sie einfach und damit hatte er das Ende einer jahrzehntelangen Beziehung eingeläutet.

Sie lebten nebeneinander her, machten gemeinsame Urlaube und waren doch meilenweit voneinander entfernt. Jeder auf einer anderen Straße und diese Straßen

würden sich wahrscheinlich nie wieder kreuzen.
 

„Wie war das früher?“ fragte sie den Hund und beide blieben stehen.

Der Hund in Erwartung was nun kommen würde. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf sie gerichtet und das machte ihr schmerzhaft bewusst, das sie beide nicht nur nebeneinander

sondern aneinander vorbei lebten. Das wirklich Schmerzhafte war nicht diese Einsicht, sondern das Gefühl, etwas wesentliches nicht leben zu können.

Und dieses Wesentliche war abhängig von der Bereitschaft des anderen zu teilen. Den Partner am eigenen Erleben teil haben zu lassen und Interesse am Leben des anderen zu haben.

Das gab es in ihrer Ehe nicht. Hatte es das früher gegeben?

Sie kramte plötzlich in Erinnerungen an die ersten Jahre und konnte nichts mehr nachempfinden.

Hatte sie die Nähe zu ihm sozusagen abgelebt oder war sie auf eine Vorstellung hereingefallen, für die er keine Verantwortung trug?

Nämlich das Bild das sie sich von ihm gemacht und nie hinterfragt hatte?

Irgendetwas war auf der Strecke geblieben. Vieles war besonders nach der Geburt des Kindes aus ihrem gemeinsamen Leben verschwunden um nie wieder aufzutauchen.

Aber was?

Oder hatte es am Ende nur in ihrer Vorstellung, ihren Erwartungen existiert, dieses „Was“ für das sie nun keine Worte mehr fand?

Sicher waren die Gegensätzlichkeiten ein Anziehungspunkt gewesen. Aber was hält zwei Menschen die sich nichts mehr zu sagen haben jahrzehntelang zusammen?

Alle Gefühle die sie für ihn empfand, positiv und - eigenartig auch die negativen – stiegen in ihr auf und alle auf einmal.

Aus diesem ambivalenten Gefühlschaos heraus breitete sie die Arme aus als wolle sie die Welt umarmen. Aber sie meinte ihn.

Ganz deutlich spürte sie die Einsamkeit die sie im goldenen Sonnenschein umgab.

Der Hund holte sie schmerzlich in die Gegenwart zurück. Ein trockener Ast traf sie heftig in der Kniekehle. Triumphierend rannte er mit seiner Trophäe zurück.

Jetzt erst bemerkte sie wie weit sie sich entfernt hatte. Weit weg sah sie die Silhouette ihres Mannes am Strand, die Arme über den Knien verschränkt sah er aufs Meer hinaus.

Tatsächlich war er so, wie er da saß. Unbeweglich.

Überhaupt betrachtete er die Welt distanziert und skeptisch, sah immer nur in eine Richtung und bemerkte selten die positiven Seiten des Lebens.

Ihre Liebe zu allem Lebendigen hatte ihn anfangs wohl angezogen, mittlerweile vermutete sie allerdings, das ihn genau dies nur zu oft nervte.

Er wollte nicht mit hineingezogen werden in diesen Tanz des Lebens in dem sie so gerne mit machte. Leben hieß Veränderung und das war nicht seine Sache.

Es war zu bunt, zu anstrengend. Er wurde nur ungern vom Leben gefordert und ließ es auch nur zu wenn es unabdingbar war.

Seine Welt besteht aus tausend Grautönen, dachte sie traurig. Er empfindet jeden neuen Tag wie eine Last. Mich eingeschlossen. Manchmal jedenfalls.

Sie folgte dem Hund in einiger Entfernung. Der Wind trug den Duft der endlosen Lavendelfelder zu ihr hin und sie hatte spontan den bunten Wochenmarkt vor Augen.

Kochen am Meer begann mit Gerüchen.

Es war wie ein Geschenk hier zu kochen und sie vergaß nie sich für diese Fülle an Aromen, Gerüchen und Farben zu bedanken. Dieses Gewohnheit nahm sie bereits aus dem ersten Meerurlaub mit.

Einkaufen am Vormittag war ein Fest für sie.

Während ihr Mann mit dem Metzger verhandelte wie dick die Steaks geschnitten werden sollten, konnte sie sich nicht zwischen weißen und roten Zwiebeln entscheiden.

Salatsorten konnten sie in Begeisterung versetzen, von Obst und Gemüse ganz zu schweigen. Beim Fisch angekommen mahnte ihr Mann jedes Mal

, „Die Leute sehen zu uns rüber. Das sind doch nur Lebensmittel“

 

Er blickte wortlos auf als sie sich neben ihn in den Sand fallen ließ.

Der Hund sah aufmerksam von einem zum anderen und legte sich schließlich zwischen beide. Den Kopf auf ihren nackten Füßen.

Sie schwiegen. Es war kein beredtes Schweigen von dem so oft geschrieben wird.

Fern am Horizont regnete eine dunkle Wolke isoliert am blauen Himmel ihre Last ins Meer.

Fasziniert beobachtete sie wie die Wolke heller und immer kleiner wurde.

Blitzschnell war sie auf den Beinen und lief ein Stück ins seichte Wasser.

„Sieh Dir das an !!“ rief sie begeistert, „sieh Dir das nur an !!“

Klein und schmal, wirkte sie einmal mehr wie ein Kind, wie sie lebhaft und begeistert im Wasser hüpfte.

Sie wirbelte zu ihm herum und streckte beide Arme nach ihm aus.

„Sieh doch nur !“ rief sie nochmals beinahe atemlos, „ist das nicht fabelhaft !“

So stand sie da unter dem Regenbogen. Der Wind zerrte an ihren Haaren, die Augen leuchteten so blau wie das Meer.

Bellend sprang der Hund um ihre Beine.

„Sieh doch nur“ wiederholte sie wieder, diesmal eindringlich.

Seinem Gesicht sah sie an, dass er nichts verstand, aber vielleicht gerne verstehen wollte.

Erschrocken stellte sie fest, dass eine Tür verschlossen war. Den Schlüssel hatten sie beide vor langer Zeit gemeinsam verlegt.

Sie stand da, mit geöffneten Händen und wartete, hoffte.

Er sah sie immer noch an, sein Ausdruck wandelte sich in so etwas wie Verlegenheit.

„Ja“ sagte er langsam und senkte den Blick, „ wirklich eine interessante Wetterlage“.

Nicht geliebt zu werden, ist Pech. Nicht zu lieben, ist ein Unglück. Das hatte sie einmal in einem Aufsatz von Albert Camus gelesen. Es kam ihr plötzlich in den Sinn.

Sie sah zum Regenbogen hoch, atmete die salzige, lebendige Meeresluft, fühlte den Strand unter ihren Zehen.

Komm, sagte sie und streckte ihm ihre nasse sandige Hand entgegen. „Ich hab so Lust was buntes, tolles, zu kochen. Lass uns nach Hause gehen“

Sie lockte den Hund, doch der stand schon neben ihr. Hatte sie „Kochen“ gesagt?
 

Lächelnd zog sie ihren Mann zu sich heran.

„Weißt Du“, vertraute sie ihm an, „das Meer erdet mich immer“

 

  


 

Vorheriger TitelNächster Titel
 

Die Rechte und die Verantwortlichkeit für diesen Beitrag liegen beim Autor (Rosemarie Palm-Krein).
Der Beitrag wurde von Rosemarie Palm-Krein auf e-Stories.de eingesendet.
Die Betreiber von e-Stories.de übernehmen keine Haftung für den Beitrag oder vom Autoren verlinkte Inhalte.
Veröffentlicht auf e-Stories.de am 15.02.2011. - Infos zum Urheberrecht / Haftungsausschluss (Disclaimer).

Die Autorin:

  Rosemarie Palm-Krein als Lieblingsautorin markieren

Bücher unserer Autoren:

cover

Manchmal schief gewickelt von Hermine Geißler



Die Gedichte des Bandes „Manchmal schief gewickelt“ handeln von der „schiefen“ Ebene des Lebens, den tragikomischen Verwicklungen im Alltagsleben und der Suche nach dem Sinn im scheinbar Sinnlosen.
Sie erzählen von der Sehnsucht nach dem Meer, von der Liebe und anderen Leidenschaften und schildern die Natur in ihren feinen Nuancen Beobachtungen aus unserem wichtigsten Lebenselexiers.
Die stille, manchmal melancholische und dennoch humorvolle Gesamtstimmung der Gedichte vermittelt das, was wir alle brauchen: Hoffnung.

Möchtest Du Dein eigenes Buch hier vorstellen?
Weitere Infos!

Leserkommentare (0)


Deine Meinung:

Deine Meinung ist uns und den Autoren wichtig!
Diese sollte jedoch sachlich sein und nicht die Autoren persönlich beleidigen. Wir behalten uns das Recht vor diese Einträge zu löschen!

Dein Kommentar erscheint öffentlich auf der Homepage - Für private Kommentare sende eine Mail an den Autoren!

Navigation

Vorheriger Titel Nächster Titel

Beschwerde an die Redaktion

Autor: Änderungen kannst Du im Mitgliedsbereich vornehmen!

Mehr aus der Kategorie "Beobachtungen am Strand" (Kurzgeschichten)

Weitere Beiträge von Rosemarie Palm-Krein

Hat Dir dieser Beitrag gefallen?
Dann schau Dir doch mal diese Vorschläge an:

Zahlensalat von Rosemarie Palm-Krein (Skurriles)
Bunte Strände von Rainer Tiemann (Beobachtungen am Strand)
Unser Hund Schiefkopf von Karl-Heinz Fricke (Wahre Geschichten)

Diesen Beitrag empfehlen:

Mit eigenem Mail-Programm empfehlen